Landrechte und Souveränität

Vor einem halben Jahrhundert raubte die US-Regierung den Ureinwohnern in Alaska den größten Teil ihres Landes. Trotzdem ist der "Alaska Native Claims Settlement Act" für viele indigene BürgerInnen heute ein wichtiges Instrument der Partizipation.

Von Wolfgang May

Die Korrespondentin von Indian Country Today, Meghan Sullivan, widmete dem ANCSA eine Artikel-Serie. Diese Landrechtsregelung ist für Sullivan trotz aller Kritik modellhaft. Als vor 50 Jahren US-Präsident Richard Nixon den Act unterschrieb, erhielten die Ureinwohner mehr als 960 Millionen Dollar Entschädigung für die Löschung von Landansprüchen auf 300 Millionen Hektar Land. Für 44 Millionen Hektar erhielten die indigenen Dorfgemeinschaften die Landrechte zugesprochen.

Laut ICT-Autorin Sullivan beeinflusst das Land-Gesetz auch heute noch alle Aspekte des Lebens der Ureinwohner von Alaska. Zum 50. Jubiläum des Gesetzes tourte Meghan Sullivan durch Alaska und sprach mit Akteuren von damals, wie mit Georgianna Lincoln am Yukon River. Sie war 1969 im Kongress in Washington bei den Anhörungen zum Gesetzentwurf mit dabei.

Die junge Koyukon-Athabascan Lincoln beschrieb den Abgeordneten ihr Leben und das ihrer Gemeinde an den Ufern des Yukon Rivers. „Jahrhundertelang haben meine Mutter, Großmutter und unsere Vorfahren in diesem Land gelebt und ihren Lebensunterhalt mit dem Land verdient“, sagte Georgianna Lincoln. Sie lebten und arbeiteten in den dichten Wäldern und Bergen der Region. Lincoln wollte mit ihrer Erzählung die Gesetzgeber wissen lassen, wie verheerend es wäre, wenn sich dies ändern würde.

Als Alaska 1959 vollwertiges Mitglied der Union – also der USA – wurde, lebten viele Ureinwohner noch auf und von ihrem angestammten Land. Während in den restlichen USA mit Verträgen die Landrechtsfrage „geregelt“ wurde, fühlten sich die indigenen Völker Alaskas trotz Eroberung als die Herren und Frauen des Landes.

„Wir hatten das Land zehntausend Jahre lang besessen und kontrolliert, aber wir hatten kein Stück Papier, das der Rest der Welt anerkennen würde“, sagte Willie Hensley, ein Inupiaq-Sprecher und Aktivist der Landrechtsbewegung. Der neue Bundesstaat empfand Landrechtsfrage als offen, die es zu regeln galt. Damit begann der Konflikt zwischen den Ureinwohner-Gemeinden und den Behörden von Alaska. Vorläufig beendet wurde der Konflikt 1971 mit der Verabschiedung des Alaska Native Claims Settlement Acts (ANCSA). ICT-Autorin Sullivan nennt den Act die größte Landanspruchsregelung.

„Wir kennen die Geschichte dieses Landes im Umgang mit uns Indianern und wollen, dass ein letztes Kapitel nicht in Blut, Täuschung oder Ungerechtigkeit geschrieben wird“, sagte Hensley. Dieses letzte Kapitel fing damals gerade erst an. Schon in der College-Zeit setzte sich Hensley mit der Landrechtesfrage auseinander. Er fand heraus, dass die indigenen Alaskaner „Aborigine-Land-Titel“ besaßen. Diese wollten sie verteidigen, deshalb gingen sie auch in die Offensive. Sie hatten die Geschichte ihrer Verwandten in den USA vor Augen, den Verlust von Sprache, Kultur, eigener Wirtschaft und Land. Hensley empfahl rasches Handeln: „Wenn wir nichts tun, würden wir unser Land verlieren, so wie es alle Indianer im Süden ein Jahrhundert zuvor getan hatten“.

Schon in den 1950er Jahren eskalierten im südlichen Alaska Konflikte zwischen indigenen Gemeinden und dem Bundesstaat Alaska. William Paul und sein Bruder Louis Paul von der Alaska Native Brotherhood trugen die gerichtliche Auseinandersetzung Tee-Hit-Ton gegen die USA aus. Erfolgreich. Das Gericht bestätigte den indigenen Landbesitz, der nicht ohne Zustimmung der Betroffenen veräußert werden durfte.

In diesen Jahren fällte ein weiteres Gericht den schon 1935 angestrengten Streitfall Tlingilt und Haida gegen die USA. Das Gericht stellte fest, dass Tlingilt und Haida Anspruch auf Entschädigung für „enteignetes“ Land hatte. Immerhin ein Teil-Erfolg. Die beiden Stämme erhielten eine Entschädigung von 7,5 Millionen US-Dollar für 17 Millionen Hektar – ein Betrag, der 43 Cent pro Hektar entspricht. Zweifelsohne ein Spottpreis. Die Rückgabe des Landes war keine Option.

1962 gründete Howard Rock die Tundra TimesAlaskas erste indigene Zeitung. Rock schrieb, „die Zeitung wird das Medium sein, um die Ansichten der indigenen Organisationen zu verbreiten. Es wird ihre Politik und Ihre Ziele widerspiegeln, während sie für die Verbesserung der Ureinwohner Alaskas arbeiten“.

Im Oktober 1966 versammelten sich Hunderte von Ureinwohnern und gründeten die Alaska Federation of Natives, ein Netzwerk, das die verschiedenen Stämme und Regionen zum ersten Mal zusammenbrachte, um für ihre Ansprüche einzustehen. Auch heute noch hat die Alaska Federation of Natives ein bedeutendes Gewicht und ist die größte indigene Organisation in Alaska. Zu den ersten Treffen drängten sich die Leute in die Säle. Ziel der AFN, ihr Land in der Größe von 330 Millionen Hektar vor dem staatlichen Zugriff zu schützen.

Sie wollten nicht unter die Kontrolle des Bureau of Indian Affairs kommen, nicht in Reservate abgedrängt werden. Die Stämme suchten nach Alternativen, abseits des Reservatssystems. In Alaska gibt es nur ein Reservat, Metlakatla.

Die Aussichten auf Erfolg – die Bewahrung des Landbesitzes – schrumpften, die stille Landreserve der Ureinwohner weckte große Gelüste. Sie wurden unermesslich, als 1968 in der Prudhoe Bay am Polarkreis Öl entdeckt wurde. Um das Öl per Pipeline von der Nordküste an die Südküste zum Tiefwasserhafen zu transportieren, musste Land gequert werden, das die Ureinwohner für sich reklamierten.

Die Pipeline konnte nicht ohne Klärung der Eigentumstitel Land queren. Die Stämme entschieden, aufgrund der wenig zielführenden Prozesse, den Kongress anzurufen. US-Innenminister Stewart Udall sprach sich nach wachsenden Spannungen dafür aus, die Land-Ansprüche der Stämme zu regeln. Erst dann sollten neue Bohrkonzessionen vergeben werden. Plötzlich waren die Landtitel das große politische Thema.

Das neue Gold, das Öl, erhöhte den Druck auf die Politik, eine Lösung zu finden. Indian Country Today schreibt: „Die Beteiligung der Ölindustrie wird oft als Katalysator für ANCSA angesehen. Inwieweit die Ölindustrie die endgültige Gesetzgebung geprägt hat, ist immer noch umstritten“.

In den Jahren zwischen 1968 und 1971 legten Betroffene und Beteiligte am Verfahren ihre Vorschläge vor, Naturschützer, Umweltschützer, verschiedene Gruppen der Ureinwohner, Ölgesellschaften und andere Unternehmen.

Die angestrebte Regelung der Landfrage setzte eine breite Mobilisierung in Gang. „In Angoon, einer Stadt mit 500 Einwohnern, gingen sie von Tür zu Tür und nahmen Spenden von Menschen entgegen – einen Dollar, fünf Dollar, zwei Dollar – was auch immer die Leute geben konnten. Sie alle trugen zum Alaska Native Claims Settlement Act bei“, zitiert Indian Country Today den Tlingit Albert Kookesh.

Am 18. Dezember 1971 unterzeichnete Präsident Nixon den ANCSA, das umfangreichste Gesetz zur Regelung von Landansprüchen in der US-Geschichte. „In den 1960er Jahren hatten wir auf nichts Einfluss. Was wir getan haben, war verdammt nahe an einer Revolution“, zitierte 1991 die Los Angeles Times Willie Hensley, den Inupiaq-Sprecher und Aktivisten der Landrechtsbewegung.

Aber der Kampf der Ureinwohner Alaskas für Selbstbestimmung und Landbesitz war noch lange nicht vorbei. Die Unterzeichnung des ANCSA war nur der erste Schritt in einem langen Prozess von Gesetzesänderungen und Unternehmensanpassungen, von denen viele noch heute diskutiert werden.

„Jeder sagt, das Gesetz sei wie eine Verfassung; es bedarf ständiger Interpretation, Änderung und Veränderung. Es ist kaum in Stein gemeißelt. Es ist ein sich änderndes Ziel „, sagte Guy Martin, ein Anwalt, der am Vergleichsgesetz beteiligt ist. Die diskutierten Ergänzungen umfassten Aktionärsregistrierungsrichtlinien, Gemeindefinanzierungszuweisungen bis hin zu Entscheidungen über die Ressourcenentwicklung und Landverkäufe.

In einer Rede vor der Alaska Federation of Natives nach der Verabschiedung des Acts sagte Senator Ted Stevens von Alaska: „Sie tragen die Last für Ihre Enkelkinder tragen und für die Stammes-Nationen in den Staaten, die immer noch eine Regelung ihrer Ansprüche anstreben … die Augen der Nation werden auf euch gerichtet sein, wenn ihr beträchtliche Vermögenswerte erwirbt und eure eigenen Angelegenheiten verwaltet.“

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