Egoistische Pazifisten

Die pazifistischen OstmarschiererInnen in Deutschland und linke Pazifisten in Italien fordern die UkrainerInnen auf, ihren Widerstand sein zu lassen. Sie plädieren für zivilen Ungehorsam. Derweil vergewaltigen und morden russische Soldaten in der Ukraine. Der pazifistische Egoismus ähnelt der Haltung der Corona-Verharmloser, Skeptiker und Leugner.

Von Wolfgang Mayr

In der Ukraine gibt es offensichtlich viele Butschas. Die russischen Soldaten vergehen sich an der Zivil-Bevölkerung, an Kindern und Frauen, an Wehrlosen, an nicht Kämpfenden.  Russlands Truppen zerstören gezielt die Städte, besonders die Wohnviertel, die laut Kreml-Sprech Militäranlagen sein sollen. Die Bilder über den russischen Zerstörungskrieg in der Ukraine belegen es, der russische Kriegsapparat will das Land zerstören. Mariupol ähnelt den Städteleichen Grosny, Aleppo, Markenzeichen russischer Kriegsführung.

Bereits an den ersten Kriegstagen in Februar zogen in Italien radikale Linke mit pazifistischen Fahnen gegen die NATO-Basis Aviano bei Padova. NATO raus aus Italien, Italien raus aus der NATO. Die radikale Linke lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Eine der Begründungen, auch die Ukraine trägt Mitschuld am Krieg. Das Opfer wird zum Täter umgeschrieben. Diese letztendlich pro-russische Haltung sorgt im Partisanenverband ANPI, Erbe des antifaschistischen Widerstandskampfes, für heftige Auseinandersetzungen und Zerwürfnisse. Nicht nur jüdische Partisanen wollen am 25. April, der ritualisierte Gedenktag der Befreiung von Nazi-Faschismus, mit ukrainischen und israelischen Fahnen demonstrieren, auch mit NATO-Flaggen.

In Deutschland zogen die Ostermarschierenden, Spiegelonliner Sascha Lobo spottete vom Hochamt der Pazifisten, vor Bundeswehr-Kasernen und NATO-Stützpunkte. „Frieden schaffen ohne Waffen,“ die Losung. Kaum ein Demonstrant verirrte sich vor die russische Botschaft in Berlin. Die „Lumpen-Pazifisten“, so definiert Sascha Lobo die Kriegsgegner, lehnen Waffenlieferungen an die ukrainischer VerteidigerInnen strikt ab. Sie empfehlen den zivilen Widerstand. Das war auch die Empfehlung der Pazifisten vor 30 Jahren an die BosnierInnen, die sich gegen den serbischen Eroberungskrieg zu wehren versuchten. Ein hoffnungsloses Unterfangen damals, weil die sogenannte internationale Gemeinschaft Bosnien mit einem Waffen-Embargo für seinen Widerstand bestrafte.

In der TAZ konnte die Konfliktforscherin Veronique Dudout von der Berliner Berghof Foundation dazu ihre Thesen ausbreiten. Ein Beispiel: Mit gut organisiertem sozialemProtest könnte die Ukraine Russland stoppen, ist die Konfliktforscherin überzeugt. In manchen von den russischen Truppen belagerten Städten zogen unbewaffnete BürgerInnen protestierend durch die Straßen. Nicht sehr lange. Die Soldaten schossen scharf.

Trotzdem, entgegnete Dudout in der TAZ, „unsere Forschung zeigt aber eindeutig, dass friedlicher Widerstand selbst gegen die skrupellosesten und repressivsten Regime erfolgreich sein kann. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass eine nachhaltige Lösung von Konflikten niemals militärisch sein kann – darum braucht es zivile Alternativen.“

Die Konfliktforscherin wirbt auch für einen Kompromiss, ohne zu definieren, wie der lauten könnte. Der russische Kriegspräsident Putin spricht der Ukraine die staatliche Souveränität ab, gab die Parole der Entnazifierung aus, der Tötung von UkrainerInnen. Butscha, ein Beispiel von vielen anderen Kriegsverbrechen.

Dudout lässt sich davon nicht beirren, sie empfiehlt den UkrainerInnen pazifistische Instrumente gegen den russischen Krieg, wie Massendemonstrationen, um den Invasoren zu zeigen, dass sie nicht willkommen sind, das Austauschen von Straßenschildern und die Verwendung von Verkehrsschildern, um die einmarschierende Armee zu beleidigen oder abzulenken, mit Menschenketten russische Panzer stoppen, Boykott russischer Waren, weil so die Besatzung auch viel teurer wird, Finanzmittel, Schulungen, andere Ressourcen bereitstellen, um Ukrainern zu helfen, ihre Fähigkeit zu massenhaftem zivilem Ungehorsam und gewaltfreiem Widerstand auszubauen.

Für die BewohnerInnen von Grosny in Tschetschenien, von Aleppo und Holms in Syrien, jetzt von Mariupol und vielen anderen Städte in der Ukraine wird das wohl wie Hohn klingen.

Die Erinnerungswissenschaftlerin Aleida Assmann erinnert daran, dass die russische Regierung in der Ukraine einen Vernichtungskrieg führt. Assmann sagte auf Bayern2, der russische Präsident verschleiert gar nicht sein Kriegs-Ziel in der Ukraine. Marodierende Soldaten werden für ihre kriminelle Taten, Vergewaltigungen und Morde, mit Höchstorden ausgezeichnet. In der „Kulturwelt“ spricht Aleida Assmann über „Genozid, Memozid, Urbizid“, über die Erinnerungszerstörung im russischen Krieg in der Ukraine.

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