Moskau und die kleinen Nationen 

Die andere Seite des russischen Imperialismus

Von ABEL RIU, Nationalia/Ciemen

Die Tscherkessen gedenken jährlich am 21. Mai des Völkermords, den das Russische Reich zwischen 1860 und 1864 an ihnen verübt hat. Seit 2020 verhindern die russischen Behörden gezielt die Gedenkveranstaltungen, nicht nur der Tscherkessen.

Repression und Gewalt gegen Aktivist:innen von Minderheitenvölkern nehmen zu: Mit der Ausbeutung natürlicher Ressourcen wird das Land ihrer Vorfahren zerstört, mit der staatlich forcierten Russifizierung werden die Sprachen und Kulturen dieser Völker verdrängt. Russlands zog sich aus internationalen Minderheiten-Abkommen (wie …) zurück. Mit dem Krieg gegen die Ukraine verschärft Moskau die russische nationalistische Stimmung.

Am Fuße des Großen Kaukasus liegt die kleine Stadt Naltschik, Hauptstadt der “Republik” Kabardino-Balkarien. Sie ist eine der 21 Teil-Republiken, aus denen die Russische Föderation besteht. Hinzu kommen sechzig weitere territorialen Subjekte.  Kabardino-Balkarien ist die Heimat der Balkaren, eines Turkvolkes und der Kabarden, einer ethnischen Untergruppe des tscherkessischen Volkes aus dem Tiefland.

Wie jedes Jahr am 21. Mai versammeln sich jährlich Tausende von Kabardin und ziehen durch die Straßen von Zentral-Naltschik, um feierlich des Völkermords am tscherkessischen Volk zu gedenken. Damals wurde viele Tscherkess:innen getötet, bis zu zwei Millionen aus den zentralen und westlichen Regionen des Nordkaukasus in das Osmanische Reich vertrieben.

Die Tscherkessen leben verstreut in über fünfzig Ländern, insbesondere in Georgien, Israel, den USA, Jordanien und in der Türkei, wo die größte tscherkessische Diaspora lebt. Dort fördert der Erdogan-Staat die Gedenkfeierlichkeiten, in Russland unterbinden die Behörden das Gedenken an den Völkermord.

Verbotenes Gedenken

Die Einschränkungen des Rechts auf Erinnerung trifft nicht nur die Tscherkessen, sondern auch die Krimtataren, die seit der russischen Annexion der ukrainischen Krym verstärkter Repression ausgesetzt sind.

Offensichtlich befürchtet das Putin-Regime, dass die Erinnerung an den Schmerz und die Tragödie das nationale Bewusstsein dieser kleinen Nationen stärken könnte. Und auch den Aktivismus zur Verteidigung der nationalen Rechte. Der Putin-Staat glorifiziert die Vergangenheit, die zaristische und die sowjetische. Für die Tschetschenen, Inguschen, Kalmücken, Balkaren und für viele andere Nationen war diese Vergangenheit gewalttätig und blutig.

Keine Landrechte

Die russische Föderation wird seit einem Jahrzehnt immer stärker zentralisiert, der Staat autoritärer. Zum Schaden der fast 170 nationalen Minderheiten, die 20 % der Gesamtbevölkerung ausmachen.

Besonders repressiv geht der russische Staat gegen die Baschkiren vor. Dort zeigt sich die enge Verquickung von nationaler, ökologischer und territorialer Frage. Die Bashkiren stellen in “ihrer” Republik, gelegen zwischen dem Uralgebirge im Osten und der Wolga im Westen, laut der Volkszählung 2021 31,5 % der Bevölkerung.

Im Januar dieses Jahres wurde Faïl Alsinov zu vier Jahren Strafkolonien verurteilt. Der Aktivist führte 2023 Proteste gegen den illegalen Abbau von Gold in den Kalksteinhügeln im Südosten der Republik a. Diese Hügel gelten bei den Baschkiren als heilig. Die vielen Demonstrationen zur Unterstützung Alsinows überraschten die Behörden und zählen seit Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022 zu den größten Kundgebungen. Erstmals wurden auch Forderungen nach größerer nationaler Selbständigkeit formuliert.

Rücksichtsloser Kolonialismus

Trotz ihres gewaltlosen Charakters wurden die Proteste von der Polizei niedergeschlagen. Dutzende wurden verletzt. Hunderte verhaftet. Insgesamt wurden 56 Strafverfahren und 163 Verwaltungsverfahren eröffnet. Zwei der Angeklagten, Rifat Dautov, 37, und Minniyar Baiguskarov, 65, starben kurz nach ihrer Festnahme unter ungeklärten Umständen.

Die verstärkte Förderung von Öl-, Gas- und Mineralien beeinträchtigt viele indigene Gemeinschaften, insbesondere in Sibirien und im hohen Norden Russlands. 

Der ausgesetzte Rechtsschutz führte zu einer ganzen Reihe von Verletzungen von Landrechten: So seit Beginn der Ölbohrungen 2016 im Naturschutzgebiet des Numto-Sees im Autonomen Bezirk der Chanten und Mansen, die  Kohleförderung auf der Halbinsel Taimir seit 2019 zum Schaden der lokalen indigenen Völker oder der Bau neuer Gaspipelines und Terminals für Flüssigerdgas durch Gazprom und mehrere internationale Unternehmen auf der Halbinsel Jamal. Dabei besonders betroffen und beeinträchtigt das Nomadenvolk der Nenzen. Die Betroffenen wehrten sich, die Folge war eine verschärfte Repression. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website ist durch reCAPTCHA geschützt und es gelten die Datenschutzbestimmungen und Nutzungsbedingungen von Google

Zurück zur Home-Seite