Chile sucht den Frieden

Mit einer Friedenskonferenz will Präsident Boric das „Mapuche-Problem“ lösen (Teil 3).

Von Wolfgang Mayr

Die „Kommission für Frieden und Verständigung“ soll den historischen Konflikt zwischen dem chilenischen für „Siedler“-Staat und den Mapuche lösen. Ein „Konflikt“, der seit der spanischen „Landnahme“ schwelt. Ein schwieriges Unterfangen für den moderaten Links-Präsidenten Gabriel Boric.

Nach seinen Besuchen in der Mapuche-Region Araucanía kündigte Boric die Einsetzung der Kommission an. Sie soll den Landanspruch der Mapuche definieren und Verfahren mit konkreten Fristen vorschlagen. Die Versäumnisse des Staates gegenüber den Mapuche sollen endlich nachgeholt werden. 

Die Mapuche sind das größte der insgesamt acht indigenen Völker. Sie stellen zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Laut der Volkszählung 2012 gaben zwei Millionen Menschen an, eine indigene Herkunft zu haben. Die meisten Chilenen sind teilweise indigener Abstammung, fühlen sich aber keiner indigenen Ethnie zugehörig, empfinden sich als Chilenen.

Die Mapuche in ihren traditionellen Gebieten im Süden Zentralchiles, in der Araucania, stellen zwei Drittel der indigenen Bevölkerung. Aymara und Quechua (in Bolivien, Peru und Ecuador starke Ethnien), Atacameño, Kolla, Diaguita, Yaghan, Rapa Nui und Kawaskhar sowie die Cacahue, Chango, Picunche, Chono, Tehuelche, Cunco und Selknam zählen zu den vielen kleineren Ethnien.

Die Mapuche fordern seit Jahrzehnten die Rückgabe ihres Landes, das Forst- und Agrarunternehmen illegal in Besitz genommen haben. Bei den verschiedenen Auseinandersetzungen in den letzten Monaten kamen Indigene, Angehörige von Siedler-Gemeinden und Mitglieder der Ordnungskräfte ums Leben. Militante Mapuche fackelten landwirtschaftliche Maschinen ab.

Rechte Politiker, Polizei und Armee, meist unter dem Kommando von Angehörigen der weißen Elite, beschuldigten Mapuche-Aktive, Terror zu verbreiten, unschuldige Menschen zu bedrohen und auch zu ermorden. 

Eine machbare Einigung?

Der Intektuelle Pedro Canales widersprach und erklärte in der Tageszeitung Prensa Latina, dass die Enteignung und der gezielte Raub indigener Gebiete durch den Staat der Hauptgrund für die heutige Gewalt ist. 

Die Vereinigung der Gemeinden von La Araucanía forderte die in ihren Gebieten operierenden Unternehmen auf, für die Ausbeutung der Waldgebiete eine Entschädigung zu bezahlen, eine Waldlizenzgebühr. Der Regionalgouverneur von Biobío unterstützt das Kommissions-Anliegen, er hofft auf eine Lösung zugunsten der indigenen Bevölkerung und dass Verantwortung für alle Opfer, Mapuche und Nicht-Mapuche, übernommen wird. Der Gouverneur erinnerte daran, dass viele Angehörige indigener Bevölkerungsgruppen infolge der Zwangsumsiedlung Menschenrechtsverletzungen erlitten haben.

Der Politikwissenschaftler Luis Javier Ruiz zeigte sich im HispanTV skeptisch, dass eine Einigung erzielt werden kann. Ruiz geht davon aus, dass die Mapuche das von ihnen beanspruchte Land nicht zurückerhalten werden. Die rechten Parteien in Allianz mit dem „Sicherheitsapparat“ und der Armee warnen vehement vor der Landrückgabe, weil diese die nationale Sicherheit gefährden könnten. Territoriale Autonomie, tönen die Erben der Eroberung, zerstört den Einheitsstaat. Deshalb wird es von dieser Seite ein Veto geben, prophezeit Ruiz.

Die von einer Lösung zugunsten der Mapuche betroffenen Unternehmen werden das Parlament mächtig unter Druck setzen, ist der Politologe überzeugt. Die Kommission mag möglicherweise eine Einigung erzielten, das Parlament mit seiner rechten Mehrheit wird diese Einigung zu verhindern wissen.

Verfassungsreform ohne Indigene

Der Politologe Luis Javier Ruiz, ein Schwarzmaler, ein Pessimist? Nein, in Chile befindet sich der „Siedler-Staat“ im Krieg gegen die Mapuche, gegen die indigene Bevölkerung. Ein weiteres Beispiel dafür ist die konsequente Ausgrenzung indigener Vertreterinnen und Vertreter aus der Expertenkommission, die eine neue Verfassung ausarbeiten soll.

Diesen Vorwurf formulierte die Ex-Präsidentin der ehemaligen Verfassungsgebenden Versammlung, Elisa Loncón. Indigene Gemeinschaften erhielten bei der Erarbeitung einer neuen Verfassung kaum ein Mitspracherecht. Eine Ausgrenzung, die die streitbare Loncón mit der südafrikanischen Apartheid vergleicht. Die Kommission grenzt Indigene aus, wirft Loncón chilenischen Politikern eine antiindigene Apartheid-Politik vor.

Die Mapuche-Intellektuelle wirbt für ein „multinationales Chiles“, für territoriale Selbstverwaltung indigener Regionen samt Sprach- und Kultur-Autonomie, als Gegenprojekt zum Kolonialismus der herrschenden Elite.

Für Loncón ist eine Demokratie keine Demokratie, ohne die indigenen Gemeinschaften und ihre kulturellen, territorialen, autonomen Rechte sowie ihr Recht auf Selbstbestimmung zu berücksichtigen.  

Im Buch De triunfos y derrotas: narrativas críticas para el Chile actual, „Von Triumphen und Niederlagen: Kritische Narrative für das heutige Chile“ verarbeitete Loncón das Scheitern der Volksabstimmung am 4. September 2022. Die Mehrheit lehnte einen Verfassungsvorschlag ab, der von einer paritätischen und demokratisch gewählten Versammlung erarbeitet wurde.

Inzwischen beschäftigt sich eine neue Kommission mit einem Reform-Entwurf. Dieser wird einem 50-köpfigen Verfassungsrat vorgelegt, in dem nur zwei Indigene vertreten sind. Im vorherigen Rat waren es immerhin 17 indigene Abgeordnete.

Weiterführende Informationen:

Indigenen Völkern in Brasilien droht weiterer Landverlust und Vertreibungen | amerika21

Ecuador: Exodus ums Überleben | amerika21

Agrarreform oder Repression gegen Kleinbauern in Honduras? | amerika21

Lateinamerika: Chinesische Investitionen gefährden indigene Gemeinschaften und Umwelt – NPLA

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website ist durch reCAPTCHA geschützt und es gelten die Datenschutzbestimmungen und Nutzungsbedingungen von Google

Zurück zur Home-Seite