Im Namen des Sieges von 1945

Der russische Eroberungskrieg in der Ukraine als Fortsetzung des „vaterländischen Krieges“ gegen Nazi-Deutschland?

Von Wolfgang Mayr

Die plündernde, vergewaltigende, mordende und zerstörende russische Armee folgt in ihrem Krieg der Parole verjagt die Nazis. Das war schon Leitmotiv der russischen Intervention im Donbass ab 2014. Dort sollen die ukrainischen „Nazis“ einen Genozid an den „Russen“ verüben. Russischsprachige Autoren aus dem Donbass beschreiben ein völlig anderes Szenario. Nachzulesen im Buch „In Isolation“ von Stanislaw Assejew aus Donezk.

Die Erben des Bolschewisten Josef Stalin verdrängen dabei erfolgreich den Molotow-Ribbentrop-Pakt, bekannt als Hitler-Stalin-Pakt. Die Sowjetunion und das Dritte Reich überfielen 1939 in koordinierter Absprache die Länder des östlichen Mitteleuropas und teilten sich die territoriale Beute auf. Mit meist tödlichen Folgen für viele Menschen in diesen „Bloodlands“. Die für die westlichen Staaten überraschende Zusammenarbeit zwischen den beiden totalitären Staaten färbte sich deutlich auf die Nachkriegspolitik der Sowjetunion ab. Diese praktizierte kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges und nach 1945 ethnische Säuberungen im großen Stil, eine der tragenden Säulen der NS-Eroberungspolitik.

Kriegspräsident Putin kopiert die Nationalitätenpolitik des Dritten Reichs. Dieses empfand sich als Schirmherr der vielen deutschen Bevölkerungsgruppen im östlichen Europa und nutzte diese auch als fünfte Kolonne zur Zerstörung ihrer Staaten. Putin sammelt „russische Erde“ ein, in Georgien, annektierte die Krim, ließ im ukrainischen Donbass Krieg gegen den ukrainischen Staat führen. Der damalige Probelauf 2014 wurde Ende Februar 2022 zur gängigen Praxis. Putin ließ seinen Krieg auf die ganze Ukraine ausweiten.

Wege des angeblich überraschenden Widerstandes will das Putin-Regime nur mehr die „russischen“ Teile der Ukraine heim ins Reich holen, den gesamten Osten und Süden des Landes. Vorerst. Diese „Befreiung der Russen“ aus der ukrainischen „Fremdherrschaft“ und die Heimholung wird am 9. Mai im Sinne des Sieges von 1945 auf dem Roten Platz in Moskau gefeiert werden.

Dieser Tag des Sieges am 9. Mai erinnert an den Sieg der Sowjetunion über das nationalsozialistische Deutschland. Die Plattform dekoder bezeichnet den 9. Mai als den wichtigsten russischen Nationalfeiertag. Die bisher praktizierte und monopolisierte Erinnerungskultur dient aber immer weniger dem Gedenken, sondern vielmehr der Legitimation politischer Herrschaft, analysiert dekoder die historische Handhabung dieses Tages. Der Publizist Sergej Tschapnin sprach schon 2011 von einer „Zivilreligion“, die Feindbilder pflegt, Kriege glorifiziert und den Stalinismus rechtfertigt.

Der Kampf gegen den Faschismus im Geist von 1945 legitimiert das Regime von Putin, aber auch den Krieg in der Ukraine. Die Geschichtspolitik dient Putin zur Festigung seines autoritären Staates und untermauert ideologisch die von diesem Staat praktizierte entgrenzte Gewalt. Der Politikwissenschaftler Sergej Medwedew stellte  auf dem russischen Online-Medium Holod die Frage, wie diese Zivilreligion funktioniert.

Medwedew schreibt, dass er voller Angst den 9. Mai erwartet: „Weil Putin womöglich eine Parade zum Sieg über den imaginären Nazismus veranstalten will, wohl gar mit einer Vorführung gefangener „faschistischer Bandera-Anhänger“, Banderowzy, auf dem Roten Platz – sie haben ja bereits im August 2014 in Donezk ukrainische Kriegsgefangene vorgeführt. Hinter ihnen schrubbte eine Straßenreinigungsmaschine ihre Spuren weg, genau wie 1944 in Moskau.“

Putin braucht deshalb in seinem Krieg in der Ukraine einen Sieg, einen großartigen vorzeigbaren Erfolg wie die „Befreiung“ der Ost-Ukraine, von Mariupol und Odessa sowie deren Annexion an Russland. Unter der roten Fahne samt Hammer und Sichel und der russischen Flagge. Die zerstörten Städte sind in der Putin-Logik genauso ein Erfolg, wie die verschleppten mehr als eine Million UkrainerInnen, die Vergewaltigten und Ermordeten. „Putin muss seinem blutrünstigen Publikum einen Sieg vorweisen“, warnt Medwedew „und wenn es im Feuerschein einer Atomexplosion ist.“

Im 9. Mai beginnt für Putin seine Gründungsgeschichte. „Die beginnt weder 1917, noch 1991, noch 1999 (obwohl, wieso erklärt man eigentlich nicht die Sprengung von Wohnhäusern in Tschetschenien im September 1999 zum Anfangspunkt?), sondern 1945 in Jalta und Potsdam, als Stalin mit einem Bleistift in der Hand über der Weltkarte stand“, schreibt Medwedew auf dekoder.

Der Vorlauf auf diese Entwicklung begann in den 2000er Jahren, führt Medwedew weiter aus. „Der 9. Mai dehnte sich auf die gesamte historische Zeit aus, wurde gleichzeitig Gedenkkult und Zukunftsentwurf,“ schaut Medwedew zurück. Damals tauchten nicht zufällig an den Autos die ersten Sticker mit dem „Spruch „Wir können das wiederholen“ – die Besetzung von Berlin – auf, mit geschmacklosen Bildern, wie Hammer und Sichel ein Hakenkreuz vergewaltigen. (Muss man erwähnen, was in Butscha und Irpin aus diesem Vergewaltigungskult geworden ist?).“

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