23-07-2024
Unbehagen in der Arktis
Der Ukraine-Krieg, die NATO und die arktischen Autochthonen.

Von Wolfgang Mayr
Mit Skepsis verfolgen indigene Aktivist:innen aus der Arktis den russischen Krieg gegen die Ukraine. Der Eroberungskrieg sorgt nämlich auch für Spannungen in der Arktis. Damit setzte sich Kadin Mills für IndianCountryToday detailliert auseinander.
Zum 75. Jahrestag der NATO-Gründung diskutierten in Washington die Vertreter:innen der Mitgliedsländer die künftige Ausrichtung. Russland, so die Einschätzung, wird als Bedrohung für die EU und für die NATO empfunden.
Für Rachel Ellehuus von der US-Mission bei der NATO ist die NATO “ein Verteidigungs- und kein Offensivbündnis“. Der NATO geht es darum, betonte Ellehuus auf IndianCountryToday, politische Gewalt und Krieg abzuwehren und abzuschrecken. Antikriegsgruppen wie die Antiimperialistische Weltplattform hingegen werfen der NATO vor, allein ihre Präsenz in Osteuropa löst unweigerlich Konflikte aus. Über diese Kritik freut sich höchstwahrscheinlich die russische Staatsführung.
Russisch-chinesische Gelüste
Während des Kalten Krieges suchten die USA und die Sowjetunion neue Erdölreserven. Diese fanden sie in der Polarregion. Der Wettlauf um fossile Brennstoffe hält seitdem ungehindert an, Russland, Kanada und die USA versuchen neue Öl- und Gasvorkommen meist vor ihren Küsten “anzuzapfen”.
Ellehuus befürchtet, dass Russland und China versuchen werden, die Arktis unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Kreml kündigte im März 2023 ein bilaterales Abkommen mit der Volksrepublik China an. „Wir sind zunehmend besorgt über die zunehmenden russischen Aktivitäten in der Region“, führt Ellehuus aus. Sie stellte auch verstärkte chinesischen Investitionen fest. Der russische und chinesischen “Energiehunger” wird für die Umwelt und die Lebensgrundlagen der indigenen Völker Auswirkungen haben, befürchtet Ellehuus.
Unterdessen schmilzt das arktische Meereis mit erschreckender Geschwindigkeit. Dies führte bereits zu einer Zunahme militärischer und wirtschaftlicher Aktivitäten in der Arktis, in Konkurrenz zu Kanada, den USA und den skandinavischen Ländern.
Wenn das Meereis schmilzt, werden die Öl- und Gas-Reserven leichter zugänglich. Laut dem United States Geological Survey von 2008 liegen in der Arktis geschätzte 90 Milliarden Barrel Öl, das entspricht 13 Prozent des weltweit unentdeckten Erd-Öls. Die Region beherbergt aber auch ein Drittel des weltweiten Erdgases.
Indigene Sorgen
Indigene Völker und Nationen wollen mit ihren jeweiligen staatlichen Regierungen ihre Regionen angesichts des Klimawandels und des sich ändernden politischen Klimas schützen. Besonders die Alaska Federation of Natives warnt eindringlich vor Spannungen, die von Russland ausgehen. Von den insgesamt 4 Millionen Einwohner der Arktis sind etwa 500.000 indigene Völker, weist der Arktische Rat hin. Mit dabei im NGO-Gremium des Rates ist auch RAIPON, die vom Kreml kontrollierte Indigenen-Organisation.
Die Arktis erwärmt sich aufgrund globaler menschlicher Aktivitäten schneller als jede andere Region der Erde. Das belegt der jährliche Arctic Report Card 2023 der National Oceanic and Atmospheric Administration. Die US-Regierung kommt aufgrund wissenschaftlicher Recherchen zum Schluß, daß in den vergangenen 17 Jahren jährlich ein Rekordverlust an Meereis zu verzeichnen war. Die Folge der massiven Verbrennung fossiler Brennstoffe zur Energieerzeugung.
In ähnlicher Weise prognostiziert die Weltorganisation für Meteorologie, dass in den nächsten fünf Jahren wahrscheinlich die globalen Temperaturen vorübergehend die Schwelle von 1,5 °C Erwärmung im Vergleich zu den vorindustriellen Temperaturen überschreiten werden. Ein Verstoß gegen das Pariser Klimaabkommen von 2015.
Seit 2010 hat die NATO den Klimawandel auch als erhebliche Bedrohung für die internationale Sicherheit anerkannt.
Viele indigene Völker befürchten, dass die zunehmende Aktivität in der Polarregion schwerwiegende Folgen für ihre Territorien, Lebensweisen und Landnutzung haben werden.
Dialog auf Augenhöhe
Der Samenrat berät zusammen mit fünf anderen indigenen Nichtregierungsorganisationen den Arktischen Rat, dem Kanada, das Königreich Dänemark, Finnland, Island, Norwegen, die Russische Föderation, Schweden und die Vereinigten Staaten angehören. Andere indigene Gruppen oder ständige Mitglieder des Rates sind die Aleut International Association, der Arctic Athabaskan Council, der Gwich’in Council International, der Inuit Circumpolar Council und RAIPON, die Russian Association of Indigenous Peoples of the North.
Der Krieg in der Ukraine hat die Arbeit des Samen Rates sowie des Arktischen Rates drastisch eingeschränkt hat. Kontakte zu Russland wurden unterbrochen, um “unsere Freunde, Brüder und Schwestern nicht in Gefahr zu bringen”, heißt es beim Samen-Rat. Neue russische Gesetze verbieten außerdem die Zusammenarbeit mit westlichen Organisationen.
In Russland werden indigene Aktivist:innen überwacht. Aber auch die EU-Sanktionen behindern die grenzüberschreitende indigene Kooperation. Indigene Mitarbeiter in Russland dürfen nicht mehr bezahlt werden. Das in den vergangenen 30 Jahren aufgebaute indigene arktische Netzwerk löste sich auf. Derweil häufen sich die Probleme.
Militär- und Infrastrukturprojekte verbrauchen Land und bedrohen indigene Gemeinschaften und ihre traditionelle, auf Subsistenz basierende Wirtschaft.
Die NATO ist in der Arktis formell nicht präsent, ihre Mitglieder Dänemark und Norwegen hingegen schon. Die dortigen indigenen Völker sowie die Landesregierung von Grönland und den Faröer-Inseln drängen auf Mitsprache, bei der Erschließung der Arktis und bei der Errichtung weiterer militärischer Einrichtungen.
Der Sami-Rat will von den skandinavischen Staaten als Partner anerkannt werden. Auch in der Sicherheitspolitik. Der Rat verwies auf den Dialog Norwegens mit dem samischen Parlament. Ein Dialog auf Augenhöhe mit den Menschen aus der betroffenen Region ist ein Vorteil und nicht ein Problem. Über Betroffene soll man nicht einfach drüberfahren.
Siehe auch: Naalakkersuisut; Greenland, Faroe Island, Faröer, Indigene Völker in der Arktis,
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