Jiddisch – Sprache einer Minderheit: Deutschland soll das Jiddische als Minderheitensprache anerkennen

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Von Wolfgang Mayr

In Deutschland werden Sorbisch, Friesisch, Niederdeutsch, Dänisch und Romanes als Regional- oder Minderheitensprachen anerkannt. Deutschland ratifizierte hierfür die Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarates.

Nicht als Regional- oder Minderheitensprache anerkannt ist das Jiddische. Das soll anders werden. Auf der Tagung „Wie deutsch ist Jiddisch?“ des Tikvah-Instituts und der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin wurde die rechtliche Anerkennung ausgelotet. So sagte Gösta Nissen, Leiter des Minderheitensekretariats der vier autochthonen nationalen Minderheiten und Volksgruppen, die Voraussetzungen für eine Anerkennung des Jiddischen als Minderheitensprache könnte gegeben sein. Nissen verwies auf den Minderheitenstatus der SprecherInnen und auf deren Staatszugehörigkeit. Er schränkte seine Aussage aber ein, sie ist seine Privatmeinung.

Jiddisch anerkennen

Einige deutliche Schritte weiter ging Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben. Das Jiddische muss respektiert und wertgeschätzt werden, indem es „als eigenständige, reiche und lebendige Sprache“ anerkannt wird. Eine Sprache, unterstrich Klein, „die nicht nur die Vergangenheit geprägt hat, sondern auch unsere Gegenwart bereichert.“

Klein sieht in der Förderung des Jiddischen auch einen gemeinsamen Kampf gegen den Antisemitismus. Denn, so sein Argument, in einer toleranten freiheitlich-demokratischenGesellschaft haben Minderheiten und ihre Sprachen einen festen Platz in ihrer Mitte.

Der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume kritisierte die Haltung der Bundesrepublik Deutschland in dieser Sprachenfrage. So argumentierte beispielsweise der Bundesgerichtshof (BGH) 1973: „Jiddisch ist nicht Deutsch. Jiddisch ist die Sprache der Ostjuden; es vermittelt den Zugang zur jüdischen Kultur, nicht zur deutschen.“ Sprachwissenschaftlich und historisch nicht zu halten, kommentierte die „Jüdische Allgemeine“.

Sie stellt klar:“Jiddisch vermittelt allein den Zugang zur aschkenasischen jüdischen Kultur, aber eben nicht zur sephardischen Kultur (auf der iberischen Halbinsel) und ihrer Sprache, das Ladino. Es gibt zahlreiche jüdische Sprachen, nicht nur das Jiddische. Dieser Umstand scheint den deutschen Obergerichten völlig entgangen zu sein. Zumindest haben sie ihn nicht verstanden.“

Die Argumentation des BGH kritisierte die „Jüdische Allgemeine“ als eine „völkische Identitätsdefinitionen, also eine Ethnie hat nur eine Sprache.“ Der Blick auf die Geschichte ist durch und durch nationalistisch und anachronistisch. Die „Jüdische Allgemeine“ findet, dass damit ein unüberbrückbarer, aber künstlicher Gegensatz von jüdischer und deutscher Kultur geschaffen wird.

Schon wieder diskriminiert

Die rechtlichen Folgen sind negativ: So sind jüdische Zugewanderte aus der früheren Sowjetunion im Staatsbürgerschaft- und Rentenrecht schlechter gestellt als Spätaussiedler aus den gleichen Regionen, die als „deutsch“ anerkannt werden, kritisierte Blume. Konkreter: Die seit 1990 aus der Sowjetunion eingewanderten 200.000 Jüdinnen und Juden sind  bei der Rente gegenüber den eingewanderten 2,2 Millionen Spätaussiedlern aus der UdSSR benachteiligt. Die Begründung: Deutsche Verwaltungen und Gerichte haben das aschkenasische Judentum samt dem Jiddischen kurzerhand aus dem deutschen Sprach- und Kulturkreis hinausdefiniert.

Diese Position wird aber vom Gesetzgeber gedeckt. Der Bundestag stellte 1989 einhelligfest: „Die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis bedeute, dass Deutsch wie eine Muttersprache im persönlichen Bereich überwiegend benutzt worden sein müsse und dadurch ein Zugang zur deutschen Kultur möglich gewesen sei.“

Jiddisch ist Teil der deutschen Kultur

1990 begrüßten die Bundestags-Fraktionen die jüdische Zuwanderung aus der UdSSR und schwärmten von der „Revitalisierung des jüdischen Elements im deutschen Kultur- und Geistesleben“. Aus der Schwärmerei wurde ein Traum, so sollten aus den sowjetischen Juden „unsere Mitbürger werden, die sich beim Jiddischen an den wundersame[n] Klang mittelalterlichen deutschen Sprechens erinnert fühlen.“ Romantische Schwärmerei ohne politische Konsequenz.

Laut dem Jiddisten Simon Neuberg ist „das Jiddische mit dem Deutschen kulturell durch seine Geschichte verbunden,“ und das Westjiddische gehörte bis ins 18. Jh. zur Kulturgeschichte in Deutschland. Der Bruch kam mit dem Staatsbürgerschaftsgesetz von 1913, mit dem das ius sanguinis zum Kern deutschen Staatsvolksverständnis wurde.

Ein erneuter Bruch ist mehr als notwendig. In diesem Sinn fordert deshalb Michael Blume, Antisemitismus-Beauftragter aus Stuttgart, Jiddisch als Minderheitensprache anzuerkennen.In der Schweiz ist Jiddisch als „nichtterritorial gebundene Sprache“ anerkannt.

Warum schafft es Deutschland nicht, den Schutz und die Förderung seiner autochthonen Minderheiten – Dänen, Friesen, Sorben, Niederdeutsche, Sinti, Roma und Juden – in der Verfassung festzuschreiben? Unverbindliche Dokumente wie die Charta der Regional- und Minderheitensprachen und der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten reichen ganz einfach nicht aus.

Sprache einer Minderheit | Jüdische Allgemeine (juedische-allgemeine.de)

Ist Jiddisch deutsch genug? | Jüdische Allgemeine (juedische-allgemeine.de)

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