Im Kontrollwahn

MP Giorgia Meloni als Vorbild für LH Arno Kompatscher?

Von Wolfgang Mayr

Artikel 23 des Entwurfs für das Koalitionsprogramm der neuen mitterechten Südtiroler Landesregierung kommt demokratisch daher. So sei es ein wesentliches Anliegen der Koalition, den Medienpluralismus zu stärken. Klingt gut, wer will das im Land der „Dolomiten“-Dominanz nicht? Mit der angedachten Stärkung des medialen Pluralismus soll – immer laut Programm-Entwurf – der freie Zugang zu sachlicher Information und Berichterstattung gewährleistet werden. Über einen Medien-Beirat. Freier Zugang zu den Athesia-Medien, die seit Jahrzehnten für das gute aber meist für das schlechte politische Wetter sorgen? Unvorstellbar, dass das Medien-Unternehmen Athesia zu einem Befehlsempfänger des Palais Widmann wird. Will die Landesregierung der auflagenstärksten Tageszeitung vorschreiben, was sachliche Information und Berichterstattung ist? Zurecht wird Athesia diese möglichen Vorgaben als Kontrolle und Zensur zurückweisen.

Nein, es geht aber nicht um die Athesia-Produkte von den „Dolomiten“ bis zum „Alto Adige“. Es geht um die öffentlich-rechtlichen Medien, Rai und ORF. Die mutmaßlichen Koalitionäre erinnern daran, dass die öffentlich-rechtlichen Medien zu objektiver, sachlicher und ausgewogener Berichterstattung verpflichtet seien. Ein „Anliegen“ der Freiheitlichen, die sich von Rai-Südtirol diskriminiert fühlen. Das wissen die Redaktionen, handeln auch danach. Nicht von ungefähr fühlen sich immer alle Parteien „schlecht“ behandelt. Ein Beleg dafür, dass die Berichterstattung sachlich und ausgewogen ist. 

Die Redakteur:innen des Senders Bozen galten in den 1960er Jahren als verkappte italienische Agent:innen, eine ganze Generation deutschsprachiger Journalist:innen wurden kollektiv verunglimpft. Mit dem Inkrafttreten des Zweiten Autonomiestatuts 1972 entkrampfte sich die Situation, der erste deutschsprachige Chefredakteur Hansjörg Kucera und sein Vize Hugo Seyr waren Garanten für eine sachliche und ausgewogene Berichterstattung. In der Ära LH Durnwalder wurde kräftig auf den Rai Sender Bozen geschumpfen/geschimpft, links-grün-versifft. Trotz lautstarker Kritik kam Durnwalder nicht auf die Idee, der Rai in Bozen ein Kontrollgremium überzustülpen. Er finanzierte stattdessen „Südtirol heute“ vom ORF. Ohne den Südtiroler ORF-Redakteur:innen nahezutreten, in Österreich stehen die ORF-Landesstudios unter starkem politischen Druck, berichtete die Tageszeitung „Der Standard“. Laut einer „Standard“-Umfrage bezweifelt mehr als die Hälfte der Befragten, dass die ORF-Landesstudios frei und ohne politischen Druck berichten können. Die Landesstudio gelten als „Fürstentümer“. 

Der im Entstehen begriffenen Südtiroler Landesregierung geht es laut Koalitions-Entwurf um Transparenz und um den Zugang zu Informationen. Die dadurch entstehende aufgeklärte Öffentlichkeit bilden die Grundpfeiler einer funktionierenden, modernen, liberalen und demokratischen Gesellschaft. Wie haben die Verhandelnden auf die Kritik aus der sogenannten Zivilgesellschaft – wohl ein Teil der aufgeklärten Öffentlichkeit – reagiert? Der künftige italienische LH-Vize Marco Galateo von den „rechtsextremen, rechtsradikalen und rechtsnationalen“ (Zitat Sofia Ventura, Politikwissenschaftlerin Universität Bologna) Fratelli d´Italia kündigte Anzeigen an, weil er sich verunglimpft fühlt. Journalist:innen an die Kandare? Alessandro Urzi, gewählter Kammerabgeordneter der Fratelli von Vicenza, drohte der ehemaligen Chefredakteurin von Rai-Südtirol, Heidy Kessler, weil seine Partei in der Berichterstattung als postfaschistisch genannt wurde.  Eine der Konsequenzen war, dass die römische Direktion Kessler unmissverständlich empfahl, den Begriff „postfaschistisch“ im Zusammenhang mit den Fratelli nicht zu verwenden. Gelenkte Medienfreiheit. Die verschiedenen Redaktionen reagierten entrüstet auf das Vorhaben Medien-Beirat.

Trübe Aussichten. Als Vorwand für die Medienpolitik wird im Programm die Falschinformation angeführt. Die Politik will dagegen steuern. Das ist eine deftige Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, laut dieser Logik verbreitet Rai Südtirol Falschinformationen, könnte die Schlussfolgerung sein. Dieser angeblichen Falschinformationen will die Landesregierung mit einem Medienbeirat begegnen, im „Sinne des Gemeinwohls“.  Wie schaut das Gemeinwohl aus? „Unter Einbeziehung aller im Landtag vertretenen Parteien wird ein Medienbeirat errichtet, der kontinuierlich Südtirols Medien- und Informationslandschaft beobachtet, Fehlentwicklungen evaluiert und handlungsanleitende Maßnahmen für die Politik erarbeitet und vorschlägt. Die öffentliche Unterstützung von Informationsdienstleistungen in Form von Förderung auch privater Medienanbieter mit der ausdrücklichen Zielsetzung der Schaffung bzw. Bewahrung von Medienvielfalt soll fortgeführt werden.“ Die Politiker:innen evaluieren die Berichterstattung über ihr Handeln. Wenn sie nicht passt, was dann? Wird geklagt? Manche der Landespolitiker:innen tun dies bereits.

Für diese wenig demokratischen Pläne gibt es ein konkretes Vorbild. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von den Fratelli macht es vor. Ihr ist es gelungen, in wenigen Monaten die RAI unter ihre Kontrolle zu bringen. Der von Ex-MPen Draghi ernannte Senderchef Carlo Fuortes legte wegen der ständigen Angriffe auf seine Person entnervt den Job nieder. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland RND schreibt: „Sie – Meloni – will den – angeblich – vorherrschenden linken Mainstream überwinden und durch ein rechtsnationales Narrativ ersetzen, in welchem die ´Gender-Ideologie´, die ´Willkommenskultur´ und die Öko-Vandalen´´ der letzten Generation keinen Platz mehr finden sollen.“ Um dieses Narrativ durchzusetzen, benötigt Meloni die RAI dringender als Kulturinstitutionen, wohin sich ohnehin nur die von ihr verachteten ´Eliten verirren.´

Im RND-Beitrag über den „Kampf um Staatssender RAI – Giorgia Meloni im Kontrollwahn“ heißt es weiter: „Neuer starker Mann bei RAI wird nun Giampaolo Rossi, ein langjähriger Kampfgefährte, den Meloni bereits vor dreißig Jahren bei der gewaltbereiten Fronte della Gioventù (Jugendfront) des postfaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) kennengelernt hatte. Der bereuende ehemalige Putin-Verehrer (nach der russischen Invasion in die Ukraine hat Rossi seine Meinung geändert) will nun die, wie er sagt, „Dauerpräsenz der Linksintellektuellen“ im Staatssender beenden, und aufmüpfige Rapper und Influencer wie Fedez sollen ebenfalls nicht mehr ständig zu sehen sein, schon gar nicht an dem von RAI produzierten, äußerst populären Schlagerfestival von San Remo. Und natürlich sollen die Direktoren der Nachrichtensendungen in den drei Hauptprogrammen RAI Uno, RAI Due und RAI Tre ausgewechselt werden.“

Die öffentlich-rechtlichen Medien werden von rechts gekapert. Das Ungarn des illiberalen Viktor Orban ist das Modell für diese feindliche Übernahme. Die Europa-Union, keinesfalls linker Mainstream, kritisierte die Medienpolitik der Orban-Regierung als repressiv. Auf einer Veranstaltung im Mai 2021 in München stellten die Referent:innen fest, „was als Falschaussage gilt, wird von der Regierung definiert.“ Diese Bestimmung der ungarischen Regierung ist unter anderem ein Grund dafür, dass sich der Rang innerhalb eines Jahres um vier Plätze verschlechtert hat. Seitdem Orban 2010 an die Macht kam, sank das Land um fast 70 Plätze auf der Rangliste der Pressefreiheit. Ungarn hat einen (negativen) „Vorbildcharakter“ für andere Mitgliedsstaaten, seit Orbán und seine Fidesz-Partei 2010 an die Regierung kamen, haben sie die Medien nach und nach unter ihre Kontrolle gebracht. Die inzwischen abgewählte nationalkonservative PIS-Regierung in Polen agierte ähnlich repressiv.

Bleibt zu hoffen, dass der angeblich liberale Arno Kompatscher den Artikel 23 des Koalitionsprogramms vor seiner Endfassung entschärft.

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