Im Stich gelassen: Afghanischen „Ortskräften“ droht der Tod

https://www.flickr.com/photos/usace-tas/, CC BY-SA 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0>, via Wikimedia Commons

Vom Wolfgang Mayr

In vielen Regionen Afghanistans arbeiteten die Nato-Truppen mit Menschen vor Ort zusammen. Im Distrikt Masar-e Scharif, dem Einsatzgebiet der Bundeswehr, waren die Ortskräfte oft Angehörige der Tadschiken, Hazara und Turkmenen, Nationen, in Konflikt mit den Paschtunen. Die Taliban sind mehrheitlich von Paschtunen. Schon in der ersten Taliban-Ära metzelten die islamistischen „Gotteskrieger“ Tausende Hazara ab.

Der Abzug der Nato-Truppen fand fast geräuschlos statt. Die einstigen Befreier stahlen sich aus dem Land. Die angedachte, aber nicht durchdachte nation building war gescheitert. Beim Abzug nicht mitgedacht wurde die Evakuierung der afghanischen MitarbeiterInnen, in den Augen der Taliban Kollaborateure, Freiwild. Während in Deutschland die Auseinandersetzung um die Abschiebung von afghanischen Straftätern hochkochte, waren die rechtzeitige Rettung der Verbündeten kein Thema. Der rasche Siegeszug der Taliban überraschte angeblich die Nato-Staaten. Erst jetzt wird laut darüber nachgedacht, den zurückgelassenen MitarbeiterInnen zu helfen.

Diese Geschichte erinnert an den Vietnam-Krieg, an den überhasteten Abzug 1975, an die Flucht der US-Armee. Die TV-Bilder von damals von Menschen, die sich an Hubschraubern klammerten, sind noch immer beeindruckend. Auch damals schon kümmerten sich die USA nicht sonderlich um ihre Mitkämpfenden  in den Bergen Vietnams, um die Montagnards, um die Hmong.

Die ehemaligen französischen Kolonialherren bezeichneten die chamisch sprechenden indigenen Bergvölker als Montagnards, Eigenbezeichnung Dega oder Degar. Die bevölkerungsreichsten dieser Völker sind die JaraiRhadeBahnarKohoMnong und Stieng. Nach Ende der französischen Herrschaft erfolgte, vor allem im englischen Sprachgebrauch, die Einengung des Begriffs auf die indigenen Völker des zentralvietnamesischen Hochlands. Die Bezeichnung wird von Wissenschaftlern aufgrund ihrer kolonialen Geschichte kritisiert.

Alternativ wird auch die Bezeichnung Dega oder Degar verwendet. Diese hat einenpolitischen Bezug und wird vor allem von ehemaligen Anhängern der indigenen pro-amerikanischen Milizen FULRO bevorzugt, die im Vietnamkrieg auf Seiten der Amerikaner und auch noch nach 1975 gegen die vietnamesische Regierung kämpfte, sowie von Emigranten in den USA und von evangelikalen Christen. Von vietnamesischen Regierungsstellen wird die Bezeichnung abwertend, als Synonym für Rebellen verwendet.

Im Vietnam-Krieg zwischen der USA und Süd-Vietnams gegen das kommunistische Nordvietnam und dem südvietnamesischen Vietcong starben mehr als 200.000 Dega. Diese indigenen Soldaten wehrten sich gegen die Ansiedlung von Vietnamesen in ihren Berggebieten. Das Siedlungsgebiet der Montagnards umfasst die Provinzen Đắk LắkGia LaiKon Tum und Lâm Đồng. Diese hatten 2002 insgesamt rund vier Millionen Einwohner, von denen die Montagnards schätzungsweise ein Viertel ausmachten. Die Dega leben überwiegend von Landwirtschaft, wobei sie traditionell Wanderfeldbau (rotierende Brandrodung) betreiben. Traditionell praktizieren die indigenen Völker des Hochlands naturnahe ethnische Religionen. Schätzungen zufolge sind zwischen 229.000 und 400.000 Montagnards protestantische Christen evangelikaler Prägung.

Die Dega galten für die vietnamesischen Kommunisten als fünfte Kolonne der USA in ihrem Land. Die Kommunisten gingen deshalb nach Kriegsende weiterhin militärisch gegen sie vor. Ein Vorwand, um die Bergregionen für die Binnen-Migration zu öffnen. Die Dega wehrten sich lange gegen die vietnamesische Übermacht. Große Teile der kämpfenden Dega flüchtete nach Thailand und wurde von dort aus in die USA gebracht. Eine ähnliche Geschichte widerfuhr den Hmong. Erst nachdem sich das kommunistische Regime blutig an diesen indigenen Völkern für ihre militärische Zusammenarbeit mit den USA rächten, fanden sie Exil in den Vereinigten Staaten.

Die im Land verbliebenen Dega sind Bürger zweiter Klasse. Sie werden weiterhin kollektiv für ihre „Kollaboration“ vom Regime bestraft. Ulrich Delius schrieb 2005 im Dossier: „Für Glaubensfreiheit und Landrechte – Vietnams Minderheiten fordern ein Ende der Verfolgung“: „Der Lebensstandard der indigenen Bevölkerung bessert sich kaum, weil sie aufgrund der Ansiedlung von Millionen Tieflandbewohnern in ihren Regionen in immer unwirtlichere Gebiete verdrängt werden. Mehr als zehn Millionen Menschen wurden seit 1976 von staatlicher Seite in ihren Gebieten angesiedelt oder ließen sich auf eigene Initiative seither in der Bergregion nieder. Stellten die Montagnards 1940 noch einen Bevölkerungsanteil von 99 Prozent in der Region, so bilden sie heute nur noch knapp 30 Prozent der Gesamtbevölkerung im Hochland. Angezogen vom Kaffeeboom haben sich seit 1996 mehr als 400.000 Angehörige der Mehrheitsbevölkerung Vietnams in der Provinz Dak Lak niedergelassen.“

Viele Opfer, viele Geflüchtete, im eigenen Land ausgegrenzt und diskriminiert, das Schicksal der Dega. Auch das Schicksal der afghanischen Ortskräfte, egal ob es sich um Hazara, Tadschiken oder  Turkmenen handelt oder auch um Angehörige der Mehrheits-Nation der Paschtunen.

Afghanistan: Massaker an den Hazara. Die Taliban in Mazar-e Scharif im August 1998, von Andreas Selmeci, 12.10.2001 (gfbv.it)

Hazara (gfbv.de)

Hazara brauchen wirksameren Schutz (gfbv.de)

Die Hazara | National Geographic

BREVE STORIA DEL POPOLO HAZARA (movimentodalsottosuolo.com)

Vietnams Minderheiten fordern ein Ende der Verfolgung (gfbv.de)

Vietnam (gfbv.de)

Deutschlands strategischer Partner verletzt Rechte von Christen und ethnischen Minderheiten (gfbv.de)

  1. Jahrestag vom Kriegsende in Vietnam (30. April): Ureinwohner haben keinen Grund zum Feiern. Bitterer Kaffee für Deutschland: Kaffeeboom in Vietnam heizt Verfolgung ethnischer und religiöser Minderheiten an, 28.4.2005 (gfbv.it)

Gran Torino (clip5 -part 1) – „Get off my lawn!“ – Bing video

„Threatened Refugees“ (gfbv.de)

 

 

 

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