Die Herkunfts-Etikette reicht nicht: Indigene AktivistInnen misstrauen indigenen Politikern

Von Wolfgang Mayr

In Bolivien konnte sich nach dem Putsch gegen Ex-Präsidenten Evo Morales der weißen Elite bei den Parlamentswahlen wieder die indigen geprägt MAS-Bewegung durchsetzen. Bei den Regionalwahlen behauptete sich die MAS als Mehrheitspartei, doch sie erhielt Konkurrenz. Besonders in den Tiefland-Regionen. Mehr Stimmen gab es für die Rechte, aber auch für indigenistische Gruppierungen.

Die „Bewegung Drittes System“ (Movimiento Tercer Sistema, MTS) holte sich sogar einen Gouverneursposten. Die linke MTS wurde 2010 vom amtierenden Gouverneur von La Paz, Félix Patzi, gegründet. Der Aymara Patzi setzt sich für indigene Belange ein.

Auch im Hochland konkurrieren linke Parteien mit der MAS um WählerInnen. Die indigene Partei „Jallala“ holt sich mit Eva Copa das Bürgermeisteramt der Millionenstadt El Alto.

Die linke indigenistischen Parteien werfen MAS-Vorsitzenden Morales vor, in seiner Amtszeit wenig für die Aymara und Quetschua sowie für die indigene Tiefland-Bevölkerung umgesetzt zu haben. Morales war das indigene Aushängeschild der MAS, lautete die Kritik.

Indigene Kritik

Ein besonders scharfer Kritiker von Morales, Felipe Quispe Huanca, ist im Alter von 78 Jahren an Herzversagen verstorben. Der Aymara Quispe, bekannt unter dem Namen El Mallku, wurde am 22. August 1942 in der Provinz Omasuyos im Hochland Boliviens geboren. El Mallku bedeutet auf Aymara „der Kondor“ und wird ebenfalls für traditionelle Autoritäten verwendet. Seine Anerkennung erwarb er sich durch seinen langjährigen Widerstandsgeist und Einsatz für die Bewegung. 1978 war er an der Parteigründung der indigenen Bewegung Túpac Katari beteiligt, die sich für die Wiedereinführung von Selbstverwaltungsformen und die Anerkennung indigener Sprachen einsetzte.

Mit Beginn der Militärdiktatur ging Quispe 1980 ins Exil nach Peru, Guatemala und El Salvador, wo er Erfahrungen im Guerilla-Kampf sammelte. 1983 kehrte er zurück und gründete die „Roten Ayllus“, eine indigenistisch-politische Basisbewegung der Bauernföderation im Hochland. 1990 schloss er sich der Guerillaarmee Túpac Katari (Ejército Guerrillero Túpac Katari) an. Diese wurde zwei Jahre später von Regierungstruppen aufgerieben und viele ihrer Mitglieder verbüßten lange Haftstrafen, unter ihnen der ehemalige Vizepräsident Álvaro García Linera.

Quispe saß fünf Jahre im Gefängnis in La Paz, wo er sein Abitur nachholte. In den 2000ern übernahm er eine Führungsrolle bei den Volksaufständen gegen die neoliberalen Regierungen, die schließlich in der Machtübernahme der Bewegung zum Sozialismus (Movimiento al Socialismo, MAS) kulminierten.

Aus seiner politischen Kritik an der MAS und insbesondere seinem ehemaligen Weggefährten Evo Morales machte Quispe nie einen Hehl. Er war Parlamentsabgeordneter für die Pachakuti Bewegung (MIP). 2014 erklärte er Morales die politische Feindschaft und bezeichnete ihn als „Neoliberalen mit dem Antlitz eines Indios“.

Quispe verteidigte bis zuletzt eine radikale indigenistische Position, die sich für die Gründung eines unabhängigen indigenen Staates einsetzte. In den letzten zehn Jahren arbeitete er als Dozent der Geschichtswissenschaft an der öffentlichen Universität in El Alto. Diese verlieh ihm posthum den Ehrendoktortitel.

Quispe war mit seiner öffentlichen Kritik nicht allein. Auch Francisca Alvarado Mamani, sie kämpft seit 30 Jahren für die Rechte indigener Frauen und ist aktiv im MAS, wehrte sich bei der jüngsten Regierungsbildung gegen die Rückkehr von Morales-Anhänger an die Spitze des Staates. Die ehemalige Lebensgefährtin ging mit Morales laut amerika21-Interview hart ins Gericht. „Wir respektieren Evo, aber wir wollen nicht, dass sein politisches Umfeld aus der vergangenen Regierung zurückkehrt. Deswegen ist es jetzt Zeit für eine neue Generation. Es war ein Fehler, keinen neuen Kandidaten zu präsentieren, denn Führungskader müssen rotieren. In der MAS hat sich eine Elite herausgebildet, die auf uns Indigene herabschaut und uns diskriminiert. Insofern ist es ein Irrglauben, dass wir Indigene an der Macht waren. Das war nie der Fall und genau das wollen wir jetzt ändern. Wir haben genug Leute in den eigenen Reihen der indigenen Bewegung, die Regierungsverantwortung übernehmen können. Die Leute haben einmal mehr ihr Vertrauen in die MAS gesetzt, das darf nicht enttäuscht werden.“

Die kommunitäre Feministin America Maceda Llanque wirft der MAS-Elite vor, „praktisch den größten Teil der indigenen originär-bäuerlichen Bevölkerung ausschlossen“, von der Macht. „Physisch hatten wir den Feind im Staat an der Macht. Du hast physisch erkannt, wo dein Feind war, er war derjenige, der die Macht besaß“, analysiert Maceda.

Hochland contra Tiefland

Es gibt aber nicht nur politische Divergenzen zwischen linken und indigenistischen Ayamar-Parteien. Die Aymara-Bevölkerung des Hochlandes und die indigenen Wald-BewohnerInnen im Amazonas stehen sich – vorsichtig formuliert – skeptisch gegenüber. Der geplante Bau einer Autobahn durch das Tiefland, einst forciert von der Morales-Regierung, sorgte für schwere Konflikte. Ladino-Politiker nutzten den Unmut, um auch gegen die ungeliebte linke Morales-Regierung zu mobilisieren.

Hochland gegen Tiefland – das ist nur einer der vielen politischen und sozialen Konflikte in dem südamerikanischen Binnenstaat. In keinem anderen lateinamerikanischen Land sind soziale Organisationen und Gewerkschaften so stark wie in Bolivien, nirgendwo sind sie aber auch so zersplittert.

Auf Druck der indigenen Coca-Bauern, das WählerInnen-Resservoir von Morales und der MAS, drängten auf den Bau der Autobahn. Die Tiefland-Indigenen kritisierte das Projekt, es fördert den Drogenanbau und den Drogenhandel. Aufgrund der heftigen Proteste wurde das Autobahn-Projekte vorläufig ausgesetzt. Der Streit um ein Großprojekt, die Betroffenen wurden von der Morales-Regierung nie konsultiert, ließ den inner-indianischen Konflikt eskalieren.

Die als hart und unnachgiebig geltenden Aymara beherrschen die Regierung in La Paz und die Grenzregion zu Peru. Die umgänglicheren Quechua in Sucre und den südlichen Provinzen fühlen sich von den Aymara nicht vertreten. Noch viel weniger die kleine Völker im Amazonas-Regenwald. Sie fühlen von ihren Verwandten im Hochland bedroht, überrollt.

Zehntausende Aymaras sind nämlich in den vergangenen Jahren vor Dürre und Elend in das fruchtbare Tiefland geflüchtet. Dort streiten sie sich mit meist weißen Farmern und Ureinwohnern um Land und Einfluss.

Quellen: amerika21; Nachrichtenpool Lateinamerika

 

MAS

Regionalwahlen in Bolivien mit indigenen Organisationen und neuen Kandidat:innen | amerika21

„Es ist ein Irrglauben, dass wir Indigene in Bolivien an der Macht waren“ | amerika21´

Microsoft Word – ENDDOKUMENT.doc (core.ac.uk)´

Der lange Marsch der Tieflandindianer (umdiewelt.de)

 

 

 

 

 

 

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