In der Zange

Armenien droht Opfer eines geopolitischen „Endgame“ zu werden. Für die russische Regierung stellt die Entwicklung keine „geostrategische“ Bedrohung dar. 

Weitere Einzelheiten Armenische Soldaten der Grenzstellung im Hochgebirge der Provinz Gegharkunik am 28. Juli 2021, die nach einem Filmbericht des armenischen Verteidigungsministeriums, aus dem das Standbild kommt, kurz vorher beschossen worden waren.

Von Wolfgang Mayr

Weder Berg-Karabach noch die süd-armenische Provinz Sjunik sind für Russland von strategischer Bedeutung. Das in der Ukraine kriegsführende Russland wird trotz der aserbeidschanischen Angriffe auf Armenien militärisch nicht intervenieren. Eine Intervention könnte die guten Beziehungen zu Aserbeidschan und zur Tükei gefährden, das will Russland vermeiden, vermutet anf_deutsch, eine PKK-nahe Nachrichtenagentur.

Für das russische Kriegsministerium wird zwar der Militärstützpunkt in Nordarmenien eine Rolle spiele, „aber aus geostrategischer“ Sicht dürfte für Russland nicht das Bündnis mit der schwachen und isolierten Republik Armenien, sondern mit der Türkei und dem Iran wichtiger sein“.

Es wird sich zeigen, ob die russische Führung Armenien und Arzach (Berg-Karabach) weiterhin finanziell und militärisch unterstützt. Fraglich ist auch, ob Russland langfristig die Mittel aufbringen kann, um Armenien abzusichern. Für Armenien stellt sich die Frage, wie das traditionelle Bündnis mit Russland ersetzt werden könnte.

Aserbeidschan und sein türkischer Pate besiegten die armenischen Milizen von Arzach, anf geht davon aus, dass dieser Sieg nur eine Etappe ihres Plans ist. Die beiden Staaten wollen eine uneingeschränkte Verbindung zu der Provinz Nachitschewan herstellen, die von Aserbaidschan durch armenisches Territorium getrennt ist. Ein nächster Krieg ist also vorprogrammiert.

Aserbeidschan wird, vom türkischen Staatspräsidenten Erdogan ermutigt, den Druck auf die Armenier erhöhen. Die jüngsten Angriffe deuten Kenner der Region als Versuch Aserbaidschans, im Schatten des Ukraine-Kriegs Fakten zu schaffen. Die angebliche russische Schutzmacht Armeniens scheint kein besonderes Interesse zu haben, oder es fehlen wegen des Überfalls auf die Ukraine die entsprechenden Ressourcen, militärisch zugunsten Armeniens einzugreifen.

Aserbeidschan begründet seine militärischen Attacken mit angeblichen armenischen Provokationen. „Aggressoren leugnen in der Regel einen kriegerischen Angriff oder behaupten, von der Gegenseite provoziert worden zu sein“, schreibt anf_deutsch. Siehe Russland und sein Vernichtungskrieg in der Ukraine.

Tatsächlich erklärte die aserbeidschanische Regierung, ihre Einheiten seien lediglich gegen „großangelegte subversive Handlungen“ der Armenier vorgegangen.  Die „Neue Zürcher Zeitung“ entgegnet, dieser Vorwurf ist aber wenig glaubwürdig. Laut „NZZ“ begründete der aserbaidschanische Verteidigungsminister die Angriffe seiner Armee auf Armenien mit „wahrscheinlichen armenischen Provokationen“.

Die EU reagierte mit Ermahnungen an beide Seiten, die Kämpfe einzustellen. Brüssel stellt damit Opfer und Täter auf eine Stufe. Der französische Staatspräsident Macron solidarisierte sich mit den Armeniern, staatstragendes Pathos, aber folgenlos.

Die „alte Dame“ der US-amerikanischen Demokraten, Nancy Pelosi, überraschte einmal mehr. Nach ihrem Besuch der demokratischen Republik Taiwan bezeichneten Pelosi und weitere demokratische Kongress-Abgeordnete Aserbeidschan als Aggressor.

Dem aserbeidschanischen Aggressor, gesponsert von der Erdogan-Türkei, fielen im 44-tägigen Krieg im Herbst 2020 mindestens 4000 armenischen Soldaten zum Opfer. Mehr als 11.000 Menschen wurden verletzt. Bei einer armenischen Bevölkerungszahl von drei Millionen Menschen ist dies großer Verlust, kommentiert anf_deutsch. Von den drei Millionen Armeniern leben nur zwei Millionen im Land. Mehr als eine Million armenische Staatsbürgehalten sich in Russland, der EU oder in anderen Teilen der Welt auf.

Die armenische Regierung sitzt zwischen den Stühlen. Sie hielt am armenisch-russischen Bündnis fest, genauso an den freundschaftlichen Beziehungen zum Iran. Keineswegs zur Freude der EU. Die Paschinjan-Regierung versuchte mit Reformen das Land zu demokratisieren, die Korruption zu bekämpfen und den Aufbau einer Zivilgesellschaft zu fördern. Für das Putin-Regime eine gefährliche Entwicklung.

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