Unerwünschte Indios

Lateinamerikanische Staaten setzen auf inneren Kolonialismus

Von Wolfgang Mayr

Der Hoffnungsträger der chilenischen Linken, Staatspräsident Gabriel Boric, wird immer mehr zu einem Indio-Hasser. Boric führt die Politik seiner Vorgänger gegen die Mapuche fort. 

Seit zwei Jahren herrscht in der Mapuche-Region im mittleren Chile der Ausnahmezustand. Präsident Boric ließ die Militärpräsenz auch noch verstärken. Die Mapuche beklagen deshalb die zunehmende Militarisierung. 

Die Antwort des Staates auf Gewalt, Terror und Mord in der Mapuche-Region. Die Sicherheitskräfte machen dafür die Mapuche-Organisation Coordinadora Arauco Malleco (CAM) verantwortlich. Ihr Gründer und Vorsitzender Héctor Llaitul Carrillanca ist deshalb von einem Gericht zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Dem 56-Jährigen wird eine Liste von Straftaten vorgeworfen, wie Holzdiebstahl, gewaltsamer und bewaffneter Aneignung von Land und Widerstand gegen die Staatsgewalt sowie “Gefährdung der inneren Sicherheit“.

Keine der militanten Gruppen bekannte sich zu dem Mord-Anschlag an drei Polizisten. Die Organisation Weichán Auka Mapu (Kampf um das rebellische Territorium) erklärte, die Morde sei kontraproduktiv für die Mapuche.

Innenministerin Carolina Tohá begrüßte die Verurteilung als “wichtige Errungenschaft“ und als “Meilenstein in der Geschichte eines jahrhundertelangen Konflikts“. 

Die CAM war die erste militante indigene Organisation der Region Araucanía, die seit den 1990er Jahren um die Territorien der Mapuche kämpft. Vor der Urteilsverkündung erklärte der Mapuche-Aktivist: “Ich rechne damit, dass ich mit dieser Strafe die volle Härte dieses Staates zu spüren bekommen werde, weil wir uns nicht verstehen können und der Konflikt sich nicht auflösen wird. Es gibt einfach keine Verständigung zwischen den Mapuche, die sich für ihre Grundrechte einsetzen, und dem chilenischen Staat“. 

Im Visier der Illegalen

Auch der Nachbar-Staat Peru bedrängt die indigenen Völker, besonders in der Amazonas-Region. Dort werden indigene Aktivist:innen verfolgt, berichtet die Plattform nachrichtenpool lateinamerika, auch ermordet. Eine konkrete Bedrohung. UN-Sonderberichterstatterin Mary Lawlor verurteilte kürzlich den Angriff auf den Vizepräsidenten des indigenen Dachverbandes Aidesep, Miguel Guimaraes. 

Guimaraes wurde angegriffen, nachdem er in peruanischen und internationalen Foren die illegalen Aktivitäten in indigenen Gebieten wie in seiner Heimat-Region Ucayali kritisiert hatte. 

In den vergangenen Jahren wurden mehr als 30 indigene Umweltschützer*innen im peruanischen Amazonasgebiet ermordet. Getötet, weil sie ihre Territorien und ihre Rechte gegen illegalen Holzeinschlag, illegalen Bergbau und Drogenhandel verteidigt hatten.

Eskalierende Landkonflikte

In Brasilien nahmen trotz linker Präsidentschaft die Konflikte zwischen indigener Minderheit und Mehrheitsgesellschaft zu. Laut einem Bericht der Comissão Pastoral da Terra (CPT, pastorale Landkommission) eskalierten die Landkoflikte. Bei mehr als 2.200 Auseinandersetzungen waren fast 950.000 Menschen betroffen. Die meisten Streitfälle fanden im Nordosten und Norden statt. 

Der Bericht belegt, dass der Zugang zu Land zu den Auseinandersetzungen führte, aber auch der Zugang zu Wasser und Versklavung von Indigenen.

Verantwortlich für die Gewalt sind vor allem Landwirte, (lokale) Regierungen, Geschäftsleute, Wasserkraftwerke oder Bergbauunternehmen. Betroffen von dieser Gewalt sind indigene Völker, Fischer, Fluss-Anrainer:innen, Quilombolas (Nachfahren afrikanischer Sklaven) und Landlose.

“Historisch” hoch sind Auftragsmorde im Zusammenhang von Landkonflikten. 64 Morde dokumentierte die CPT, die Opfer waren Indigene, landlose Arbeiter:innen, Landbesetzer:innen, Angehörige der Quilombola-Gemeinden.

Die CP kritisierte scharf die Rolle des Staates. So werde die Agrarreform nicht umgesetzt genausowenig die Demarkierung indigenen Landes. Der Staat versage auch bei der Schlichtung der angesprochenen Konflikte. Die Abwesenheit des Staates schaffe Raum für Landraub und für die Vertreibung indigener Völker aus ihren demarkierten Territorien.

Besonders Großgrundbesitzer schürten Hass gegen Indigene und Landlose. Deshalb sei die Agrarindustrie ein Treiber der Landkonflikte und deren Verbindungen zur extremen Rechten. Diese unterstützt die Expansion der Agrarindustrie auf Kosten der einheimischen Bevölkerungsgruppen. Die Folgen seien ökologische und soziale Missstände. 

Die CPT wurde 1975 während der Militärdiktatur von der katholischen Kirche gegründet. Seitdem engagiert sie sich für eine Landreform und für die Rechte von Landarbeiter:innen.  

Der Exodus in den Norden 

Der CPT-Bericht scheint nicht nur für Brasilien zu gelten. Er beschreibt auch die Lage in den anderen lateinamerikanischen Staaten. Der einstige Hinterhof der USA, in dem Washington keine Reformkräfte duldete, ist in Aufruhr. Die Menschen verlassen ihre Heimat. 

Armut, soziale Ungleichheit, wirtschaftliche Entbehrungen und repressive Regime sowie Naturkatastrophen treiben Menschen ins Exil. Nordwärts, in die USA. Die Flüchtenden geraten unter Druck staatlicher Institutionen und der organisierten Kriminalität. “Der Exodus wird zu einem einträglichen Milliardengeschäft, an dem sich Drogenkartelle, Menschenhändler und korrupte Beamte bereichern. Die Geflüchteten sterben bei Massenexekutionen, ersticken in überfüllten Schiffscontainern, die den Rio Grande hinuntertreiben, sie verhungern in der Wüste von Arizona oder fallen in die Hände von Banden und werden ermordet, wenn ihre Familien das geforderte Lösegeld nicht zahlen können,” schreibt der mexikanische Autor José Vasconcelos über das “Jahrhundert des Exodus”. Neu ist, führt Vasconcelos aus, dass die Entführung der Armen zu einem Industriezweig geworden ist. 

2023 verließen mehr als zwei Millionen Menschen ihre Heimat in Richtung Norden, aus Mittelamerika, der Karibik, aus Venezuela, Kolumbien, Peru, Ecuador, Bolivien sowie aus Afrika und asiatischen Ländern. Gleichzeitig flüchten Venezolaner:innen in andere lateinamerikanischer Länder, laut UNHCR sollen es mehr als acht Millionen Menschen sein. 

Als Migrations-Drehkreuz dient Nicaragua, auch für Menschen aus Asien und Afrika. 2022 und 2023 kamen 600.000 Menschen mit Charter- und Linienflügen aus Kuba und Haiti, aber auch aus Frankreich und Deutschland an. 

Umfragen zufolge beabsichtigt die Hälfte der 6,2 Millionen Nicaraguaner*innen, das Land zu verlassen. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Umfragen in Guatemala, El Salvador und Honduras, wo sich Tausende Menschen zusammenfinden, um Richtung Norden zu gehen. Darunter viele Angehörige indigener Völker. “Wir befinden uns im Jahrhundert des Exodus,”  

Das Wahlkampf-Thema in den USA, mit dem Donald Trump wahrscheinlich die Präsidentschaftswahlen im November gewinnen wird. 

Die US-Grenzstaaten versuchen sich abzuschotten, schwer bewaffnete Milizen jagen Migranten und Flüchtende, “Migrant*innen, die es schaffen, sehen sich mit Diskriminierung und Rassismus konfrontiert, doch für die Hunderttausenden von Zugereisten gibt es einen Arbeitsmarkt in den USA. Migrant*innen sind billige Arbeitskräfte, und wenn sie illegal eingewandert sind, nehmen sie keine Arbeitsrechte in Anspruch,” beschreibt Vasconcelos die düsteren Perspektiven in den USA. 

Eine Ironie der Geschichte. Viele Nachfahren indigener Opfer von lateinamerikanischen Militärdiktaturen, einst gesponsert von den USA, und im eigenen Land zu Fremden geworden, ziehen zu den einstigen Paten ihrer immer noch repressiven Staaten. 

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