30-09-2023
Gehört Arzach/Bergkarabach völkerrechtlich zu Aserbaidschan?
Eine Handreichung für politische Entscheidungsträger und Medien
Parlament
Von Tessa Hofmann
In unseren Medien und vor allem auch aus dem Mund politischer Entscheidungsträger des „kollektiven Westens“ hört man immer wieder, dass Bergkarabach völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehöre. Doch stimmt diese Behauptung? Zur Beantwortung blicken wir auf die entscheidenden Jahre 1920 und 1921 zurück.
Armenische Gebietsverluste
Infolge des Genozids an den indigenen Christen des Osmanischen Reiches (1912-1922) verlor Armenien neun Zehntel seines historischen Siedlungsgebiets. Das verbliebene Zehntel befand sich im Südkaukasus und wurde von den Sowjets zugunsten Georgiens und vor allem Aserbaidschans aufgespalten. Georgien erhielt das Gebiet Dschawachk (georg. Dschawacheti) im einer Fläche von 2.589 qkm, Aserbaidschan bekam mit dem russisch-türkischen Vertrag von Moskau (16.03.1921) Nachitschewan (5.500 qkm), trotz einer relativen armenischen Bevölkerungsmehrheit von 40%.
Mit Josef Stalin als Volkskommissar für Nationalitätenfragen ab 1921 wurde auch die Festlegung der Außengrenzen durch die Sowjetunion in letzter Minute geändert, um Armenien im Südkaukasus keine zu starke Stellung einzuräumen. Die neuen Gebietsgrenzen wurden am 16. März 1921 im Moskauer Vertrag mit dem Osmanischen Reich festgelegt. Armenien verlor die Bezirke Kars und Ardahan sowie das Gebiet von Surmalu mit dem heiligen Berg Ararat sowie Nachitschewan, aus dem fast sämtliche Armenier bereits zuvor wegen der Kriegshandlungen und der osmanischen Massaker geflohen war. Mit dem bilateralen Freundschaftsvertrag von Kars am 13. Oktober 1921 musste Sowjetarmenien nachträglich diese Gebietsabtretungen anerkennen.
Der gesamte Südkaukasus verlor mithin ein Territorium von fast 25.000 qkm (= ein Fünftel des gesamten Gebiets) mit einer Bevölkerung von 527.000 Menschen. Dies ging vor allem auf Kosten Armeniens.
Die historische armenische Region Arzach umfasst ein Territorium von 12.000 qkm und besaß zu Beginn der Sowjetzeit eine armenische Bevölkerungsmehrheit von fast 95 Prozent. Noch Ende November 1920 hatte das aserbaidschanische Revolutionskomitee bestätigt, dass es Berg-Karabach, Sangesur (Sjunik) und Nachitschewan als integrale Bestandteile der Armenischen Sozialistischen Republik anerkenne. Diese Anschlusszusicherung bestätigen am 12. Juni 1921 die Regierungen Sowjetaserbaidschans und Armeniens:
Bezüglich des fast ausschließlich von Armeniern bevölkerten Bergkarabach hatte das Kaukasische Büro des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Russlands noch am 4. Juli 1921 dessen Anschluss an Armenien beschlossen. Doch der Vorsitzende des aserbaidschanischen Revolutionskomitees, Regierungschef Nariman Narimanow, drohte mit Konterrevolution und erzwang am 5. Juli 1921 die Revision zugunsten Aserbeidschans: Berg-Karabach wurde Sowjetaserbaidschan zugeschlagen und erhielt lediglich das „volle Recht zur Selbstverwaltung“.
Karabach sollte ein autonomes Gebiet innerhalb Sowjetaserbaidschans werden, dessen Grenzen die sowjetaserbaidschanische Regierung zwei Jahre später festlegen sollte. Danach umfasste das Autonome Gebiet Berg-Karabach (AGBK) nur das zentrale Drittel (4400 km2) der historischen Provinz Arzach (12 000 km2). Die nördlich an das AGBK angrenzenden Bezirke Schamchor, Chanlar, Daschkessan und Schahumjan erhielten keinerlei Autonomie, obwohl auch sie, teilweise noch bis 1988, mehrheitlich von Armenien bewohnt wurden.
Aserbaidschan hat von jeher behauptet, dass Berg-Karabach bereits 1918-1920 Bestandteil der vorsowjetischen Republik Aserbaidschan gewesen sei, was freilich nicht zutrifft. Die britische Okkupationsmacht hatte den Aserbaidschaner Chosrow Bek Sultanow als Gouverneur für eine Interimsregierung – also temporär – bis zum Abschluss der Pariser Friedenskonferenz dort eingesetzt. Damit war keinerlei endgültiger Beschluss gefasst, in welches Hoheitsgebiet Berg-Karabach nach Friedensschluss fallen sollte. Nachdem Sultanow in Bergkarabach ab dem 23. März 1920 etwa 22 000 Armenier massakrieren ließ, hatte er seine viel zu langanhaltenden Sympathien bei den Alliierten verspielt.
Obwohl das frühe Sowjetrussland grundsätzlich das Selbstbestimmungsrecht hochhielt, erfolgte der Anschluss Bergkarabachs an Sowjetaserbaidschan willkürlich. Im Nachfolgenden zitiere ich die Beurteilung führender Völkerrechtler aus dem noch unveröffentlichten Buch Das geopolitische Schicksal Armeniens: Vergangenheit und Gegenwart (von Winfried K. Dallmann und Tessa Hofmann):
Völkerrechtliche Beurteilung
(…)
„1) Ist die Unterordnung Berg-Karabachs unter Sowjetaserbaidschan von 1921 völkerrechtlich bindend?
Berg-Karabach war, bevor der Südkaukasus 1921 der Sowjetmacht untergeordnet wurde, entgegen Aserbaidschans Behauptung, NICHT Teil des unabhängigen Aserbaidschan. Aus der Reihenfolge der Geschehnisse 1920-21 ist es offensichtlich, dass das Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Sowjetrusslands noch am 4. Juli 1921 den Anschluss Berg-Karabachs an Armenien aufgrund der Bevölkerungsmehrheit und der überwiegenden armenischen Tradition in diesem Gebiet für richtig hielt. Die gegenläufige Entscheidung Stalins vom 5. Juli ist eindeutig auf politischen Druck Aserbaidschans unter Rücksichtnahme auf die Stimmung in der muslimischen Bevölkerung des Südkaukasus zurückzuführen. Der Wunsch der Bevölkerung Berg-Karabachs wurde dabei vollständig übergangen. Es stellt sich die Frage, ob diese Zwangsunterordnung unter aserbaidschanische Souveränität eine ausreichende Grundlage für die ständig wiederholte Behauptung bietet, Berg-Karabach gehöre auch nach der Selbstauflösung der Sowjetunion völkerrechtlich zu Aserbaidschan. Diese Frage ist auch deshalb von außerordentlicher Bedeutung, weil Aserbaidschan sich bei seinen Militärangriffen und Kriegshandlungen mit eben diesem Völkerrecht rechtfertigt.
Der Völkerrechtler Otto Luchterhandt (2010, S. 35f.) meint dazu:
„(a) Die Armenier Berg-Karabachs sind Teil eines Volkes, das im Osmanischen Reich Opfer eines Völkermordes wurde und nur durch ihre Flucht in die angestammten armenischen Siedlungsgebiete im Südkaukasus als Nation überleben konnte. Ihre Traumatisierung unter türkischer Fremdherrschaft verleiht dem Wunsch der im Südkaukasus kompakt wohnenden Armenier, sich in einem eigenen Staat selbst zu regieren, besondere Kraft: sie wollen gegen ethno-nationale Diskriminierung, Verfolgung und Vernichtung ein für alle Mal geschützt sein.
(b) Die Chance, das durch das erlittene Schicksal zusätzlich begründete nationale Selbstbestimmungsrecht zu verwirklichen, bot sich unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Ihre Realisierung verhinderte 1921 die Führung der Kommunistischen Partei Russlands (Bolschewiki). Das geschah durch die Entscheidung, das im Südkaukasus lebende armenische Volk auf drei Verwaltungsgebiete aufzugliedern: die Sowjetrepublik Armenien als Staat sowie Nachitschewan und Berg-Karabach als Autonomien im Republikverband Aserbaidschans. Keiner anderen Nation hat die KP-Führung Russlands bzw. der Sowjetunion eine solche Entscheidung zugemutet. Sie widersprach krass einem der Grundprinzipien der Russischen Revolution, dem Selbstbestimmungsrecht der Völker.
(c) Die maßgebend von Stalin bewirkte Entscheidung des Kaukasus-Büros der RKP(b) vom 5. Juli 1921, Berg-Karabach der Sowjetrepublik Aserbaidschan zuzuschlagen, kann keine Legitimität beanspruchen, auch wenn sie bis zum Ende der Sowjetunion nicht revidiert wurde: Erstens wurde sie von einem Parteiorgan getroffen, das keine demokratische Legitimation besaß, sondern sich nur auf die Macht der im Kaukasus siegreichen Roten Armee stützen konnte. Zweitens wurde die betroffene Bevölkerung nicht gefragt. Drittens war die Entscheidung willkürlich, weil sie offensichtlich dem nationalen Selbstbestimmungsrecht widersprach, denn Aserbaidschan konnte nicht beanspruchen, dass das fast ausschließlich von Armeniern bewohnte Berg-Karabach von der angrenzenden Sowjetrepublik Armenien abgetrennt wurde.
(d) Die Armenier Berg-Karabachs und der Republik Armenien haben die Entscheidung niemals akzeptiert, sondern während der gesamten Sowjetepoche unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der UdSSR-Verfassung kontinuierlich, teils durch Eingaben ihrer Repräsentanten, teils durch Massenpetitionen gefordert, die Vereinigung Berg-Karabachs mit der Republik Armenien zu beschließen. Sie haben durch dieses Verhalten den festen Willen zur Einheit und zur Selbstbestimmung ihrer Nation politisch überzeugend, wenngleich ohne Erfolg, bekundet und konnten sich dabei moralisch im Recht fühlen.“
2) War die Unabhängigkeitserklärung Berg-Karabachs von der Sowjetunion 1991 nach damals herrschendem sowjetischen Recht legitim?
Die Behauptung „Berg-Karabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan“ wird auf internationaler Ebene ständig wiederholt. Da diese These – soweit sie nicht nur unreflektiert nachgesprochen wird – die allgemeine Auffassung zu sein scheint, wird dadurch implizit behauptet, dass die Unabhängigkeitserklärung Berg-Karabachs nicht legitim war. Dies wird folgendermaßen begründet:
Bergkarabach war als autonomes Gebiet der Aserbaidschanischen Sozialistischen Sowjetrepublik unterstellt (Artikel 86 und 87 der Verfassung der UdSSR). Artikel 78 der Verfassung stellt fest, dass das Territorium und die Grenzen einer Unionsrepublik nur mit beidseitigem Einverständnis und der Zustimmung des Obersten Sowjets geändert werden können. Die Resolution der Armenischen Sozialisten Sowjetrepublik vom 15. Juni 1988 über den Anschluss Berg-Karabachs an Armenien wurde vom aserbaidschanischen Obersten Sowjet abgelehnt, der am 17. Juni eine Gegenresolution verabschiedete, in der die Zugehörigkeit von Berg-Karabach zu Aserbaidschan bestätigt wurde. Am 18. Juli lehnte der Oberste Sowjet der Sowjetunion den Anspruch der Armenischen SSR ab und bestätigte den der Aserbaidschanischen SSR. (de Waal 2013, 62)
Nach Krüger (2009) erlaubte das Austrittsgesetz der UdSSR den autonomen Einheiten innerhalb einer Unionsrepublik, entweder in der abspaltenden Republik oder in der UdSSR zu verbleiben. Dabei wäre die Unabhängigkeit keine Option. Darüber hinaus wäre der Prozess der vollkommenen Sezession nach diesem Gesetz sehr lang und kompliziert und diese Prozedur wurde nicht eingehalten.
Otto Luchterhandt (2010), Rechtswissenschaftler und Prof. emeritus an der Universität Hamburg, argumentiert ausführlich gegen diese Auffassung. Rein rechtlich gesehen habe Aserbaidschan es durch sein eigenes Nichteinhalten der Vorschriften für seinen Austritt aus der Sowjetunion für Berg-Karabach (z.B. fehlendes Referendum) unmöglich gemacht, seinerseits die gesetzmäßige Prozedur der Sezession einzuhalten: „Das Argument liegt hart an der Grenze zum Zynismus. Jedenfalls kollidiert es mit dem allgemeinen, universell geltenden Rechtsprinzip der Fairness. Es wäre nämlich unfair, unanständig und sogar arglistig, wenn Aserbaidschan, nachdem es das ihm vorgeschriebene Austrittsverfahren vermieden und bewusst verletzt und Berg-Karabach es gerade dadurch unmöglich gemacht hat, das Austrittsverfahren einzuhalten, Berg-Karabach die Verletzung des Austrittsgesetzes vorhielte und damit die Unwirksamkeit seines Austritts aus Aserbaidschan begründen würde, obwohl allein Aserbaidschan die Ursache dafür gesetzt hat, dass Berg Karabach das gesetzliche Verfahren nicht einhalten konnte.“ (Luchterhandt 2010, 46 )
3) Hatte Berg-Karabach unter den gegebenen Verhältnissen das Recht zur Sezession (Abspaltung)?
Die gegebenen Verhältnisse umfassen hier die langfristige Benachteiligung der sowjetarmenischen Bevölkerung Berg-Karabachs, die Aufhebung der Autonomie Berg-Karabachs durch Aserbaidschan sowie Übergriffe – Massaker und Vertreibungen – gegen die armenische Bevölkerung in Aserbaidschan, die von den Behörden des Landes geduldet und nicht ausreichend geahndet wurden. Die 2008 durchgeführte Sezession des Kosovo bildet völkerrechtlich einen Vergleichsfall.
Peter Ørebech (in Review), Rechtswissenschaftler und Prof. emeritus an der Universität Tromsø, konkludiert in seiner völkerrechtlichen Analyse dahingehend, dass die Bewohner von Bergkarabach im völkerrechtlichen Sinne „ein Volk“ seien. Im Sinne der Konvention von Montevideo besaßen sie im juristischen Sinne, unabhängig von internationaler Anerkennung, Staatskompetenz, da sie ein Territorium und demokratisch gewählte Regierungsorgane besaßen und in der Lage waren, Verträge zu schließen (OAS.org).
„Unabhängigkeitserklärungen können ein einseitiges Abspaltungsrecht auslösen, und zwar nicht nur in offensichtlichen Fällen wie Unterdrückung, Vorherrschaft und Ausbeutung durch das Ausland, sondern auch in anderen Fällen. Der mögliche Übergang Berg-Karabachs an Armenien ist und war ein strittiges Thema. Ein starkes Argument für ein einseitiges Abspaltungsrecht von Aserbaidschan ist die Aufhebung der inneren Autonomie Berg-Karabachs durch diese Zentralmacht. Mit einem Bevölkerungsanteil von etwa zwei Prozent ist es für die Armenier unmöglich, ihre Anliegen in Aserbaidschan auf demokratische Weise vorzubringen. Damit wird das System mit dem Willen des Volkes als oberster Instanz – vgl. Artikel 1 der UN-Charta – außer Kraft gesetzt und damit auch die Legitimität der Zentralgewalt und die Loyalität des Volkes aufgehoben.
Ihres Selbstbestimmungsrechts beraubt, haben die Unterdrückten das Recht, ihr Schicksal ‚in die eigene Hand‘ zu nehmen. Die Staatenpraxis hat eine solche einseitige Sezession zu einer völkerrechtlichen Regel im Einklang mit dem geltenden Recht entwickelt ….“ (Ørebech, in Review)
Ørebech betont weiter, dass „… der Internationale Gerichtshof (IGH) sich weder mit den Bedingungen für einen einseitigen Austritt aus einem Staat befasst noch mit der Frage, ob das Volk des Kosovo im Falle von Menschenrechtsverletzungen das Recht auf Abspaltung hat. Der Fall des Kosovo zeige aber, dass das Recht auf Sezession ‚für Völker in nicht selbstverwalteten Gebieten und für Völker, die fremder Unterwerfung, Herrschaft und Ausbeutung ausgesetzt sind‘, gälte (ICJ 2010). …
… Aus der Kosovo-Beurteilung des IGH und der Staatenpraxis lässt sich ableiten, dass das Völkerrecht einseitigen Trennungsansprüchen außerhalb der ‚kolonialen Unterdrückung‘ nicht im Wege steht. Der Zusammenbruch eines Staates (‚failing states‘), wie das Chaos im Kosovo, oder diktatorische ‚Maßnahmen‘, die die interne Selbstverwaltung beseitigten, können einen einseitigen Rückzug legalisieren, wenn die Bevölkerung dies eindeutig unterstützt. Da davon ausgegangen wird, dass das nationale Recht im Einklang mit dem Völkerrecht steht, hat das in langjähriger Staatspraxis entwickelte Recht auf Loslösung Vorrang vor der territorialen Integrität.
Langanhaltende Unruhen, Pogrome und der Verlust der inneren Autonomie in Berg-Karabach, ohne dass eine Verhandlungslösung möglich gewesen wäre, haben das Gebiet in eine Situation gebracht, die nur durch eine ‚heilende Sezession‘ gelöst werden kann. Der Wille des Volkes muss befolgt werden, wenn die Welt das Ziel der UN, Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln zu lösen, erreichen will.“ (Ørebech, in Review)
Die vollständige Abspaltung von Aserbaidschan war für Berg-Karabach die einzige Lösung, die zwar noch nicht erprobt worden, aber dringend erforderlich war. Wie es die Beurteilung des Internationalen Gerichtshofs im Falle des Kosovo zeige, stehe dies nicht im Widerspruch zum Völkerrecht. Diese Auffassung vertritt auch Luchterhandt (2010).
4) Hatte Aserbaidschan das Recht, wegen des anhaltenden Stillstands der OSZE-Verhandlungen durch die Minsker Gruppe den De-facto-Staat Arzach durch einen Angriffskrieg gewaltsam zu erobern?
Günther Bächler (2020), Spezialgesandter im Südkaukasus für den OSZE-Vorsitz von 2016 bis 2018, schreibt dazu: „Berg-Karabach verfügt – obwohl international nicht anerkannt – über sämtliche Kriterien eines De-facto-Staates. Daraus leiten sich Rechte und Pflichten (gewählte und funktionsfähige Institutionen, Schutz der Bevölkerung usw.) ab, aus welchen sich eine zumindest partielle Völkerrechtssubjektivität ableiten lässt. Aufgrund dessen ist die ‚Republik Arzach‘ gegen Angriffe von außen durch das allgemeine völkerrechtliche Gewaltverbot geschützt (Art. 2, UN-Charta) und zur Selbstverteidigung befugt (Art. 51). Dazu haben sich namhafte Völkerrechtler geäußert (prominent Otto Luchterhandt von der Universität Hamburg).“
Der Umstand, dass Arzach die umliegenden aserbaidschanischen Bezirke, die ihrerseits Bestandteil des historischen Arzach waren, im ersten Karabach-Krieg unter seine Kontrolle brachte, so dass die aserbaidschanische Bevölkerung floh oder vertrieben wurde, hat das Problem natürlich verschärft. Andererseits bewahrheitete sich nach dem zweiten Karabach-Krieg die Befürchtung, dass Arzach ohne diese Schutzzone sich gegen völkerrechtswidrige Angriffe von aserbaidschanischer Seite nicht hätte verteidigen können. Das war ja auch der Grund für die während der OSZE-Verhandlungen von Armenien fortgesetzt geforderten, aber von Aserbaidschan abgelehnten Sicherheitsgarantien – was letztendlich dazu führte, dass es zu keiner Verhandlungslösung kam.
Völlig unabhängig von der völkerrechtlichen Anerkennung der Republik Arzach waren also die militärischen Angriffe Aserbaidschans auf diesen De-facto-Staat völkerrechtswidrig. Das wussten die Verantwortlichen in Aserbaidschan nur zu gut, denn sonst wären ja nicht alle ihre Grenzverletzungen und Angriffe mit Lügen über angeblich vorausgegangene armenische Provokationen camoufliert worden.
Die Tatsache, dass ein De-facto-Staat das Recht zur Selbstverteidigung besitzt, macht aktuell auch die aserbaidschanische Rechtsverfolgung der Regierungs- und Verteidigungsorgane von Arzach völkerrechtlich unhaltbar.
Es ist schwer vorzustellbar, dass die auslandspolitischen Ratgeber der europäischen Regierungen nicht wussten, was seit 2020 gespielt wurde. Trotzdem wurde überall eine falsche Äquidistanz vorgetäuscht, um das Verhältnis zu Aserbaidschan und der Türkei nicht zu belasten. Im Grunde hatte sich also seit dem 19. Jahrhundert nicht viel in der europäischen Diplomatie gebessert.“
Schlussbemerkung
Zum Zeitpunkt des Austritts Aserbaidschans aus der UdSSR war das AGBK nicht mehr Bestandteil Sowjetaserbaidschans, sondern hatte sich am 2. September 1991 seinerseits für unabhängig von Sowjetaserbaidschan entsprechend den sowjetischen Gesetzen erklärt. Als De Facto-Republik Berg-Karabach (seit 2017: Arzach) existierte es 31 Jahre frei, wenn auch infolge der völkerrechtswidrigen Angriffe Aserbaidschans nicht in Frieden.
Die Verbrechen, die Aserbaidschan gegen die Republik Arzach begangen hat, müssen strafrechtlich aufgearbeitet werden. Ohne juristische Aufarbeitung, ohne Sanktionen für diese Verbrechen wird es in der Region keinen Frieden geben. Vielmehr ist zu befürchten, dass Aserbaidschan sich in seiner militärischen Aggression bestätigt sieht und seine Gebietsansprüche auch auf die Republik Armenien gewaltsam durchsetzt.
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