12-04-2023
Die letzte jüdische Siedlung in Europa
Der gebürtige Wolfrartshausener Journalist Alois Berger hat dem vergessenen Schtetl Föhrenwald ein literarisches Denkmal gewidmet
Von Wolfgang Mayr
Der langjährige Brüssel-Korrespondent der taz sowie Radio- und Fernsehreporter für DLF, WDR und Dokumentarfilmer für ARTE, Alois Berger, hat sich in die Geschichte seiner Heimatstadt durchgearbeitet.
Er beschäftigt sich mit dem Ortsteil Föhrenwald im oberbayerischen Wolfratshausen. Dort lebten zwischen 1945 bis 1957 zeitweise mehr als 5000 Juden, Überlebende des Holocaust mit Synagogen, Religionsschulen und einer eigenen Universität für Rabbiner. Föhrenwald hatte eine jüdische Selbstverwaltung, eine jiddische Zeitung und eine jüdische Polizei. Ein jüdisches Schtetl, eine jüdische Insel in Bayern.
Das Schtetl Föhrenwald wurde 1957 aufgelöst, die Bewohner wurden in deutsche Großstädte umgesiedelt. Föhrenwald wurde umgetauft und somit raus der Erinnerung gestrichen. Föhrenwald als Beispiel dafür, wie das Nachkriegs-Deutschland mit seiner massenmörderischen Vergangenheit umging und der Ort steht exemplarisch für einen weitgehend unbekannten Teil der deutschen Geschichte.
Alois Berger ist in Wolfratshausen aufgewachsen, er hat das Schweigen erlebt. Er verknüpft seine Spurensuche mit den Geschichten der Überlebenden, denen, die nach Israel gingen, und denen, die aus dem Land der Täter nicht wegkonnten.
Alois Berger schreibt: „Ich habe meine gesamte Jugend in einer Art Theaterkulisse verbracht, einer sehr schönen, fast kitschigen Theaterkulisse mit verschneiten Bergen am Horizont, glasklaren Seen, mit malerischen Bauerndörfern und barocken Kirchen. Natürlich war das alles real, aber die Bilder im Kopf bekamen zerschlissene Ränder und fadenscheinige Stellen, als ich herausfand, dass mitten in dieser friedlichen Landschaft ein blinder Fleck war, eine sehr große undurchsichtige Leerstelle, über die nie geredet worden war.“
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