Unfassbar arrogant

Der SWR kanzelt die Journalistin Melina Borčak wegen ihrer Kritik an der Podcast-Reihe „Sack Reis“ zum Bosnien-Krieg kaltschnäuzig ab.

Von Wolfgang Mayr

Bereits am 24. März, da wütete die russische Armee bereits schon vier Wochen lang in der Ukraine, ging der Podcast „Sack Reis – Kurz vor Krieg? Der zerbrechliche Frieden in Bosnien“ online. Wenn es bloß ein Sack Reis gewesen wäre. Der Podcast ist aber eine unglaubliche Verharmlosung der serbischen Kriegs- und Völkermordverbrechen in Bosnien. Diese belegen höchst offiziell die verschiedenen Urteile des Internationalen Strafgerichthofs in Den Haag. Davon scheinen die Podcast-Macher keinen blassen Schimmer zu haben. Was ist das für ein Journalismus?

Die Reaktionen auf den Podcast blieben aus, wohl auch wegen der  russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine. Die bosnisch-stämmige deutsche Journalistin Melina Borčak wies den SWR darauf hin, dass das Podcast-Duo es geschafft hat, in nur 41 Minuten 70 faktische Fehler online zu schicken. Ein Podcast vollinhaltlich aus der Täter-Perspektive. Ein dramatisches Versagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Die Reaktion des SWR auf die Kritik von Melina Borčak ist ähnlich untergriffig wie der „Sack Reis“. Das am 15. August nachgereichte Gespräch mit Borčak strotzt vor unglaublicher Arroganz und Ignoranz der SWR-Moderatorinnen, die Borčak ständig unterbrechen, die von ihr zitierten Fakten wie die belegten Massenmorde, Massenvergewaltigungen und Vertreibungen anzweifeln. Richtigstellung und Entschuldigung, Fehlanzeige, stellt die GfbV in einem Schreiben an den SWR bedauernd fest.

Melina Borčak schreibt auf twitter: „Ich wurde unterbrochen, herablassend ausgelacht, frech und gemein genannt.“ Mit dem Podcast „Sack Reis“ und mit dem nachgereichten Gespräch – Volksgerichtshof ähnlich – verharmlost der SWR den serbischen Krieg in Bosnien mit 100.000 Toten, 50.000 vergewaltigten Frauen und Mädchen, Folter und Konzentrationslager.

Borčak zitiert eine SWR-Journalistin mit der Aussage: „Lass mich in Ruhe, sonst wirst du es bereuen. Willst du, dass es wirklich eskaliert?“ Öffentlich-rechtlicher Rundfunk? Der SWR kündigte an, das gesamte Geschehen selbstkritisch aufzuarbeiten. Weil mach sich demokratischen Werten und journalistischen Standards verpflichtet fühlt. Echt? Verharmlosen von Kriegsverbrechen, Leugnen von Genozid, Einschätzung aus der Sicht der Täter, demokratische Werte, journalistische Standards?

Den SWR scheint es auch nicht weiter zu kümmern, dass in Bosnien das Leugnen von Genozid strafbar ist. Valentin Inzko, der ehemalige Hohe Repräsentant für Bosnien, ändertedas bosnische Strafgesetz dahingehend, dass das Leugnen von Völkermord in Bosnien untersagt und strafbar ist. Der SWR-Hinweis, dass in Deutschland das Leugnen des Völkermordes in Bosnien nicht strafbar ist, spricht Bände. Ein Grund, Deutschland zu kritisieren, statt sich wegzuducken, dahinter zu verstecken. Demokratische Werte!

Die SWR-Erfahrung ist für Melina Borčak nicht ein Einzelfall. Vor zwei Jahren wurde Borčakzu einer Veranstaltung der auch von der Humboldt-Universität mitgetragenen Berlin Science Week eingeladen. Sie kritisierte den Ankündigungstext und die darin enthaltene verharmlosende Darstellung des Massenmordes serbischer Soldaten im bosnischen Srebrenica. Wegen ihrer Kritik lud die Universität die Journalistin kurzerhand aus. Klartext reden über den Genozid in Bosnien verletzt serbische Gefühle, argumentierte die Universität. Wahrscheinlich blenden deshalb deutsche Intellektuelle wie Harald Welzer, Alice Schwarzer oder Richard David Precht in ihren Offenen Briefen gegen die westlichen Waffenlieferungen an die überfallene Ukraine die russischen Kriegsverbrechen aus, um nicht russische Gefühle zu verletzen.

Borčak ist während des serbischen Bosnien-Krieges „als Flüchtling im gemütlichsten Container Deutschlands aufgewachsen.“ Sie kehrte nach Kriegsende “zurück” in ein Land, „das ich gar nicht kannte – Bosnien.“ In den Ruinen Sarajevos studierte sie Journalismus, in „abenteuerlichen Auslandsaufenthalten im exotischen Bonn, Berlin und Potsdam – bei der Deutschen Welle, der EMS Journalistenschule und im Bundestag (know your enemy)“ rundete sie ihre Ausbildung ab. Trotz ihrer journalistischen Erfolge in Bosnien siedelte sie nach 20jährigem Aufenthalt nach Deutschland über.

In Deutschland arbeitet Borčak als Journalistin und Filmemacherin, gründete mit JournalistInnen mit Flucht- und Migrationsgeschichte das Kollektiv Perspective Collective, betreut ihr Webmagazin für politische Kunst und Kultur. Derzeit arbeitet sie am Buch über antimuslimischen Rassismus in der Sprache.

Der Fall Borčak passt in das aktuelle Deutschland-Bild. Der Bundeskanzler lässt den Palästinenser-Präsidenten Abbas über angebliche 50 israelische Holocausts an den Palästinensern unwidersprochen schwafeln oder die documenta bietet in Kassel Antisemiten aus dem „globalen Süden“ ein großes Forum.

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