Gegen russischen Imperialismus

Indigene in Russland und ihr Widerstand gegen den Ukraine-Krieg

Von Wolfgang Mayr

Indian Country Today hat den indigenen Protest in Russland aufgegriffen. Dort gehen die Behörden konsequent gegen indigene Aktivistinnen und Aktivisten vor, egal, ob sie gegen den russischen Eroberungskrieg in der Ukraine protestieren oder aber sich gegen den Raubbau von Bergbaugesellschaften wehren. Wie letzthin in Baschkortostan. Mehrere Medien griffen die dortigen heftigen Proteste auf. Indian Country Today veröffentlichte den Conversation-Artikel von Laura A. Henry über den indigenen Aktivismus in Russland. Daraus einige Auszüge:

Pavel Sulyandziga, Aktivist und Angehöriger indigenen Udehe/Udege im südöstlichen Sibirien, suchte 2017 in die USA um politisches Asyl an. Seine Frau und ihre fünf Kinder lebten bereits in Maine. Sie hatten Russland nach zahlreichen Drohungen verlassen. Sulyandzigas Antrag auf politisches Asyl ist immer noch anhängig. Auch heute noch werden Verwandte des 61-jährige Sulyandziga von russischen Behörden schikaniert.

Sulyandziga ist einer von 260.000 indigenen Menschen in Russland. Sie kämpfen für die Anerkennung ihrer Rechte als indigene Völker und für den Schutz ihres traditionellen Territoriums. Ihre Gebiete sind reich an begehrten Bodenschätzen.

Recherchen belegen, dass indigene Aktivist*innen aufgrund der wachsenden Repression aus Russland fliehen müssen. Sie werden beschuldigt, im Auftrag ausländischer Regierungen zu agieren oder korrupt zu sein. Der russische Staat verschärft seine Repressionen und versucht, Aktivisten wie Sulyandziga zum Schweigen zu bringen. Dies wird als transnationale Repression beschrieben und bedeutet, dass indigene Aktivist*innen im Exil und ihrer Heimat angreifbar sind.

Die indigene Welt im russischen Kolonialimperium

Die Sowjetunion erkannte offiziell die ethnischen Identitäten und Sprachen der indigenen Völker an. Eine Anerkennung auf dem Papier. Sowjetische Behörden übten Druck auf die indigene Bevölkerung aus, sie sollten ihre traditionelle Lebensweise aufgeben, um sie leichter „integrieren“, Klartext assimilieren zu können. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 hat Russland 47 indigene Völker rechtlich anerkannt, obwohl mehr als 150 Gruppen den indigenen Statuts einfordern.

In den 1990er Jahren erlebte der indigene Aktivismus seine Blütezeit. Zwischen 1999 und 2001 verabschiedete die Regierung mehrere neue Gesetze, die die Rechte der Indigenen sicherstellten, wie z.B. kulturelle Autonomie und garantierten Zugang zu Gebieten, die traditionell für die Jagd und Weideland genutzt werden. Indigene Völker gehören jedoch nach wie vor zu den sozial und wirtschaftlich am stärksten marginalisierten Gruppen in Russland.

Sozio-ökonomisch gesehen sind ihre Gesundheits-, Bildungs- und Wirtschaftsstandards deutlich schlechter als die der durchschnittlichen russischen Bevölkerung. Sie sind mit weitreichenden gesellschaftlichen Verwerfungen und großflächigen Umweltverschmutzungen konfrontiert. Viele von ihnen leben auch in Gebieten, die besonders anfällig für den Klimawandel sind.

Indigener Aktivismus und Russlands Krieg in der Ukraine

Die russische Invasion der Ukraine im Februar 2022 schuf neue Probleme für die indigene Gemeinschaften. Getrieben von Armut und patriotischen Appellen melden sich junge Männer aus indigenen Gemeinschaften in unverhältnismäßig großer Zahl zum Militär. Untersuchungen deuten darauf hin, dass Soldaten aus verarmten und abgelegenen Regionen ethnischer Minderheiten überproportional häufig in dem Konflikt sterben. Auch die Schikanen der Regierung gegen indigene Aktivist*innen haben sich seit 2022 verschärft.

Wie Sulyandziga haben weitere indigene Aktivist*innen Russland in den letzten Jahren verlassen, um sich und ihre Familien zu schützen. Einige von ihnen hatten gegen Russlands Krieg in der Ukraine protestiert wie auch Sulyandziga, der sich vehement gegen den Krieg ausgesprochen hatte. Die Entscheidung eines Aktivisten, ins Exil zu gehen, um der Verfolgung zu entkommen, bedeutet jedoch nicht immer das Ende der Repression.

Behördenrepression auf indigene Völker

Die russische Regierung setzt die transnationale Repression gegen indigene Aktivist*innen ein, auch im Ausland. Dazu gehören Ruf-Schädigung, die Einleitung von Strafverfahren, die Beschlagnahmung des Eigentums und die Schikanierung von Verwandten und Freunden. Deshalb halten sich immer mehr indigene Aktivist*innen mit Kritik und Protest zurück.

Ruslan Gabbasov, ein Aktivist der Baschkiren in der Region Baschkortostan, verließ 2021 seine Heimat aufgrund des zunehmenden Drucks. Er war in der Organisation zum Schutz der kulturellen und sprachlichen Rechte der Baschkiren aktiv, die von der Regierung als „extremistisch“ eingestuft wurde. Gabbasov erhielt politisches Asyl in Litauen, wo er eine neue Organisation gründete, das Komitee der baschkirischen nationalen Bewegung im Ausland. 

Sein Halbbruder, Rustam Fararitdinov, hat sich nie politisch engagiert. Trotzdem wurde er im November 2023 Sicherheitskräften verhaftet. Gabbasov berichtet: „Wenn ich nach Russland zurückkehre, werden sie ihn freilassen. Wenn nicht, bleibt er in Haft.“ Im Fall Sulyandzigas klagte ihn ein Regionalgericht im November 2023 wegen des immer häufiger verwendeten Vorwurfs der „Diskreditierung des russischen Militärs“ an. Das Gericht zitierte einen Online-Vortrag von Sulyandziga, in dem er den historischen Umgang des russischen Staates mit indigenen Gemeinschaften kritisierte.

Sulyandziga bestätigte auch, dass sein in Wladiwostok lebender erwachsener Sohn von den Sicherheitsbehörden ständig schikaniert werde, wiederholt befragt und bedroht worden sei.

Ein außenpolitisches Anliegen

Warum gehrt die russische Regierung gegen ausgewiesene oder geflüchtete indigene Aktivist*innen im Ausland vor? Die Repression ist eine Reaktion auf die internationalen Bemühungen der Aktivisten, auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen, unter anderem durch die Gründung neuer Organisationen wie der Stiftung Freies Burjatien und Freies Jakutien. Diese Antikriegsgruppen vergleichen Russlands Gewalt gegen Ukrainer mit ihrer eigenen Geschichte der Unterdrückung und fordern die Entkolonialisierung der Region. Die Repression zielt auch darauf ab, einen Keil zwischen indigene Gemeinschaften in Russland und Aktivist*innen im Ausland zu treiben. Außerdem ist transnationale Repression ein wirksames Mittel, um andere indigenen Aktivist*innen einzuschüchtern.

Sulyandziga ließ sich davon aber nicht einschüchtern. Er gründete eine Non-Profit-Organisation in den USA. Die russische Regierung hatte seine ursprüngliche Organisation als „ausländischen Agenten“ verunglimpft. Heute versucht er die indigenen Gemeinschaften über Grenzen hinweg zu koordinieren. Sulyandziga nahm kürzlich auch an einer Kampagne teil, um Tesla davon abzuhalten, Nickel für seine Autos von der russischen Firma Norilsk Nickel zu kaufen, einem rücksichtslosen Umweltverschmutzer indigenen Landes.

Zusammen mit dem indigenen Aktivisten Dmitry Berezhkov fordert Sulyandziga weiterhin, dass indigene Bürger:innen in Russland „Zugang zu ihrem traditionellen Land und ihren traditionellen Ressourcen haben, dass indigene Kulturen und Sprachen bewahrt werden und dass indigene Völker die Möglichkeit haben, ihr politisches, wirtschaftliches und soziales Potenzial zu verwirklichen“.

Dieser Artikel von Laura A. Henry, Professorin für Rechtswissenschaften am Bowdoin College, wurde zuerst in The Conversation  veröffentlicht. Pavel Sulyandziga vom Batani International Indigenous Fund for Solidarity and Development und Gastdozent am Dartmouth College hat zu diesem Artikel beigetragen. The Conversation ist eine unabhängige, gemeinnützige Nachrichtenorganisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Wissen akademischer Experten für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

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