Wer ist Conaie?

In Ecuador wehren sich indigene Organisationen gegen die Wirtschaftspolitik der rechtskonservativen Regierung.

Ecuadorean indigenous leader Jaime Vargas rises his arms during a protest against Ecuador's President Lenin Moreno's austerity measures, in Quito, Ecuador October 8, 2019. Picture taken October 8, 2019. REUTERS/Ivan Alvarado

Von Wolfgang Mayr

In der Hauptstadt Quito und in den Provinzen Pichincha, Cotopaxi und Imbabura gingen Mitglieder der indigenen Dachorganisation Conaie auf die Straßen. Sie protestieren gegen die staatliche Sozial- und Wirtschaftspolitik, weil sie zur Verarmung der Landbevölkerung, zur Zerstörung ihrer Kultur und der Umwelt führt, kritisiert die Conaie. Die Regierung setzte die Freiheits- und Grundrechte aus, die indigenen Organisationen werden von den staatlichen Organen kriminalisiert.

Staatspräsident Guillermo Lasso warf der Conaie gar einen Putsch gegen seine legitime Regierung vor. Clonaie-Mitglieder demonstrierten vor demParlament und drangen anschließend ins Plenum ein.

Vorübergehend wurde der Präsident des Dachverbandes der indigenen Nationen Ecuadors (Conaie) Leonidas Iza verhaftet. Ein eindeutiger Versuch der Einschüchterung. Trotzdem gingen die Proteste und Demonstrationen weiter. Conaie und der Bund des Evangelikalen Indigenen (FEINE) kritisierten die Regierung, wegen ihrer Politik und auch wegen der Weigerung, auf die zehn Forderungen der beiden Organisationen zu reagieren. Seit einem Jahr sind die Antworten ausständig.

Die indigenen Organisationen fordern ein Einfrieren der Treibstoffpreise, Erleichterungen für verschuldete Haushalte, faire Preise für landwirtschaftliche Produkte von Kleinbauern sowie ein sozial gerechtes Wirtschafts- und Sozialprogramm.

Conaie und Feine drängen auf eine Überprüfung der Bergbau-Politik und der Erdölförderung, auf ein Ende der Privatisierungen, auf verringerte Preise für Grundnahrungsmittel und auf eine Eindämmung der organisierten Kriminalität.

Im Zehn-Punkte-Programm verlangen Conaie und Feine die Umsetzung von kollektiven Rechten wie der interkulturellen zweisprachigen Bildung, indigene Gerichtsbarkeit, vorherige freie und informierte Zustimmung bei Großprojekten, ein konsequent zweisprachiges Schulsystem und ein Sofortprogramm zur Verbesserung der personellen und materiellen Ausstattung der öffentlichen Krankenhäuser. Ein indigenes Regierungsprogramm.

Conaie wurde 1986 von Vertretern von katholischen Basisgemeinden sowie indigenen Organisationen gegründet. Es ging um die Vereinigung der Organisationen und um die Bündelung ihrer Forderungen gegenüber dem Staat.

Seit der Gründung versuchten die Regierungen Conaie-VertreterInnen abzuwerben, zu korrumpieren, unterstützten die Gründung von Konkurrenzorganisationen. Die Conaie widerstand. In der Conaie sind 18 indigene Völker und 15 Nationalitäten vertreten. Conaie gelang es, sich mit den diversen sozialen Bewegungen in den Städten zu verbinden.

Im Umfeld von Conaie entstand 1996 der Movimiento de Unidad Plurinacional Pachakutik – Nuevo País (MUPP-NP), eine indigenistische Partei mit dem Anspruch, die Interessen der indigenen Bevölkerungen zu vertreten. Pachakuti ist ein Kichwa und bedeutet Zeitenwende. Zu den bekanntesten Parlamentariern zählten der ehemalige Conaie-Vorsitzende Luis Macasund Nina Pacari.

Die Partei war bei Gemeinde- und Bürgermeisterwahlen erfolgreich, stellte mit Macas und Pacari in der Regierung von Lucio Gutierrez in der Koalition mit dem Partido Sociedad Patriotica zwei gewichtige Regierungsmitglieder. Eine unter indigenen und sozialen Bewegungen umstrittene Regierungsbeteiligung. Der Ex-Militär Gutierrez sammelte in seiner Koalition meist Armee-Angehörige und Vertreter der traditionellen Elite um sich.

Nach nur drei Monaten verließen Pacari und Macas die Regierung, sie lehnten das neoliberale Sozial- und Wirtschaftsprogramm ab. Pachakutik unterstützte 2006 den linksgerichteten Rafael Correa, der zwar erfolgreich die Armut bekämpfte, gleichzeitig aber demokratische Errungenschaften in Frage stellte. Die Reibereien mit der Correa-Partei Pais sorgten für eine starke parteiinterne Krise in der Pachakutik-Formation, die in der Folge an Wählerzustimmung verlor.

Im Gegenzug grenzte sich Conaie von Parteien und deren indigenen Vertreter ab und verstärkte ihre Organisation. Es geht nicht mehr nur um Forderungen, sondern um tiefgreifende Veränderungen, heißt es in einer der Conaie-Erklärungen: „Wir unterstützen die Arbeit auf den Feldern, in den Großstädten, in den Fabriken, wir schützen Ernährungssouveränität, Leben, Wasser und Ressourcen für alle; deshalb werden wir nicht auf Kampf, Mobilisierung und Widerstand verzichten“.

In der ersten Anhörung des ecuadorianischen Verfassungsgerichts auf indigenem Territorium forderten indigene Völker, dass ihre Entscheidung, ihre Territorien frei von Bergbauaktivitätenzu halten, respektiert wird. In einer Resolution der A´i Cofan von Sinangoe heißt es: „Wir machen diese Aussage von unserem angestammten Territorium, wo die Knochen unserer Vorfahren begraben sind, wo unsere Geister leben und wo wir in Harmonie mit der Natur leben – Früchte aus dem Dschungel ernten, Maniok und Bananen auf unseren Farmen pflanzen, uns mit Heilpflanzen heilen und genießen und leben mit den Flüssen, die aus den Dschungelbergen kommen, die wir gekommen sind Schützen mit Speeren seit Tausenden von Jahren“.

Conaie feierte 2021 ihren 35. Gründungstag und bekräftigte die Gültigkeit der Ziele desindigenen Dachverbandes. Erinnert wurde auch an 1990, als es zu den ersten landesweiten Protesten, dem sogenannten Inti Raymi-Aufstand (benannt nach dem indigenen Sonnenwendenfest) kam. Der indigene Protest wurde in einem Manifest mit 16 Forderungen festgeschrieben. Gefordert wurde eine Reform der ecuadorianischen Verfassung, die Erklärung des Landes zu einem plurinationalen Staat und damit die Anerkennung der territorialen Rechte der indigenen Kichwa, Shiwar und Achuar.

Erste Vorläufer von Conaie gab es bereits in den 1920er Jahren. Damals versuchten mestizische Intellektuelle die miserablen Lebensbedingungen indigener Hacienda-Arbeiter zu verbessern. 1944 entstand die erste überregionale Organisation Federacion Ecuatoriana de Indios (FEI), die gemeinsam mit der KP für eine tiefgreifende Landreform kämpfte. Die KP setzte auf die Übertragung von Großgrundbesitz an Kleinbauern und deren Zusammenschluss in Genossenschaften. Die Kommunisten erkannten die indigenen Probleme nicht an, indigene Anliegen spielten keine Rolle. Die Kommunisten kennen nur EcuadorianerInnen, keine autchthone Völker.

Der Conaie ist seit der Bündelung indigener Organisationen im andinen Hochland und im Amazonas-Tiefland politisch einiges gelungen. So war die Verabschiedung einer neuen Verfassung 1998 ein großer Erfolg. Laut Artikel 1 ist Ecuador ein „sozialer Rechtsstaat, souverän, einheitlich, unabhängig, demokratisch, plurikulturell und multiethnisch“ und die Verfassung definiert zahlreiche Rechte für die indigenen Volksgruppen und die ethnische Minderheit der Afroecuadorianer.

In diesem Jahre ratifizierte Ecuador, auch auf indigenem Druck, das „Übereinkommen über Eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern“ (ILO 169, 1989). Die staatliche Behörde „Rat für die Entwicklung der Nationalitäten und Völker Ecuadors“(Consejo de Desarrollo de las Nacionalidades y Pueblos del Ecuador) soll die ILO-Verpflichtungen in die politische Praxis umsetzen. Soll.

Was fehlt noch? Die indigenen Völker und Nationalitäten stellen die Hälfte der ecuadorianischen Bevölkerung. Ihnen ist weiterhin die politische Teilhabe vorenthalten. Als mindestens die Hälfte des Staates und der ecuadorianischen Welt an die autochthonen Völker Ecuadors.

Mehr über Conaie siehe auch Nachrichtenpool Lateinamerika und amerika21.

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