Ukraine: Sitz der deutschen Minderheit in Mariupol zerstört

Nach Angaben der gesamtukrainischen Volkszählung 2001, leben in der Ukraine über 33 000 ethnische Deutsche. Mehr als 170 deutsche Vereine bieten erfolgreich verschiedene wohltätige, kulturelle und soziale Aktivitäten an: Der Krieg hat alles verändert.

Text zum Foto: Das deutsche Begegnungszentrum in Mariupol vor dem Krieg und heute Fotoquelle: "Wiedergeburt" - Mariupoler Gebietsgesellschaft der Deutschen

Von Jan Diedrichsen

Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine ist Mariupol im Südosten des Landes hart umkämpft. Mittlerweile gleicht die Stadt einem Trümmerfeld. Wie von Deutschstämmigen vor Ort zu erfahren war, wurde kürzlich auch das regionale Begegnungszentrum der deutschen Minderheit in der strategisch wichtigen Hafenstadt am Asowschen Meer in mehreren Etappen beschossen und letztendlich zerstört. Zahlreiche Ukrainedeutsche sind aus der Küstenregion bereits geflohen – oft nach Deutschland.

Vor dem Krieg war das Zentrum, das mit deutschen Fördergeldern hergerichtet und renoviert wurde, ein auffallend gepflegter, friedvoller und idyllischer Ort für Kulturveranstaltungen und Sprachkurse. Es galt als Symbol der deutsch-ukrainischen Freundschaft. Davon ist jetzt nur noch das Denkmal im verwüsteten Vorgarten des Zentrums mit zwei ineinander greifenden Händen übrig geblieben – eine Hand in Schwarz-Rot-Gold und die andere in Blau-Gelb. Dem Haus der deutschen Minderheit fehlen das Dach, die Fenster und große Teile der Außenmauer. Die Fassadenreste sind alle verkohlt. Nach dem Einschlag von Granaten brannte das ganze Gebäude lichterloh. Jetzt steht die Ruine nur noch als Zeichen dafür, wie schnell eine jahrhundertealte Minderheit vernichtet werden kann.

Björn Akstinat, Leiter des Verbandes der deutschsprachigen Medien im Ausland (IMH-Internationale Medienhilfe): „In den letzten Volkszählungen haben sich über 33.000 Ukrainer zu ihren deutschen Wurzel bekannt. Man kann davon ausgehen, dass mindestens doppelt so viele deutsche Vorfahren besitzen, denn häufig haben Menschen noch immer Hemmungen, ihre Abstammung den Behörden offen zu nennen. Zu oft wurden sie in kommunistischen Zeiten genau dafür verfolgt, gefoltert und vertrieben. Es kann gut sein, dass durch den Krieg die deutsche Minderheit der Ukraine weitgehend ausgelöscht wird, da nun viele Deutschstämmige gezwungenermaßen ins Ausland geflohen sind und voraussichtlich nur in kleiner Zahl zurückkehren werden. Dies wäre außerordentlich tragisch, weil die Deutschen seit Jahrhunderten in der Region siedeln und stark zu ihrer Fortentwicklung beigetragen haben. Noch vor rund 100 Jahren gab es im Gebiet der heutigen Ukraine weit über eine halbe Million deutschstämmiger Menschen, die in mehr als 2.000 deutschen Siedlungen lebten und vor allem evangelisch-lutherischen oder mennonitischen Gemeinden angehörten. Bis zum Kriegsausbruch erschienen in Kiew und auf der Krim deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften. Im Februar 2022 – also direkt vor dem Krieg – waren noch in mehr als 60 ukrainischen Städten und Dörfern deutsche Begegnungs- und Kulturzentren aktiv.“

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