Die „Serbische Welt“ und die erneute Destabilisierung der Region Westbalkan

Die Spannungen und immer häufigeren gewaltsamen Auseinandersetzungen in den vergangenen Monaten im Kosovo drohen in einen offenen Krieg zu münden. Als Teil des großen Plans der „Serbischen Welt“ könnte sich dies sehr wahrscheinlich auf die Sicherheitssituation des ganzen Westbalkans auswirken.

Von Belma Zulcic

In den vergangenen Monaten ist es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen im Kosovo gekommen. Zuletzt ist dies Ende September geschehen, als eine organisierte und schwer bewaffnete Gruppe von Serben einen kosovarischen Polizisten im Dienst, den Hauptmann Afrim Bunjaku, in Banjska bei Zvecan tötete, während dieser zusammen mit anderen Polizisten der Kosovo-Polizei versuchte, auf der Straße aufgestellte Barrikaden zu entfernen. Die Angreifer, etwa 30 Mann, flüchteten ins nahe gelegene Kloster Banjska, von wo sie sich auf ein Waffengefecht mit den kosovarischen Polizisten einließen. Bei diesem Waffengefecht kamen drei der Angreifer ums Leben, weitere wurden durch die kosovarische Polizei festgenommen.

Sofort darauf ließ die Regierung Serbiens verstärkt Truppen ihrer Armee an der Grenze zum Kosovo aufstellen, zog einen Teil von ihnen jedoch in den folgenden Tagen wieder ab.

Auch wenn die Regierung Serbiens eine Verbindung zu den serbischen Angreifern bei Zvecan leugnete, gibt es eindeutige Hinweise, dass der Organisator des Angriffs, der Vizepräsident der serbischen Partei im Kosovo „Srpska lista“ Milan Radoicic, in Verbindung mit dem Präsidenten Serbiens Aleksandar Vucic steht. Seit Dezember 2021 steht Radoicic auch auf der Schwarzen Liste der USA wegen Verdachts auf Korruption und internationale Kriminalität.

Vucic kündigte eine polizeiliche Überführung von Radoicic und sein Verhör an, unterstützte jedoch das Ausrufen eines Trauertages in Serbien im Anlass an den Tod der drei serbischen Todesopfer aus der Angreifergruppe und erklärte, sie seien keine Terroristen, sondern nur Menschen, die ihre Häuser und Familien verteidigen.

Viele Argumente sprechen dafür, dass die Aktion bei Zvecan von Aleksandar Vucic selbst inszeniert oder zumindest ausgenutzt wird. Nur eine Woche nach den dortigen Anschlägen kündigte er für den 17.Dezember 2023 Neuwahlen (Parlaments- und Lokalwahlen) in Serbien an und ließ dazu aller Ansicht nach mehrere Bürgermeister von Städten in Serbien, die seiner Partei angehören, zurücktreten, um die Neuwahlen legitimieren zu können. Angenommen wird auch, dass er vor allem aus diesem Grund die Armee Serbiens an die Grenze zum Kosovo aufstellen ließ, um somit an Popularität in Serbien zu gewinnen. Seit Beginn der serbienweiten Proteste gegen ihn und seine Regierung, die nach einem Anfang Mai 2023 erfolgten Massaker in einer Belgrader Schule und einem Amoklauf im Ort Mladenovac einsetzten und Woche für Woche bis zu 50.000 Menschen auf den Straßen Belgrads, Novi Sads und anderer Städte in Serbien versammelten, muss Vucic um seine Position fürchten. Auch außenpolitisch steht Vucic stark unter Druck wie wegen seiner noch immer nicht unterbrochenen Beziehungen zu Moskau, der immer mehr schwindenden Demokratie im Lande sowie seinen Beziehungen zu Kriminellen und nicht zuletzt zu den Aufrührern im Kosovo, die den dortigen Frieden gefährden.

Auch seine Verbündeten in Bosnien und Herzegowina sind gerade jene, die die Situation im Lande zu destabilisieren versuchen. An erster Stelle steht da der Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, der die staatlichen Institutionen des Landes blockiert, ständig mit der Abspaltung und dem Anschluss an Serbien droht und gerade einen Machtkampf mit dem Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft, Christian Schmidt, führt, dem er die Legitimität abspricht, gegen ihn hetzt und ihn de facto zur Persona non grata in der Republika Srpska erklärt hat.

Mit Vucic verbunden wird auch die ganze Reihe von Versuchen der Destabilisierung Montenegros durch die dort lebende Gruppe der Serben. Es ist ihm sehr wichtig, dass Vertreter der ihm zugeneigten Partei „Für die Zukunft Montenegros“ einen Platz in der dortigen neuen Regierung finden. Davon erhofft er sich mehr Einfluss auf die Staatspolitik des Nachbarstaates. Als besonders wunder Punkt für Vucic gilt die Anerkennung des Kosovo durch die Regierung Montenegros im Jahre 2008, die als Verrat Serbiens angesehen wird.

Damit wird ganz deutlich, dass Vucic tatsächlich den Plan der „Serbischen Welt“ verfolgt, nach dem alle Serben des Balkans in einem Staat leben sollen. Im Grunde ist dieser Plan nichts anderes, als das, was auch Milosevic, Mladic, Karadzic und andere Verantwortliche für den Krieg und die begangenen Verbrechen des Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angestrebt und zu verwirklichen versucht haben. Erkennbar ist auch, dass Vucic nicht mehr unbedingt auf der EU-Beitrittspolitik beharrt, sondern immer mehr Schaukelpolitik betreibt und die Beziehungen zu autoritären Regimen wie Russland und China verstärkt. Es wird angenommen, dass er absichtlich die Situation im Kosovo destabilisiert, um sich so bei den Neuwahlen Stimmen zu sichern. Dabei geht er davon aus, dass die Opposition in Serbien nicht genügend Zeit hat, sich auf die Neuwahlen vorzubereiten. Tatsächlich ist die proeuropäische Opposition in Serbien sehr schwach, unkoordiniert und wird wohl kaum in der Lage sein, gegen Vucic und seinen organisierten Staatsapparat anzukommen. Im Gegensatz dazu gibt es eine relativ starke rechte Opposition, die bei den Neuwahlen viel besser abschneiden und somit auch mehr Einfluss gewinnen könnte. Dies sind Kräfte, die eine viel radikalere Politik gegenüber dem Kosovo, Bosnien und Herzegowina und Montenegro fordern und schon lange der Kriegsrhetorik verfallen sind.

Große Verantwortung für die Eskalation der Situation im Gebiet trägt jedoch gerade die inkonsequente Politik der EU und USA im Kosovo, Bosnien und Herzegowina und gegenüber Serbien. Jahrelang schauen die EU und USA nun schon untätig zu, welche Ausmaße die Politiken in der Region annehmen, die bereits zum Zerfall von Jugoslawien mit Hunderttausenden von Opfern und großen Vertreibungen geführt haben. Gerade wegen der Duldung und Toleranz dieser Politiken steht die Region wieder einmal vor einem möglichen Krieg und die Stabilität der Region rückt mit jedem Tag mehr in die Ferne. Es wurden Milliarden Euro auch der Steuergelder der EU-Bürger für die Friedenskräfte im Kosovo und in Bosnien und Herzegowina ausgegeben, ohne jeglichen Erfolg verzeichnen zu können. Zur Folge hat dies, dass immer mehr junge und gebildete Menschen, die jede Hoffnung auf ein anständiges Leben in den einzelnen Ländern verloren haben, die Region verlassen. Davon betroffen sind nicht nur der Kosovo und Serbien, sondern auch Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Montenegro.

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