Russland entkolonialisieren

Nicht-russische Völker stellen die russländische Föderation in Frage

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Von Tjan Zaotschnaja und Wolfgang Mayr

Der kriegsführende russische Präsident Putin biedert sich in Afrika und in Lateinamerika als Partner für die Entkolonialisierung an. Gegen die USA und die EU. Russland, die globale antikoloniale Speerspitze für die Befreiung des globalen Südens?

In Prag erinnerten Ende Juli VertreterInnen von Ureinwohner-Völkern und nichtrussischen Nationalitäten aus den Weiten Russlands daran, dass das größte Land der Welt neben China zu den letzten Kolonialmächten zählt. Das autoritäre Regime pumpt Ressourcen aus den untergeordneten Kolonien, heißt es auf der Seite des Forums des freien Völker Russlands. Der unersättliche Appetit und die aggressive Politik, der Vorwurf des Forums, führten direkt zum größten Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.

Die in den innernen Kolonien geplünderten Rohstoffe dienen ausschließlich Moskau, kritisiert das Forum: „Aber die Völker Russlands haben das Recht auf Selbstbestimmung, eine menschenwürdige Zukunft für sich selbst, Kinder und Enkelkinder. Die Menschen müssen ihr Leben selbst in die Hand nehmen und ihren Platz in der internationalen Gemeinschaft finden“.

Das Forum der Freien Völker Russlands stellt das heutige Putin-Russland in Frage, drängt auf eine Aufwertung historischer und kultureller Regionen zu unabhängigen Staaten.  Dem Forum geht es um Dekolonisierung, De-Putinisierung, Entmilitarisierung und Denuklearisierung.

Im Forum engagieren sich kommunale und regionale Politiker, Oppositionelle der Russischen Föderation und Vertreter nationaler Bewegungen. Das Forum erklärt sich solidarisch mit der sich verteidigenden Ukraine gegen die russischen Eroberer.

Beispiel das Komitee ICIPR appelliert an die indigenen Soldaten, zu desertieren. Der Kongress der Oirat-Kalmüken sprach sich in einem Appell gegen den Krieg aus. Manche der Appell- Unterzeichner flüchten ins Exil, um der Verhaftung zu entgehen.

Beim Treffen in Prag nutzten die VertreterInnen der freien Völker das freie Wort, Klartext zu reden. Der Historiker Oleksandr Naboka von der Luhansker Universität bedauerte das Fehlen eines Konzepts für die verschiedenen nationalen Bewegungen im postsowjetischen Raum. Manche wollen eine pro-europäischen Weg gehen, andere die überregionale Vereinigung, den Großen Turan, schaffen. Die Konzeptlosigkeit ist auch Folge der von Moskau geschürten interethnischen Konflikte und des Misstrauens.

Der Tschetschene Muslim Madiev wirft der russischen Führung vor, nach zwei Kriegen in Tschetschenien Völkermord begangen zu haben. Itschkeria steht unter russischer Besatzung, das Besatzungsregime wird vom mafiösen islamistischen Kadyrow-Clan geleitet.Dem Kadyrow-Regime muss die Anerkennung entzogen werden, appellierte Madiev an die internationale Öffentlichkeit.

Suleymanov Dzhambulat erzählte von seiner Teilnahme am Widerstand gegen die russische Aggression gegen Tschetschenien 1994-1996 und 1999. Dzhambulat sieht im russischen Krieg in der Ukraine als einen Versuch, die UdSSR – das russisch dominierte Imperium – wiederherzustellen.

Der Rechtswissenschaftler Denis Teps, auch er Tschetschene, hofft auf einen Zusammenbruch des Weltreichs Nr. 2. Teps plädiert für die Schaffung einer Konföderation unter den Kaukasiern, für eine Kaukasus-Union.

Der Tscherkesse Beslan Kmuzov warb für die Wiederherstellung eines demokratischen Tscherkessiens zum Schutz der Menschenrechte.

Der Wolga-Deutsche Dmitri Wilistere forderte die Aufarbeitung und Anerkennung der Völkermorde und Ethnozide an den Völkern auf dem ehemaligen Gebiet der UdSSR und der Russischen Föderation. Für notwendig hält Wilistere auch eine Entrussifizierung. Mehrere Generationen der verschiedenen nicht russischen Völker sind unter Zwang zu Russen erzogen worden.

Ilya Lazarenko von „Zalesskaja Rus“ sprach über „Neue Staaten auf der Karte Europas“. Lazarenko hofft, dass sich Zentralrussland aus der russischen Föderation herauslöst.

Sergey Vysotsky nennt die Geschichte Russlands eine Fälschung. Der Moskauer Staat ist durch koloniale Expansion entstanden, Unterdrückung und Völkermord waren die Grundlage für diese Expansion, ergänzte Vysotsky: „Die einzige Möglichkeit, Russland zu besiegen, besteht in der Entkolonialisierung der von Moskau besetzten Gebiete, auf denen die Nationalstaaten der von Moskau kolonisierten Völker entstehen sollen“.

Der Politikwissenschaftler Sergey Sumlenniy bedauerte, dass westeuropäischen Experten sich gegen das Auseinanderbrechen Russlands wenden werden. Er kann sich vorstellen, dass der Westen sich gegen die Auflösung stemmen, Nachfolge-Republiken nicht anerkennen wird.

Der französische Parlamentarier Frédéric Petit vom Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten sprach von der Notwendigkeit einer stärkeren französischen Präsenz in der Region.

Andrius Almanis vom Institut der russischen Regionen stellte seinen Marshall-Plan für die Regionen Russlands vor. Die Menschen in der russländischen Föderation gehören alle dem russischen Volk an, erklärte Almanis, sie sind aber nicht alle Russen. „In vielen Fällenbetrachten sich viele Menschen gleichzeitig als Mitglieder des russischen und ihres eigenen Volkes“.

Der Marshall-Plan zielt nicht auf eine Hilfe für „ganz Russland“ ab, sondern auf die einzelnen Regionen. Nur dann kann eine Wiedergeburt des nächsten aggressiven russischen Imperiums unterbunden werden. Der Marshall-Plan für die post-russischen Regionen soll die Demokratisierung, Entnuklearisierung und Entmilitarisierung der einzelnen Regionen fördern.

Die radikale Veränderung Russlands, also seine Auflösung, macht die Gründung der Demokratischen Vereinten Nationen (DON) notwendig. Auch die demokratische Welt muss sich neu organisieren, ist Andrius Almanis überzeugt. Die gegenwärtige UNO ist ineffektivanachronistisch.

Almanis zitierte in seiner Rede den ukrainischen Präsidenten Zelensky, wonach die künftige internationale Ordnung auf dem Schlachtfeld in der Ukraine entschieden wird. Und diese Ordnung wird nicht die Welt der geheimen Absprachen, nicht das Recht auf Gewalt, nicht Heuchelei und Zynismus sein, sondern die Welt der echten Demokratie, sagte Zelensky.

Almanis ist sicher, dass die Staaten, die auf dem Gebiet des heutigen Russlands entstehen, unterschiedlich sein werden, aber nicht antagonistisch, gleichberechtigt, aber unabhängigund frei.

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