Wasser bedroht die neuen Chicanos

In Kalifornien verlieren indigene Landarbeiter ihre Jobs und ihre Unterkünfte 

Von Wolfgang Mayr

Emilio Vasquez und seine Familie haben ihr knappes Land und ihre armselige Unterkunft verloren. Im März hatten Wassermassen im kalifornischen Pajaro, südlich von San Francisco, eine mexikanische Landarbeitergemeinde überschwemmt.

Vasquez und seine Frau, mixtekisch sprechende mexikanische Einwanderer ohne Papiere, wurden Opfer eines Dammbruchs. Der Damm gehörte zu einem Kraftwerk, der die vier Milliarden Dollar schwere Agrarindustrie von Monterey County mit Strom versorgt.

Es war schon lange bekannt, dass der südliche Dammabschnitt renovierungsbedürftig war. Der 1949 gebaute Damm steht für Pfusch, bereits in den 1950er Jahren musste schon nachgebessert werden, in den 1990er Jahren durchbrachen die Wassermassen den Damm, zwei Menschen kamen dabei ums Leben.

Im März 2023 war der Damm der monsunähnlichen Flut nicht mehr gewachsen, die schlammige Flutwelle wälzte sich zerstörend durch Pajaro, die 3.000 Einwohner mussten evakuiert werden. Wie schon 1995.

Laut dem Monterey County Agricultural Commissioner’s Office verwüstete das Wasser mehr als 8.700 Hektar Land und vernichtetet die Ernte im Wert von 264 Millionen US-Dollar. Hinzu kommen Schäden der Winterstürme von weiteren 400 Millionen US-Dollar. Tausende Landarbeiter verloren ihre Jobs und ihre kleinen Gärten. Nach der jahrelangen Dürre leidet die Landwirtschaft in Kalifornien jetzt unter zu viel Wasser.

Bedrohung durch NAFTA und Klimawandel

Der von den Republikanern samt Anhang geleugnete Klimawandel erhöht die Gefahr von Waldbränden, die Häufigkeit von Hitzewellen, die Intensität feuchtigkeitsgesättigter Luft aus den Äquatorialregionen und  verheerender Überschwemmungen.

Tausende indigene Landarbeiter aus Mexiko, die neue Chicanos, illegal, aber gebraucht von der Agrarindustrie wie Vasquez, sind schutzlos den Unwetterkatastrophen ausgeliefert. Sie konnten im März ihr Leben retten, aber nicht Unterkunft und Jobs. 

Migranten, die durch Freihandelsabkommen in den Bergen Mexikos letztendlich enteignet wurden, riskieren jetzt ihr Leben, indem sie Erdbeeren für einen Dollar pro Tag pflücken. In einem überreichen Land, in dem das Wetter aus den Fugen geraten ist. Die Landarbeiter spielen in der Weltwirtschaftspolitik und in der Klimakrise keine Rolle, leiden aber unter den Auswirkungen. Zuhause in Mexiko haben sie alles verloren. Jetzt kämpfen sie im reichsten Land der Welt ums Überleben. Der lächerlich geringe Lohn, den diese Menschen erhalten, hält die Lebensmittelpreise niedrig.

Drei Viertel der 800.000 kalifornischen Landarbeiter, darunter die meisten indigen wie Vasquez, leben „illegal“ im Land. Sie haben deshalb kein Anspruch auf Gesundheitsversorgung, auf Arbeitslosen-Unterstützung, um Unwetter-Katastrophen zu überstehen. Die meisten leben in täglicher Angst vor Abschiebung, sie akzeptieren deshalb geringe Löhne, miserable Arbeits- und Wohnbedingungen, ohne zu protestieren. Gefeuert zu werden bedeutet letztendlich abgeschoben zu werden. 

Viele dieser indigenen Landarbeiter sprechen kaum Englisch oder Spanisch. Die Folge, sie sind einer grenzenlosen Diskriminierung ausgeliefert, das ergab eine Studie über indigene Landarbeiter. Zu Beginn der Corona-Pandemie galten die Landarbeiter als systemrelevant, inzwischen zählen sie wieder zum politischen Freiwild, weil illegal.

„Was wir bei indigenen Sprechern dieser Unwetter-Katastrophe sehen, ist, dass sie unverhältnismäßig stark betroffen sind“, sagte Nancy Faulstich von Regeneración Pajaro Valley Climate Action „Indian Country Today“.

Die durch den Klimawandel verursachten Katastrophen verstärken den Umweltrassismus, in Gemeinden wie Pajaro, die nur über desolate Infrastruktur und Ressourcen verfügen, führte Michael Méndez von der University of California.

Flucht vor der Not, enden in der Not

Allein 170.000 indigene Migranten leben, so das Mixteco Indigena Community Organizing Project, großteils an der Central Coast zwischen Los Angeles und San Francisco. Fast alle Einwohnerinnen und Einwohner von Pajara sind mexikanisch und ein Drittel spricht kein Englisch. Sie sprechen meist ausschließlich indigene Sprachen.

Vasquez war Mitte zwanzig, als er 2017 seine mixtekische Gemeinde in San Martín Peras verließ. Damals versuchte Präsident Trump Einwanderer ohne Papiere abzuschieben. Präsident Biden bemühte sich um legale Wege für Migranten. Die ständige Angst vor Inhaftierung, Abschiebung und Familientrennung sorgt für  psychischen Stress unter den Einwandernden. Fakt ist auch, dass der illegale Grenzübertritt für die meisten Migrantinnen und Migranten traumatisch ist.

Vasquez und seine Frau verließen ihre Heimat, weil es keine Arbeit gab. „Es gibt kein Geld, um Lebensmittel, Schuhe, Kleidung zu kaufen, im Grunde alles, was wir brauchen“, erzählte Vasque einem mixtekischem Dolmetscher im Gemeindezentrum in Watsonville in der Nähe von San Francisco.

Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen von 1993 drückte die Preise für Mais und andere Feldfrüchte, dass sich die Kleinbauern den Anbau nicht mehr leisten konnten. Außerdem schaffte Mexiko die Agrarsubventionen ab. Die indigenen Gemeinden konnten sich nicht mehr selbst versorgen.

Die Armutstate der indigenen Bevölkerung ist doppelt so hoch wie die der nicht-indigenen Bevölkerung. Sie gehören zu den am stärksten marginalisierten Bevölkerungsgruppen Mexikos. Ein Erbe des spanischen Kolonialismus, der die Kulturen, Gesellschaften und Volkswirtschaften der Ureinwohner zerstört hat sowie sowie die Folge der fortgesetzten staatlichen Diskriminierung. Die Angehörigen der autochthonen Völker leiden unter einem niedrigen Bildungsstand, unter Arbeitslosigkeit und fehlender Gesundheitsversorgung sowie sozialer Unterstützung. 

Migranten, die hoffen, Armut und Diskriminierung hinter sich zu lassen, stranden in den USA in einer sozialen und wirtschaftlichen Sackgasse. Ihre Illegalität, also die fehlende Staatsbürgerschaft und die Ausnahmeregelungen des Bundes für Landarbeiter verschlimmern die Lage. Das US-Gesetz hat Landarbeiter vom Arbeitsschutz des Bundes ausgeschlossen, zum Beispiel der National Labor Relations Act von 1935, der Streiks in der Erntezeit untersagt.

Ohne Indigene keine Ernte

Indigene Mexikaner, sie bilden die Mehrheit der kalifornischen Landarbeiter, rangieren auf dem landwirtschaftlichen Arbeitsmarkt ganz unten, müssen mühsamere und schlechter bezahlte Aufgaben ausführen, z. B. das Pflücken von Erdbeeren. Laut einer Studie verdienen indigene Landarbeiter mehr, wenn sie unter noch miserableren Bedingungen auf Akkordbasis noch schneller arbeiten. 

Vasquez wusste nicht, wie die US-Einwanderungs-Behörde gegen illegale Migranten vorgeht, als er sein abgelegenes Dorf in Oaxaca verließ. Er wusste nichts von der Überschwemmungsgefahr in Pajaro, nichts von der Untätigkeit der Regierung mit ihren weitreichenden Folgen. Seit den großen Überschwemmungen von 1998 ist nichts passiert, es gibt nur ein Projekt auf Papier, der 400 Millionen Dollar-Projekt der Dammsicherung soll erst in zwei Jahren umgesetzt werden.

Obwohl die Bundesbehörden zu Beginn der Pandemie die Landarbeiter zu „systemrelevanten Arbeitskräften“ erklärten, gewährten sie nur begrenzte Gesundheits- und Hilfsleistungen für Arbeiter ohne Papiere. Die Landarbeiter hatten die zweithöchste COVID-Todesrate in Kalifornien, besonders betroffen die „Illegalen“. Sie warten noch immer auf Hilfen.

Mehr als 2.000 Einwohner von Monterey County haben sich bei der Federal Emergency Management Agency (FEMA) für die Katastrophenhilfe registriert. Insgesamt standen vier Millionen Dollar zur Verfügung. Indian Country Today vermutet, dass die Einwohner von Pajaro leer ausgingen, weil illegal, also nicht registriert. Die Lebenshaltungskosten im County Monterey liegen um ein gutes Drittel über dem US-Durchschnitt. „Wir leben in einem der teuersten Landkreise des Landes“, sagte Eloy Ortiz von der Regeneración Pajaro Valley Climate Action. „Und Landarbeiter gehören zu den am schlechtesten bezahlten Arbeitnehmern.“

Ann López vom Zentrum für Landarbeiterfamilien bestätigte ICT, dass 1.500 Familien mindestens 25 Millionen Dollar benötigen, um wieder auf die Beine zu kommen. Die Kleinbauern der Region, fügte sie hinzu, bräuchten weitere fünf Millionen Dollar, um sich auf dem Markt behaupten zu können. Überschwemmungen vernichteten die Erdbeer-Ernten auf 2.000 Hektar großen Feldern und damit auch die Arbeitsplätze der mixtekischen Landarbeiterinnen und Landarbeitern.

Die Hilfe kommt nicht an

Kalifornien sieht in seinem Staatshaushalt 20 Millionen Dollar für das Monterey County vor. Damit sollen die von der Flut betroffenen Menschen unterstützt werden, auch Landarbeiter ohne Papiere. Die Verteilung dieser Gelder wird laut ICT wahrscheinlich Monate dauern. Möglicherweise werden indigene Arbeiter keine Hilfe erhalten, weil sie weiterziehen und anderswo Arbeit suchen. Der Klimawandel vertreibt die illegal eingewanderten indigenen Landarbeiter.

Die Hilfe kommt spät, die direkte Katastrophenhilfe. Genauso schleppend zieht sich auch der Bau von bezahlbaren Wohnungen hin, dringend benötigt in den Tälern um Pajaro und Salinas. Die 91.000 Landarbeiter der Region leben in Behelfsunterkünften, ein Viertel völlig überfüllt, bestätigt ein Bericht des UC Merced Labor Center.

Viele landwirtschaftliche Betriebe in der verwüsteten Region beklagten in einer Studie von 2018 den Mangel an Landarbeitern. Die Betriebe stellen den Arbeitenden aber keine bezahlbaren Wohnungen zur Verfügung. Stattdessen musste der Verwaltungsbezirk einspringen und stellte südlich von Pajaro 60 Familien, meist indigene, umgebaute Gewächshäuser zur Verfügung. In diesen Behelfsunterkünften funktioniert die Belüftung nicht, Fenster lassen sich nicht öffnen, Heizung, Sanitäranlagen, Badezimmer oder Küchen fehlen.

Trotzdem wollen die völlig verarmten indigenen Bauern aus den Bergen Mexikos nach Kalifornien. Keine doch wahre Alternative. Hunderte von Menschen sterben jährlich beim Versuch, die Grenze zu überwinden, verzweifelt auf der Suche nach Arbeit. 

In Kalifornien kündigt sich die nächste Katastrophe an. Die Wetterdienste warnen vor dem El Nino. Das Wettersystem heizt den Pazifischen Ozean auf, heftige Regenfälle werden befürchtet. Der Wiederaufbau des Deiches bei Pajara wird erst in neun Jahren fertiggestellt sein, heißt es bei der Regeneración Pajaro Valley. Was passiert, wenn El Niño kommt?

Die Agrarindustrie ist auf Menschen aus Pajaro und anderen marginalisierten Landarbeitergemeinden angewiesen. Die zutiefst niedrigen Mindestlöhne erlauben es, auch die Lebensmittelpreise niedrig zu halten. Da die Landwirtschaft den schuftenden indigenen Landarbeitenden gerechte Löhne und menschenwürdige Unterkünfte versagt, ziehen sie weg. 

Weitere Infos: 

Chicanos oder Mexian-Americans, United Farm Workers, La Raza Unida

California Health Equity Impact Fund

Science Writers‘ Investigative Reporting Handbook 

Inside Climate News, 2007 gegründet und mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, ist eine Nachrichtenplattform zu Themen Klimawandel, 

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