06-05-2024
Vitales Kolonialreich
Russland hat die anderen Imperien überlebt
Von Wolfgang Mayr
Russland, eine anti-kolonialistische Speerspitze? Kriegspräsident Wladimir Putin und seine korrupte Elite, Befreiungskämpfer für den Süden der Welt? Ein Treppenwitz der bemühten Geschichte, Putin und seine Mitkämpfenden stehen wohl eher in der kolonialistischen Tradition, die sie angeblich bekämpfen.
Ex-Ministerpräsident Giuseppe Conte von den Cinque Stelle, Verkehrsminister Matteo Salvini von der Lega, Parteisprecher und Malermeister Tino Chrupalla von der AfD, Karin Kneissl, ehemalige österreichische Außenministerin oder Sahra Wagenknecht sind die Partner, die Lautsprecher des russischen Kriegspräsidenten im Westen. Wie auch eine Reihe ehemaliger deutscher Bundeswehr-Offiziere. Stichwort Erich Vad, einst „Sicherheitsberaterin“ von Bundeskanzlerin Angela Merkl.
Und es werden immer mehr, in der angeblichen antikolonialistischen pro-russischen Phalanx: Viktor Orban und Robert Fico sowie Recep Erdogan von den NATO-Staaten Ungarn, Slowakei und Türkei stehen Putin zur Seite, genauso wie der künftige US-Präsident Trump und seine Republikaner, wie auch der mutmaßliche österreichische Wirtschaftskriminelle Jan Marsalek, Ex-Vorstandsmitglied von Wirecard, der großen Kasse der Porno-Industrie und russischer Spion. Gefördert einst von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Eine seltsame Allianz, die sich hinter Russland sammelt. Für die „Linke“ ist Russland wohl immer noch das proletarische Land der Arbeiter und Bauern, für die Rechte das erstrebenswerte Modell eines „weißen“ autoritären Staates, in dem es eine optimale Zusammenarbeit zwischen der organisierten Kriminalität und den ehemaligen kommunistischen Strukturen gibt.
Noch überraschender ist der vielfältige afrikanische Applaus für Russland, für das ehemalige Killer-Unternehmen Wagner, für russische Konzerne. Kriegspräsident Putin bietet sich gekonnt ausgeplünderten afrikanischen Staaten als antikolonialistischer Partner an. Eine Allianz für eine neue Weltordnung, aufgrund einer von Putin gezeichneten Landkarte.
Eine neue Weltordnung?
Die neue Welt-Ordnung, für die sich AfD-Frontmann Chrupalla stark macht? Nicht nur die deutschen Rechtsradikalen schwärmen von einer multipolaren Weltordnung, auch die Paten Russland und China, die sich gegen das angebliche „neokoloniale System“, gegen den „Globalismus“ wehren. Gemeinsam mit der westlichen Linken und Rechten.
Der russische Präsident Putin präsentierte die Annexion der besetzten Ost-Ukraine als einen Akt des Anti-Kolonialismus. Nach Referenden, überwacht von der marodierenden russischen Armee, erklärte eine Mehrheit der unter russischer Verwaltung lebender Ostukrainerinnen und Ostukrainer ihren Wunsch, mit Russland „wiedervereinigt“ zu werden.
Russland als Partner vieler Staaten in Süden der Welt kämpfe gegen die Herrschaft des Dollars und des technologischen Diktats, begründete Putin die Annexion auch als eine Maßnahme gegen den Westen. Dessen Wohlstand beruhe nicht auf eigener Arbeit, die westliche Aggression richte sich gegen unabhängige Staaten, gegen traditionelle Werte und eigenständige Kulturen. Der Westen zerstöre Länder, sei verantwortlich für humanitäre Katastrophen und ihren Folgen. Die westliche Elite werbe für Demokratie, plündere aber unter dem Deckmantel der eigenen Zivilisation die südlichen Länder wie Halbkolonien oder Kolonien aus.
In seiner Annexionsrede griff Putin den Westen und seine Verantwortung an für die Sklaverei, für die Genozide in Amerika und in Afrika, für die Vernichtung von Ethnien, um zu deren Lande zu kommen. Der Westen haben die weltweite Menschenjagd erfunden, tönte Putin. Nachzulesen im „Traumland – Der Westen, der Osten und ich“ von Adam Soboczynski. Mit dieser angeblichen westlichen Attacke begründete Putin den Anschluss der eroberten Ost-Ukraine. George Orwell würde sich über die Chuzpe wundern. Radikalster Neusprech.
Kolonialmacht Russland
Dabei ist Putin Präsident eines Landes, das nie dekolonialisiert wurde. Die sogenannte russische Föderation überlebte die weltweite Entkolonialisierung, Russland ist noch immer ein Imperium der übelsten Sorte. Die „internationalistischen“ Sowjets russifizierten jeden Winkel des Landes, die russische Föderation hält eisern daran fest. Nicht-russische Völker, die die Entkolonialisierung einfordern, werden als nützliche Idioten des Westens niedergemacht.
Putin und seine Kritik am Westen ist jederzeit auf Russland anwendbar. Russland ist, kritisieren Aktivist:innen des Forums der freien Völker Russlands, das weltgrößte kolonialistische Überbleibsel. Für Teile der Linken ein Aufreger, das Forum gilt als ein Produkt der westlichen Strategie zur Demontage Russlands. Unfassbar, kommen die Russland-Versteher zum Schluss, dass das Forum die russländische Föderation in 40 Länder zerlegen möchte.
Russland verdrängt gekonnt seine blutrünstige bolschewistisch-stalinistische Vergangenheit, verfolgt Menschenrechtler wie „Memorial“, die die roten Verbrechen aufarbeiten wollten. Unter Verschluss sind der russisch-zaristische und der später folgende sowjetische Kolonialismus. Diesen beschreibt der Ost-Europa-Historiker Karl Schlögel als besonders radikal. Die vielen nicht-russischen Völker wurden kurzerhand ins mono-linguale russische Korsett „Sowjetvolk“ gepresst. „Durchdringung, Säuberung, Homogenisierung mit irreversiblen Folgen“. Die Nachfahren dieser Überrollten wehren sich heute, gegen die Russifizierung, gegen die Ausbeutung ihrer Regionen, gegen die Zwangsrekrutierung für Putins Krieg in der Ukraine.
Spiegel-Journalist Mikhail Zygar greift in seinem Buch „Krieg und Sühne – der lange Kampf der Ukraine gegen die russische Unterdrückung“ auch den russischen Kolonialismus auf. Der ehemalige Chefredakteur des inzwischen geschlossenen unabhängigen russischen TV-Senders Doschd handelt schonungslos die kolonialistische Geschichte seines Landes ab.
Verdrängt und/oder vergessen
Zygar schaut weit zurück in die Geschichte. Er lässt den russischen Kosaken Semjon Deschnjow aus dem Ural, damals das östlichst gelegene russische Gebiet, ostwärts ziehen, quer durch Sibirien bis nach Alaska. Das war 1648, eine Zeit, in der die diversen spanischen Eroberer die indigenen Reiche in Mittelamerika und in den Anden mit Millionen Toten zerstört sowie ihre hispanische Herrschaft etabliert hatten. Niederländer und Engländer versuchten mit nicht weniger Brutalität an der nordamerikanischen Ostküste Fuß zu fassen.
Dem Kosaken folgten später Soldaten, Jäger und Händler und unterwarfen das weite Land Sibirien für den Zaren. Unter die Räder kamen dabei die einheimischen Völker, meist mongolische Ethnien wie die Burjaten am Baikal-See. 1661 gründeten Kosaken am Baikal-See die Stadt Irkutsk. Die Kolonialisten gingen brutal gegen die einheimische Bevölkerung vor, sie „vergewaltigten Frauen, töteten Kinder und versklavten die Einheimischen“, fasst Zygar die kolonialistische Eroberung Sibiriens zusammen.
Nachfahren der kolonialisierten Burjaten sind für grauenhafte Kriegsverbrechen im russischen Krieg in der Ukraine, in Butscha, Irpin und Hostomel verantwortlich.
Sibirien wurde zwei Jahrhunderte vor der Kolonialisierung Nordamerikas erobert. Gründlich. Die zahlenmäßig unterlegene sibirische Urbevölkerung wurde von russischen Kolonialisten regelrecht überrannt.
Die indigenen Völker kamen unter die russischen Räder, ihre Gemeinden lösten sich auf, sie erlitten ein ähnliches Schicksal wie ihre Verwandten in Amerika. Das weite Land Sibirien galt als menschenleeres Land, die Indigenen galten wohl nicht als Menschen. Sibirien, „Rohstoff-Lager“ für begehrte Pelze, Standort für Verbannungslager von Feinden des Zaren.
Damals annektierte Russland die östliche Ukraine, verschickte dorthin russische Bauernfamilien, um das neue Land zu kolonialisieren. Vorbild für andere Eroberungen. 1783 kam die Krim unter russischer Kontrolle, Georgien 1810, Aserbaidschan 1813. Kurzfristig fiel Moldawien unter die russische Kolonialherrschaft, ein Jahrhundert später vertrieb das zaristische Russland die Osmanen aus der Kaukasus-Region und unterwarf die dortigen vielfältigen Bevölkerungen. Der heftige Widerstand von Imam Schamil wirkt noch immer nach. Die russische „Landnahme“ ging über das östliche Sibirien hinaus, hinweg über die Beringstraße, nach Alaska.
Imperium Sowjetunion
Die internationalistische Sowjetunion erbte vom zaristischen Russland die Kolonien zwischen Sibirien und Zentralasien und führte die Land-Eroberungen weiter. Nach Pelzen und Holz holten die sowjetischen Kolonialisten Erdöl und Erdgas aus der meist gefroren Erde, die ehemaligen Verbannungslager waren die Grundlage für das Gulag-System.
Die russische Sowjetunion sammelte Land, kolonialisierte weiter, in Estland, Lettland und Litauen, in der Ukraine, in Rumänien, in den zentralasiatischen Republiken. Der „Warschauer Pakt“, ein russisches Großreich, kommunistisch eingefärbt.
Zum Programm der „Internationalisierung“ gehörten ethnische Säuberungen, also „Aus- und Umsiedlungen“, die Ansiedlung von Russen in den nicht-russischen Ländern. Das faschistische Italien möglicherweise als Vorbild, nur auf „progressiv“ getrimmt. Die Sowjets wollten einen neuen Menschen erschaffen, proletarisch, städtisch, russischsprachig. Ein Platz für „Andere“ war im russisch-kommunistischen Zeitalter nicht vorgesehen.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion strebten die osteuropäischen Staaten fluchtartig westwärts in die EU und in die NATO. Die Ukraine und Georgien blieben unter der russischen Fuchtel, Tschetschenien wurde gefügig gebombt und in den ehemaligen zentralasiatischen Republiken herrschten ehemalige sowjetische Apparatschiks. Moskau konnte sich in Asien nicht nur diesen Vorhof erhalten.
Sibirien wird seit dem sowjetischen Zerfall entgrenzt und restlos ausgeplündert. Ex-Kommunisten wie Michail Chodorkowski und andere Oligarchen in der Jelzin-Ära sowie ihre Putin treuen Nachfolger nahmen und nehmen Sibirien regelrecht auseinander. In Kumpanei mit westlichen Konzernen, wie die deutsche Wintershall. Die Geschäfte der europäischen, besonders der deutschen Industrie blühten, wegen des billigen Gases und Öls. Die Opfer wurden im Westen ausgeblendet, in Sibirien wurde und werden sie verfolgt.
Russisches Imperium
Das russische Reich besteht keineswegs seit Jahrtausenden, hielt Walter Laqueur – Mitarbeiter im Center of Strategic and International Studies in Washington – den Großrussen in seinem Buch „Putinismus“ die unbequemen Fakten entgegen.
Vieles davon ging mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verloren: Der gesamte Ostblock, die baltischen Teilrepubliken, die Ukraine, Georgien, die zentralasiatischen Republiken. Seit Wladimir Putin an der Macht ist, versucht er für das etwas geschrumpfte Russland verlorenes Terrain zurückzuholen. Teile Georgiens, Tschetschenien wurde niedergebombt, die Krim und die Ost-Ukraine, inzwischen ein Fünftel der gesamten Ukraine. Imperialismus der harten Tour und dafür gibt es überraschenderweise Verständnis und Applaus in Afrika und in Lateinamerika.
Und es brodelt in Sibirien. Laqueuer berichtet in seinem Buch „Putinismus“ von einer sibirischen Unabhängigkeitsbewegung. Der koloniale Zustand Sibiriens, reiner Rohstofflieferant für die Metropolen, sorgt für Unruhe und Unzufriedenheit. Die Behörden untersagten Bürgerversammlungen, weil sie als Foren für angebliche Separatisten galten und gelten.
Das Kreml-Regime reagierte, mit kosmetischen Zugeständnissen. Einwohnern Sibiriens wurde gestattet, in ihren Ausweisen statt „russisch“ „sibirisch“ als Nationalität anzugeben. Die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit vertreibt „russische“ Menschen aus Sibirien. Der nationalistisch eingefärbte Demograph Anatoli Antonow befürchtet deshalb, dass die sibirische Bevölkerung von derzeit 40 Millionen in 20 Jahren auf 20 Millionen absinken wird, zitierte Laqueur den panikmachenden Demographen.
In Sibirien leben aktuell pro Quadratkilometer Land weniger Menschen als in der äußerst dünn besiedelten fast menschenleeren Sahara. Im äußerstem Fernen Osten Russland leben fünf Millionen Menschen, in den angrenzenden südlichen chinesischen Distrikten mehr als 100 Millionen. Gibt es chinesische Landgelüste? 1969 beschossen sich am Fluss Ussuri Soldaten der sowjetischen Roten Armee und der chinesischen Volksbefreiungsarmee, vordergründig ging es um die staatliche Zugehörigkeit der kleinen im Ussuri gelegenen Insel Zhenbao Dao oder Damanski.
China setzt statt auf militärische Präsenz an der russisch-chinesischen Grenzen inzwischen auf den Sog und die Kraft seiner manchesterkapitalistischen Wirtschaft. Offen ist, welche Pläne China in Sibirien verfolgt.
In vielen Teilen dieses Birken- und Tundralandes schrumpft die Zahl der ethnischen Russen kontinuierlich. Ein Problem, dem man bis vor kurzem wenig Aufmerksamkeit schenkte, formulierte es 2015 Walter Laqueuer in seinem Buch „Putinismus“. Seit den 1970er nimmt der Anteil der ethnischen Russen an den Bevölkerungen der Republiken Burjatien, Altai, Sacha (Jakutien) und Tuwa ständig ab.
Diese Republiken sind ein Männer-Reservoire für die russische Aggressionsarmee, der russische Kriegsminister Sergei Schoigu stammt aus der Republik Tuwa, Heimat der turksprachigen Tuwiner.
Wachsender Unmut an den Rändern
In diesen Republiken wächst aber auch der Unmut über die kolonialistische Behandlung durch Moskau und über die Plünderung von Rohstoffen, mit tatkräftiger Unterstützung europäischer Unternehmen. Besonders deutscher Unternehmen.
Vertreter:innen nicht-russischer Nationalitäten treffen sich immer wieder in der EU, um in der Freiheit heftige Kritik am russischen Kolonialismus zu üben. In einer Erklärung zur Dekolonisierung Russlandss werfen Aktivist:innen der indigenen Völker und kolonisierten Regionen der Russischen Föderation vor, ihre Grundrechte und -freiheiten zu verletzen und zwar über eine systematische Politik des Terrors und der Repression.
Mit seiner imperialen Politik zwang Moskau nicht-russische Völker in eine unterlegene koloniale Stellung. Die Angehörigen der indigenen Völker und die Bewohner der Regionen werden diskriminiert.
Moskau verfolgt eine Politik des Ökozids und der Enteignung der Regionen und indigenen Völker. Damit wird das Recht auf eigene Entwicklung verweigert. Die systematische Zwangsassimilation erfolgte über die Kolonialisierung und die Zerstörung der Kulturen und Sprachen.
Die Selbstverwaltung wurde unterbunden, auch über das Verbot eigener rechtmäßig gewählter Vertreter:innen. Die systematische Verweigerung des Rechts auf Beteiligung an der Entscheidungsfindung macht deutlich, wie kolonialistisch der Staatsaufbau Russlands ist.
Die Regionen nicht-russischer Völker dienen dem russischen Staat zur Lagerung von Kernwaffen und anderer Massenvernichtungswaffen.
Das Forum freier Nationen drängt auf eine friedliche Entkolonialisierung Russlands. Das Forum leistet sich einen wagemutigen Traum, die völlige Auflösung der russländischen Föderation.
Raus aus der Föderation
Die Vorstellungen reichen weit, autochthone und bisher kolonisierte Regionen sollen Staaten werden. Die Erben der bisherigen Föderation sollen sich das Vermögen und die Schulden Russlands aufteilen, einschließlich Reparationszahlungen an Staaten übernehmen, die Opfer einer militärischen Aggression durch die Russische Föderation geworden sind.
Die Forums-Teilnehmenden rufen die indigenen Völker und kolonisierten Regionen auf, sich am friedlichen Widerstand zu beteiligen. Wie Streiks, Demonstrationen, Streikposten, Sabotageakte gegen Befehle des imperialen Zentrums, Verweigerung des Dienstes in den Streitkräften der Russischen Föderation, Überlaufen zur ukrainischen Armee.
Trotz des Unmuts in den Rändern pumpt das autoritäre Putin-Regime weiterhin Ressourcen aus den Kolonien, heißt es auf der Seite des Forums des freien Völker Russlands. Der unersättliche Appetit und die aggressive Politik, der Vorwurf des Forums, führten direkt zum größten Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.
Die in den inneren Kolonien geplünderten Rohstoffe dienen ausschließlich Moskau, kritisiert das Forum: „Aber die Völker Russlands haben das Recht auf Selbstbestimmung, eine menschenwürdige Zukunft für sich selbst, Kinder und Enkelkinder. Die Menschen müssen ihr Leben selbst in die Hand nehmen und ihren Platz in der internationalen Gemeinschaft finden“.
Das Forum der Freien Völker Russlands stellt das heutige Putin-Russland in Frage, drängt auf eine Aufwertung historischer und kultureller Regionen zu unabhängigen Staaten. Dem Forum geht es um Dekolonisierung, De-Putinisierung, Entmilitarisierung und Denuklearisierung.
Russland entkolonialisieren
Im Forum engagieren sich kommunale und regionale Politiker, Oppositionelle der Russischen Föderation und Vertreter nationaler Bewegungen. Das Forum erklärt sich solidarisch mit der sich verteidigenden Ukraine gegen die russischen Eroberer.
Beispiel das Komitee ICIPR appelliert an die indigenen Soldaten, zu desertieren. Der Kongress der Oirat-Kalmüken sprach sich gegen den Krieg aus.
Der Historiker Oleksandr Naboka von der Luhansker Universität bedauerte das Fehlen eines Konzepts für die verschiedenen nationalen Bewegungen im postsowjetischen Raum. Manche wollen eine pro-europäischen Weg gehen, andere die überregionale Vereinigung, den Großen Turan, schaffen. Die Konzeptlosigkeit ist auch Folge der von Moskau geschürten interethnischen Konflikte und des Misstrauens.
Der Politikwissenschaftler Sergey Sumlenniy bedauert, dass westeuropäischen Experten sich gegen das Auseinanderbrechen Russlands wenden werden. Er kann sich vorstellen, dass der Westen sich gegen die Auflösung stemmen, Nachfolge-Republiken nicht anerkennen wird.
Andrius Almanis vom Institut der russischen Regionen stellte seinen Marshall-Plan für die Regionen Russlands vor. Die Menschen in der russländischen Föderation gehören alle dem russischen Volk an, erklärte Almanis, sie sind aber nicht alle Russen. „In vielen Fällen betrachten sich viele Menschen gleichzeitig als Mitglieder des russischen und ihres eigenen Volkes“.
Der Marshall-Plan zielt nicht auf eine Hilfe für „ganz Russland“ ab, sondern auf die einzelnen Regionen. Nur dann kann eine Wiedergeburt des nächsten aggressiven russischen Imperiums unterbunden werden. Der Marshall-Plan für die post-russischen Regionen soll die Demokratisierung, Entnuklearisierung und Entmilitarisierung der einzelnen Regionen fördern.
Die radikale Veränderung Russlands, also seine Auflösung, macht die Gründung der Demokratischen Vereinten Nationen (DON) notwendig. Auch die demokratische Welt muss sich neu organisieren, ist Andrius Almanis überzeugt. Die gegenwärtige UNO ist ineffektiv anachronistisch.
Regimeunabhängige NGOs der nichtrussischen Völker haben in einem Aufruf auf die Vitalität des russischen Imperialismus hingewiesen. Dieser Imperialismus sorgte dafür, kommen die NGO zum Schluss, dass aus der russländischen Föderation ein Zentralstaat mit einem „staatstragenden Volk“ wurde, in dem nur die russische Sprache gilt. Obwohl in diesem Land mehr als 190 Völker mit eigenen Geschichten, Kulturen und Traditionen leben.
Russland im Rausch
In seinem Tagebuch ähnlichen „Im Rausch“ wirft Babtschenko dem russischen Kriegspräsidenten und seinem Regime Faschismus vor. Putin baute mit seiner Allianz aus Ex-KGB-Agenten, Ex-Kommunisten und organisierten Kriminellen Russland tiefgreifend um, in eine Art Führerstaat, der die nationale Besoffenheit der Russen befeuert.
“Im Rausch“ warnt Batschenko vor dem russischen Expansionsdrang: „In den vergangenen 70 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gingen von Russland 40 kriegerische Interventionen aus, alle auf fremdem Territorium, alles Eroberungskriege.“ Babtschenko wirft der russischen Opposition vor, diese Entwicklung nicht erkannt zu haben, genauso dem Westen, der sich auf das Geschäftemachen mit dem russischen Staat und seinen kriminellen Oligarchen konzentrierte.
Das Putin-Regime schaffte es, die zarte Demokratie zu zerstören, eine Mehrheit der Russen für den überbordenden Nationalismus zu gewinnen, die Baschkiren, Burjaten, Udmurten, Kalmycken, Tuwiner, Tschetschenen, Tataren, Jakuten und andere Völker als „Wilde am Rande“ auszugrenzen. Im russischen Eroberungskrieg gegen die Ukraine dienen diese genannten Völker als Reservoir für zu verheizendes Kanonenfutter.
Babtschenko stellt für sich klar, er war Veteran der „beschissenen imperialen Eroberungskriege“, eines Mörderlandes, eines Eroberungslandes. Für den ehemaligen Soldaten ist sein Land ein Land von Aggressoren und Okkupanten. Für Babtschenko geht es nicht darum, ein anderes Russland zu bauen, das Ziel des inhaftierten Oppositionellen Nawalny. „Ich brauche überhaupt kein Russland,“ distanziert sich Babtschenko radikal von seiner Heimat. Denn Russland sei – ob zaristisch, bolschewistisch oder putinfaschistisch – ein Imperium.
Babtschenko wirbt für die Dekolonialisierung, für einen Freistaat Moskau, für ein freies und demokratisches Moskowien. „Und – ein freies Tatarstan. Ein freies Baschkirien und Burjatien. Einen freien Kaukasus. Eine Volksrepublik Primorje … Einen gesonderten Staat Sacha-Jakutien“. Freiheit auch für Pomorje, für Karelien, Adygeja, Kalmückien und Tscherkessien.
Mordor muss zerschlagen werden, Russland, führt Babtschenko weiter aus: „Mit einem Wort – im Uhrzeigersinn alles, was ihr euch zusammengeraubt, erobert, verdreckt, niedergebrannt habt und was ihr jetzt blauäugig für euer seit Urzeiten russisches Eigentum haltet, ohne zu begreifen, dass dem so nicht ist.“
Für ihn gibt es nur einen Weg aus dem Krieg: „Im Interesse Europas bleibt die wichtigste Investition die Bewaffnung der Ukraine. Gebt der Ukraine Waffen. Denn wenn die Ukraine verliert, dann kommt der Krieg nach Europa.“ Verhandlungen hält er für sinnlos.
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