USA-Russland: Kolonialisiertes Alaska

Die indigenen Völker zwischen russischem und US-amerikanischen Kolonialismus

Der russischen Kolonialisierung Alaskas fiel mehr als die Hälfte der indigenen Bevölkerung zum Opfer. Foto: amazon.com

Der russischen Kolonialisierung Alaskas fiel mehr als die Hälfte der indigenen Bevölkerung zum Opfer. Foto: amazon.com

Von Wolfgang Mayr

 

War es Zufall, dass US-Präsident Trump den russischen Kriegspräsidenten Putin – gegen ihn liegt ein internationaler Haftbefehl auf – in Alaska zu “Friedensgesprächen” empfing?

Und dient Trump Alaska als Vorbild für den “Erwerb” von Grönland? Die Gier Trumps auf Grönland ist riesig, ganz im Geiste Putins brachte er eine mögliche gewaltsame Übernahme Grönlands ins Spiel oder aber wirtschaftlichen Zwang, um die flächenmäßig größte Insel der Welt in Besitz nehmen zu können.

Darüber wundert sich William L. Iggiagruk Hensley, Gastprofessor an der University of Alaska Anchorage, nicht. Hensley, ein Nachfahre der Inupiaq, studierte die Geschichte seines Volkes und setzte sich gründlich mit Alaska auseinander. Mit den zwei geschichtlichen Perspektiven, wie die Russen Alaska “in Besitz nahmen”, wie Alaska amerikanisch wurde und wie die Inupiaq mit dieser Geschichte der Fremdbestimmung umgingen und umgehen. Es geht um den indigenen Blick auf die russisch-amerikanische Kolonialisierung Alaskas.

 

Russland blickt nach Osten

Hensley benennt die “Dinge” beim Namen. Die Gier nach neuem Land, die Russland nach Alaska und nach Kalifornien “führte”, begann im 16. Jahrhundert. Damals, 1581, überrannte Russland das Khanat von Sibir, lange gehalten von einem Enkel Dschingis Khans. Dieser entscheidende Sieg öffnete Sibirien und innerhalb von 60 Jahren waren die Russen am Pazifik.

Der russische Vormarsch in Sibirien wurde durch den lukrativen Pelzhandel, durch die russisch-orthodox-christliche Missionierung der “heidnische“ Bevölkerung im Osten befeuert, außerdem brachte die Eroberung neue Steuerpflichtige sowie weitere Ressourcen für das Zaren-Reich.

Als erfolgreicher Eroberer und Kolonisator betätigte sich im frühen 18. Jahrhundert Peter der Große. Er wollte wissen, wie weit sich die asiatische Landmasse nach Osten erstreckt. Die sibirische Stadt Ochotsk wurde zum Ausgangspunkt für weitere Eroberungen. 1741 überquerte Vitus Bering erfolgreich die Meerenge, die seinen Namen trägt und sichtete den Berg Saint Elias in der Nähe des heutigen Dorfes Yakutat in Alaska.

Berings zweite Kamtschatka-Expedition war ein unglaublicher Erfolg für Russland. Die Bering-Expedition staunte über den Reichtum an Seeottern, Füchsen und Pelzrobben. Ein Reichtum, der 150 Jahre später in den Klondike-Goldrausch führte.

 

Russisches Scheitern in Alaska

Die in Alaska gegründeten Siedlungen, mit nicht mehr als 800 Einwohnern, taten sich schwer. Ein Kontakt mit dem “Mutterland” war schwer, wegen der unglaublichen Entfernung.

Außerdem war in Alaska eine nennenswerte Landwirtschaft nicht möglich. Deshalb nahm auch die Zahl der Siedler kaum zu. Die Russen wandten sich südwärts, auf der Suche nach Menschen, mit denen sie Handel treiben konnten. Russische Schiffe fuhren bis ins heutige Kalifornien, knüpften dort Handelsbeziehungen mit den spanischen Kolonialisten und gründeten 1812 ihre eigene kalifornische Siedlung in Fort Ross.

Das Abenteuer in Kalifornien scheiterte, genauso stellten die Russen ihre Präsenz in Alaska in Frage. Ihre Kolonie in Alaska war nicht mehr rentabel, sie hatte die Seeotterpopulation nachhaltig dezimiert. Außerdem war Alaska schwer zu verteidigen. Russland war aufgrund der Kosten seines Krieges auf der Krim knapp bei Kasse.

 

Amerikaner begierig auf einen Deal

Die Russen waren deshalb bereit, Alaska zu verkaufen. Aber was motivierte die Amerikaner, kaufen zu wollen, fragte sich Hensley. Die Gier nach Land, die einfache Antwort. In den 1840er Jahren annektierte der Siedlerstaat USA Texas, gewann im Krieg gegen Mexiko Kalifornien und griff recht ungeniert nach Oregon.

Außenminister Seward schrieb im März 1848, “dass die us-amerikanische Bevölkerung dazu bestimmt ist, die Eisbarrieren des Nordens zu überwinden und an die Ufer des Pazifiks zu gelangen. Eine poetische Schönfärberei für entgrenzten und ungehinderten Landraub. 20 Jahre später war es dann soweit.

Alaska war für die US-Amerikaner ein Reservoir für Gold und Pelze, das Meer voller Fische und Standort für den Handel mit China und Japan. Mit dem Erwerb von Alaska kann die USA zu einer pazifischen Macht werden, die Vorstellung, die zum Kauf von Alaska führte. Die USA setzten auf Expansion, so wie es im “manifest destiny” festgehalten wurde.

Die USA kauften von Russland Alaska für 7,2 Millionen Dollar (heutiger Wert 138 Millionen Dollar), ein Deal, findete Hensley, mit unabsehbaren geopolitischen Folgen. Radikale Hinterbänkler im russischen Parlament fordern immer wieder dazu auf, sich Alaska zurückzuholen.

Für 7,2 Millionen Dollar kauften sich die USA 370 Millionen Hektar unberührte Wildnis. Davon sind heute 220 Millionen Hektar heute Bundesparks und Naturschutzgebiete. Hunderte Milliarden Dollar brachten Walöl, Pelze, Kupfer, Gold, Holz, Fisch, Platin, Zink, Blei und Erdöl in die Kasse von Alaska – der Bundesstaat kann deshalb auf eine Umsatz- oder Einkommenssteuer verzichten und jedem Einwohner ein jährliches Stipendium schenken. Alaska verfügt wahrscheinlich immer noch über Milliarden von Barrel an Ölreserven.

Die USA haben mit Alaska eine direkte Verbindung zur Arktis, somit einen garantierten Zugriff, wenn schmelzende Gletscher und Eismassen die begehrten Rohstoffe freilegen. Alaska, die neue Frontier im hohen Norden.

 

Die andere Perspektive, eine andere Version der Geschichte

In der russischen wie auch in der US-amerikanischen Geschichte über Alaska kommen die autochthonen Völker – wenn überhaupt – als Fußnote vor.

Hensley arbeitete deshalb eine andere Version der Geschichte der Eroberung Alaskas aus. Laut seinen Recherchen lebten 1741, als Bering auf Alaska “stieß”, 100.000 Menschen in dem Land, darunter Inuit, Athabascan, Yupik, Unangan und Tlingit. Allein auf den Aleuten gab es 17.000 Einwohner.

Die Russen siedelten hauptsächlich auf den Aleuten, Kodiak, der Kenai-Halbinsel und Sitka und herrschten mit eiserner Hand über die indigene Bevölkerung, über ihre Gebiete, nahmen Kinder als Geiseln (wie im aktuellen Krieg in der Ukraine auch), zerstörten Kajaks und andere Jagdgeräte (im Krieg gegen die Ukraine Industriebetriebe, Kraftwerke und ganz besonders Statviertel) und setzten brutalste Gewalt ein, um indigenes Aufbegehren niederzuschlagen.

Mit ihren Schwerten, Schusswaffen und Kanonen setzten sich die Russen gegen die indigene Bevölkerung durch, kontrollierten die Südküste, sicherten mit Forts ihre Präsenz, setzten christianisierte lokale Führer ein. Trotzdem gab es aber auch Widerstand, z. B. von Seiten der Tlingits.

 

Dezimierte Ureinwohner

Als Russland Alaska an die USA verkauften, lebten nur mehr 50.000 Indigene von einst 100.000. Außerdem blieben 483 Russen im neuen US-Bundesstaat sowie 1.421 Kreolen (Nachkommen russischer Männer und indigener Frauen).

Allein auf den Aleuten versklavten oder töteten die Russen Tausende indigene Menschen. Ihre Bevölkerung sank in den ersten 50 Jahren der russischen Besatzung auf 1.500.

Als die US-Amerikaner Alaska in Besitz nahmen, waren sie immer noch in ihre Indianerkriege verwickelt. Deshalb betrachten die neuen Herren in Alaska die indigenen Bewohner als potenzielle Gegner. Alaska wurde von General Ulysses S. Grant zum Militärbezirk erklärt.

Die Ureinwohner Alaskas pochen als ursprüngliche Bewohner auf ihr Land-Recht. Ihre Begründung, sie haben ihr Land nicht im Krieg verloren oder abgetreten. Diese widerständliche Haltung führte wohl dazu, daß den Ureinwohnern die US-Staatsbürgerschaft verweigert wurde. Erst 1924 erhielten die Nachfahren der besiegten indianischen Stämme mit dem Indian Citizenship Act die US-Staatsbürgerschaft.

Während dieser Zeit hatten die Ureinwohner Alaskas keine Rechte als Staatsbürger und konnten nicht wählen, kein Eigentum besitzen oder sonstige Ansprüche geltend machen. Das Bureau of Indian Affairs startete in den 1860er Jahren in Zusammenarbeit mit Missionsorden eine Kampagne zur Ausrottung indigener Sprachen und Kultur. Eine weitere Version der Indianerkriege.

Erst 1936 ermächtigte der Indian Reorganization Act – erlassen in der Amtszeitung von Franklin D. Roosevelt und seinem Indianer-Beauftragten John Collier – die Bildung von  Stammesregierungen. Neun Jahre später wurde die offene Diskriminierung indigener Bürger Alaskas mit dem Anti-Discrimination Act verboten. Das Gesetz verbot Schilder wie „No Natives Need Apply“ und „No Dogs or Natives Allowed“, die zu dieser Zeit üblich waren.

 

Indigene Entitäten

Alaska wurde 1959 Bundesstaat, war bis dahin ein Teilstaat der USA, “district of Alaska”. Mit seinem Alaska Statehood Act sprach Präsident Eisenhower Alaska weitere – einst im US-Bundesbesitz – 104 Millionen Hektar Land zu.

In diesem Act werden erstmals auch die Land-Rechte der indigenen Bevölkerung angesprochen. Die Klausel unterstrich, dass aktuell indigenes Land nicht erworben werden kann. Hensley findet, eine heikle Formulierung, weil die indigenen Volksgruppen das gesamte Land Alaska für sich beanspruchten.

Ein Ergebnis dieser Klausel war, dass Präsident Richard Nixon 1971 44 Millionen Hektar Bundesland und eine Milliarde Dollar an die 75.000 indigenen Einwohner Alaskas abtrat. Eine von Hensley geleitete Arbeitsgruppe formulierte – aufsetzend auf der erwähnten Klausel – die indigenen Landansprüche. Heute hat Alaska 740.000 Einwohner, von denen 120.000 Angehörige der autochthonen Völker sind.

Hensley findet, dass die Bürgerinnen und Bürger Alaska, indigene wie andere, den ehemaligen Außenminister William H. Seward feiern sollten. Er brachte mit seiner Politik der Expansion Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nach Alaska. So sieht es Hensley.

Hensley vermutet, Trump will Grönland nach dem Vorbild Alaskas “erwerben”. Eine Mehrheit der Grönländer:innen lehnt die Annexion – “friedlich” oder militärisch – aber strikt ab. Auch wenn Trump erfolgreich wäre, brächte er keineswegs Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nach Grönland.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website ist durch reCAPTCHA geschützt und es gelten die Datenschutzbestimmungen und Nutzungsbedingungen von Google

Zurück zur Home-Seite