Das Regime schlägt zu

Das russische Justizministerium erklärt indigene Organisationen als „extremistisch“.

Von Tjan Zaotschnaja

Das „Justizministerium“ führt einen Kampf gegen die „Antirussische Separatistenbewegung“. Eine Organisation, die es gar nicht gibt. Laut dem Ministerium gehören dieser Bewegung mehr als 50 Organisationen an. Sogar die Stiftung Freies Russland (Free Russia Foundation), die nichts mit regionalistischen und nationalen Fragen zu tun hat, fand einen Platz auf der Liste.

Die Liste der „extremistischen Organisationen“ auf der Website des Justizministeriums wurde am 25. Juli aktualisiert. Memorial-Anwalt Andrei Fedorkov, der mit dem Menschenrechtsprojekt „Support for Political Prisoners“ zusammenarbeitet, entdeckte die „Separatistenbewegung“ auf Platz 109 der Liste. Fedorkov überprüft kontinuierlich die Liste, weil ständig weitere „extremistische Organisation“ angeführt werden.

Am 7. Juni entschied der Oberste Gerichtshof auf einer Klage des Justizministeriums hin, dass die so genannte „Antirussische Separatistenbewegung“ als extremistische Organisation gilt. Alle rätselten und spekulierten darüber, um welche Art von Bewegung es sich handelt. Einen Monat nach der Urteilsverkündung tritt das Urteil in Kraft, und die rechtlichen Konsequenzen ergeben sich ab dem Zeitpunkt der Aufnahme in die Liste des Justizministeriums der Russischen Föderation. 

Die nichtexistente Organisation trägt den Namen „Internationale Bewegung zur Zerstörung der multinationalen Einheit und territorialen Integrität Russlands ‚Antirussische Separatistenbewegung'“. Das Justizministerium listet weitere 55 „Untergliederungen“ dieser angeblichen Bewegung auf. 

Was sind die Folgen?

Ab dem Zeitpunkt der Aufnahme in das Register und der Veröffentlichung der Liste können die Organisatoren und Teilnehmer*innen dieser Organisationen gemäß Paragraph 282.2 „Organisation der Aktivitäten einer extremistischen Organisation“ strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden“, erläutert Fedorkov die rechtlichen Folgen der Auflistung.

Neben dem wichtigsten „extremistischen“ Paragraph, so der Anwalt weiter, gibt es jedoch noch mehrere andere Paragraphen, die nun eine Vielzahl von Personen bedrohen. Es handelt sich dabei um

Paragraph 282.3 „Finanzierung extremistischer Aktivitäten“ und

Paragraph 282.4 „Wiederholte Propaganda oder öffentliche Zurschaustellung von nationalsozialistischen Symbolen oder von Symbolen extremistischer Organisationen oder von anderen Symbolen, deren Propaganda oder öffentliche Zurschaustellung durch föderale Gesetze verboten ist“.

Jeder, der Symbole seiner Region, seiner Region, veröffentlicht, die von einer Organisation verwendet werden, die für die Freiheit und Unabhängigkeit seiner Region eintritt, jeder, der einschlägige Materialien verbreitet, Links zu den entsprechenden Themen angibt, ist nun gefährdet. Anwalt Fedorkov spricht von einer absurden Strafverfolgung: „Ich gehe davon aus, dass es zu einer erheblichen Anzahl von Strafverfahren auf der Grundlage dieser Artikel kommen wird“.

Viele Aktivist:innen fragen sich, wer diese antirussische Separatistenbewegung sein soll. Eine Organisation, von der noch niemand etwas gehört hatte. „Meine Vermutung, dass es sich um eine rein technische Entscheidung handelt, hat sich als richtig erwiesen. Anstatt separate Gerichtsurteile zu erlassen, um jede tatsächlich existierende Organisation als extremistisch zu erklären, ging man den Weg, eine fiktive einheitliche separatistische Bewegung zu konstruieren, um die Aktivitäten aller Organisationen im Rahmen eines einzigen Prozesses zu verbieten“, erklärt Fedorkov das Vorgehen des Ministeriums.

Als überraschend bezeichnet Anwalt Fedorkov die Auflistung der NGO Free Russia Foundation, die „überhaupt nichts mit regionalistischen oder nationalen Initiativen zu tun hat“. Fedorkov geht davon aus, dass die bekannte und einflussreiche NGO bewusst auf die Liste gesetzt wurde, um die Stiftung und ihr Umfeld strafrechtlich zu belangen.

Die Stiftung „Freies Russland“ setzte die Justiz mit der erfundenen „antirussischen Separatistenbewegung“ gleich. Laut dem Justizministerium eine höchste gefährliche Organisation, die „die multinationale Einheit und territoriale Integrität Russlands zu zerstören“ versucht. 

Fakt ist, es gibt diese Bewegung nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass die Behörden fiktiven Strukturen des Extremismus beschuldigen. Dies war der Fall bei der „internationalen LGBT-Bewegung“, die Ende 2023 vom Obersten Gerichtshof als extremistisch eingestuft wurde. Als Symbol der Bewegung wurde ein Regenbogen aufgeführt. Nach diesem Gerichtsurteil führten die Ordnungskräfte Razzien in Nachtclubs und auf privaten Partys durch. Bürger wurden verhaftet und mit Geldstrafen belegt, weil sie Regenbogen-Ohrringe trugen.

Ein schwarzer Freitag

Yana Tannagasheva spricht von einem schwarzen Freitag für die indigenen Organisationen. Mehr als 55 Organisationen von indigenen Völkern, Minderheiten und dekolonialen Vereinigungen gelten nur als Extremisten. Auch unsere Organisation Internationales Komitee der indigenen Völker Russlands (ICIPR) wurde in diese Liste aufgenommen. 

Wir befürchteten wir, dass alle Organisationen das Prädikat “antirussischen Separatistenbewegung” aufgedrückt bekommen, die den russischen Behörden kritisch gegenüberstehen. Organisationen, die sich für die Rechte indigener Völker einsetzen, werden zu den „extremistischen“ Organisationen gezählt.

Der Staat schränkt den Handlungs- und Gestaltungsraum für die Zivilgesellschaft und die Verteidigung der Menschenrechte immer stärker ein. Das Schwungrad der Repression dreht sich, die Methoden der Verfolgung von Aktivisten für die Rechte indigener Völker werden immer weitreichender.

Russland handelt nach einem Muster, das auf den Sitzungen des UN-Expertenmechanismus für die Rechte indigener Völker getestet wurde:

2022 – Unmittelbar nach der Sitzung blockierte Russland die online-Plattform des ICIPR, iRussia,

2023 – Unmittelbar nach der Sitzung wurde Pavel Vasilievich Sulyandziga in die Liste der “ausländischen Agenten” aufgenommen

2024 – Das Internationale Komitee der indigenen Völker Russlands (ICIPR) wurde in die Liste der Extremisten aufgenommen.

 

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