Frankreich-Neukaledonien: Wird aus der Kolonie ein Staat?

Ein französisch-neukaledonisches Abkommen sieht einen neuen Status für Neukaledonien vor

Ist mit dem franco-neukaledonischen Abkommen der Traum Eigenstaatlichkeit für Kanaky ausgeträumt? Foto: humanite.fr

Ist mit dem franco-neukaledonischen Abkommen der Traum Eigenstaatlichkeit für Kanaky ausgeträumt? Foto: humanite.fr

Von Wolfgang Mayr

 

Der sozialistische Ex-Premier und Übersee-Minister Manuel Valls formulierte die Grundzüge des Abkommens aus. Präsident Emmanuel Macron gewann für das Abkommen Loyalisten und Teile der Unabhängigkeitsbefürworter. Ein historisches Abkommen, jubelten die Medien weltweit.

Der neukaledonische Kongress muss dem Abkommen zustimmen, wie auch anschließend die beiden Kammern des französischen Parlaments, voraussichtlich noch in diesem Jahr. Im nächsten Jahr wird das Abkommen der neukaledonischen Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt.

 

Eigenständig, aber assoziiert

Was steht in diesem Abkommen? Valls und Macron kopierten den Status von Palau und der Marshall-Inseln, die weitestgehend selbständig sind, aber zu den USA gehören. Ähnlich die Cook-Inseln, autonom, aber Teil Neuseelands.

Ziel des Abkommens, Neukaledonien oder “Kanaky” – so nennen die Autochthonen ihre Inselwelt – wird eigenstaatlich, bleibt aber mit Frankreich “assoziiert”. Laut dem 13-seitigen Abkommen wird Neukaledonien in der französischen Verfassung als eigener Staat “festgeschrieben” und kann international anerkannt werden.

Vorgesehen ist auch eine neukaledonische Staatsangehörigkeit sowie eine neukaledonische “Nationalität”, wobei die französische Staatsbürgerschaft – in den verschiedenen Medienberichten heißt das französische Nationalität – beibehalten werden kann. Bekanntermaßen erkennt Frankreich sprachliche oder nationale Minderheiten nicht an.

 

Neukaledonische Nationalität

Die neukaledonische Nationalität ist für Frankreich ein absoluter Präzedenzfall. Inzwischen ein unproblematischer. Die Kanaken, ihre Eigenbezeichnung, sind aufgrund der französischen Überseepolitik zu einer Minderheit im eigenen Land geworden. Knapp über 40 Prozent der neukaledonischen Bevölkerung sind kanakisch. Ein Präzedenzfall trotzdem, weil die korsischen Autonomisten diese Entwicklung aufmerksam verfolgen und ihre Schlüsse daraus ziehen werden.

Der angestrebte Status, Staat im Staat, soll Neukaledonien langfristig eine autonome Außen- und Sicherheitspolitik sowie eine eigenständige Justiz ermöglichen. Eine Kann-Bestimmung im Abkommen, die der neukaledonische Kongress mit Verfassungsmehrheit beantragen kann. Außerdem einen neuen Namen, Kanaky statt Neukaledonien, eine eigene Flagge und plus Hymne.

Die wirtschaftlichen Perspektiven spielen ebenfalls eine zentrale Rolle im Abkommen. Die neukaledonische Wirtschaft ist stark vom Nickelabbau abhängig, leidet unter überholten kolonialistisch-strukturellen Problemen sowie hoher Verschuldung. Die Wirtschaft soll diverser werden, also nicht nur Nickelabbau. Langfristig soll das Abkommen die wirtschaftliche Abhängigkeit vom französischen “Mutterland” verringern.

 

Zustimmung zum Abkommen

Nicolas Metzdorf von der pro-französischen konservativen Partei Generations NC begrüßte die Vereinbarung als das Ergebnis eines “anspruchsvollen Dialogs”. Die geplante neukaledonische Nationalität nannte Metzdorf ein “echtes Zugeständnis“. Metzdorf gilt als strikter Gegner der kanakischen Unabhängigkeit und liegt im Clinch mit Minister Valls, weil dieser die Kanaken als “erstes Volk” bezeichnete.

Emmanuel Tjibaou von der kanakischen linken Unabhängigkeitspartei Union caledonienne, Teil des Unabhängigkeitsbündnisses FLNKS, sieht im Abkommen ein Instrument, die Spirale der Gewalt zu unterbrechen. Das Abkommen bietet die Chance, ist Tjibaou überzeugt, eine gemeinsame Zukunft zu ermöglichen. Den Weg dorthin beschrieb er als schwierig.

Nicht nur Tjibaou verhandelte beim Abkommen mit, auch Christian Tein, Präsident des FLNKS. Aber im Hintergrund. In einer Erklärung bezeichnet das Bündnis das Abkommen als einen “Entwurf über die Zukunft Neukaledoniens“ und eine “grundsätzliche Vereinbarung, um auf dem Weg zur Souveränität voranzukommen“. Das Abkommen als ein weiterer Schritt zur von Frankreich losgelösten Eigenstaatlichkeit?

Der gemäßigtere FLNKS-Politiker und ehemalige Präsident des neukaledonischen Kongresses, Roch Wamytan, schlug vor, das Abkommen seiner Organisation unterbreiten.

Tein und sein Flügel im FLNKS setzen auf die jüngere Kanak-Generation. Diese fordert die völlige Unabhängigkeit von Frankreich. Ihr Argument, „Kanaky“ benötigt nicht die Wirtschaftshilfe Frankreichs. Denn, ihre Insel verfügt über die größten Nickelvorkommen der Welt.

 

Frankreich Partner, nicht Kolonialherr?

Frankreich und sein Umgang mit ehemaligen Kolonien ist alles eher als vorbildlich. Nicht von ungefähr warfen ehemalige afrikanische Kolonien vor einigen Monaten die ehemaligen Kolonialherren aus dem Land. Stattdessen holten sie sich russische und chinesische Unternehmen ins Land.

Ob Frankreich auf das Nickel verzichten wird? Wohl eher nicht. Ob Frankeich die Kanaken an diesem Einkommen teilhaben lässt? Die französische Regierung täte gut daran, sich vom kolonialistischen Gehabe zu verabschieden. Ist das zu erwarten?

Präsident Macron betonte letzthin immer wieder die militärstrategische Bedeutung Neukaledoniens. Die Volksrepublik China sieht Neukaledonien in ihrem Einflussbereich. Nicht von ungefähr. Die FLNKS pflegt Kontakte zu China. Mit dem Abkommen versucht Frankreich die Unabhängigkeitsbewegung einzudämmen, um einen Seitenwechsel seiner einstigen Kolonie – heute eine “Entität” mit Sonderstatus – zu verhindern. Dafür sorgen auch die profranzösischen Wählenden, aber auch die “moderaten” kanakischen Wähler:innen. Deshalb wird es einen unabhängigen Staat Kanaky nicht geben.

Es kann auch angezweifelt werden, dass der Kongress Kompetenzen in den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik sowie Justiz umsetzen kann. Dafür fehlt den Unabhängigkeitsparteien die absolute Mehrheit, die Hürde, die genommen werden muß. Zudem könnten die pro-französischen Parteien mit ihrem Veto die Kompetenz-Übertragung unterbinden.

Frankreich hatte Neukaledonien in den 1850er Jahren kolonisiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es zum französischen Überseegebiet, 1957 erhielten alle Kanaken die französische Staatsbürgerschaft. In den vergangenen Jahrzehnten wurde über die politische Zukunft der Inselgruppe bereits mehrfach abgestimmt, mit drei Referenden und zwei vorhergehenden Abkommen.

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