Polen kürzt Unterstützung der deutschen Minderheit um zehn Millionen Euro – Bundesregierung kritisiert „Falsches politisches Signal“ – Warschau fordert mehr Geld für Polen in Deutschland

Janusz Kowalski, Abgeordneter des Solidarischen Polens (Solidarna Polska), agitiert gegen die deutsche Minderheit in Polen. Bei der Pressekonferenz vor dem Sitz der Oppelner deutschen Minderheit präsentierte er den Standpunkt, den Deutschen in Polen müssten Rechte weggenommen werden. (c) VdG.pl

Von Wolfgang Mayr und Jan Diedrichsen

Auch das noch: Nachdem der in Berlin verhandelte Koalitionsvertrag unter den deutschen Minderheiten in Europa für Aufregung sorgte: Erstmals seit der politischen Wende wurden die deutschen Minderheiten nicht im Vertrag der neuen Regierung erwähnt, trifft jetzt die deutsche Minderheit in Polen ein weiterer politischer Tiefschlag.

 

VOICES berichtet:

Deutsche Minderheiten aus dem Koalitionsvertrag gestrichen: Verwirrung über Kurs der neuen Bundesregierung

Hören Sie unseren PODCAST:

VOICES – Podcast – Gespräch mit Bernard Gaida, dem Vorsitzender der deutschen Minderheit in Polen und der Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten (AGDM) in der FUEN

 

Die rechte polnische Regierung kürzt die Finanzierung für den muttersprachlichen Unterricht der deutschen Minderheit. Das Parlament kappte die Förderung um ein Fünftel. Die deutschen Minderheitenschulen erhalten künftig 40 Millionen Zloty weniger, das sind zehn Millionen Euro. Ein harter Schlag, gegen den der Abgeordnete der deutschen Minderheit im polnischen Sejm, Ryszard Galla, heftig protestiert, gemeinsam mit der Interessensvertretung der deutschen Minderheit und dem regionalen Sejm in Oppeln / Opole.

Bildungsminister Przemyslaw Czarnek fordert Deutschland auf, die polnische Minderheit in der Bundesrepublik gleich gut zu behandeln wie dies Polen mit der deutschen praktiziere. Laut Czarnek finanziert die polnische Regierung die deutsche Minderheit mit 236 Millionen Zloty. Für die mehr als zwei Millionen Polen in Deutschland, die meisten von ihnen stammen aus den gemischtsprachigen Gemeinden in Oberschlesien, gibt es hingegen keine Förderung. Polen wirft Deutschland vor, sich nicht an internationale Verpflichtungen und an die Menschenrechte zu halten.

Dieser Streit ist ein „ewiger Wiederkehrer“, der bereits vor einigen Jahren die deutsch-polnischen Beziehungen erheblich trübte und für dessen Lösung ein bilateraler „Runder Tisch“, unter Einbeziehung der deutschen Minderheit in Polen und der Polonia in Deutschland für Klärung sorgen sollte. Den dort verhandelten Burgfrieden hat nun die polnische Seite aufgekündigt. Es ist neu, dass Warschau die deutsche Minderheit so hart attackiert. Entsprechend verschnupft klingt die Reaktion der Bundesregierung in Berlin, vertreten durch den noch amtierenden Minderheitenbeauftragten Bernd Fabritius (CSU). In einer Pressemitteilung lässt dieser verlauten:

„Die Deutschen in Polen sind loyale Bürger ihres Staates und haben als nationale Minderheit dort Anspruch darauf, ihre Muttersprache im staatlichen Schulsystem gefördert zu bekommen, damit diese als wesentlicher Teil ihrer kulturellen Identität erhalten bleibt. Polen hat die internationalen Regelwerke des Europarates ratifiziert. Aufgrund des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten sowie der Charta zum Schutz von Regional- und Minderheitensprachen haben die Deutschen in Polen als autochthone nationale Minderheit (wie auch die anderen nationalen Minderheiten) einen Anspruch auf diese notwendige Unterstützung. Inakzeptabel ist zudem, dass Polen durch diese Entscheidung eigene Staatsbürger diskriminiert und benachteiligt, um außenpolitische Ziele für andere Personengruppen mit Druck zu versehen“, heißt es giftig aus dem Bundesinnenministerium.

Minister Czarnek in Warschau verweist seinerseits auf den vor 30 Jahren unterzeichneten deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag, der beide Seiten dazu verpflichtet, muttersprachlichen Unterricht zu ermöglichen. In Deutschland erhalten 14.000 SchülerInnen Unterricht in polnischer Muttersprache, die meisten davon in Nordrhein-Westphalen. Sie stellen nach den türkischsprachigen Bewohnern die zweitgrößte Einwanderungsgruppe in Deutschland.

Man darf durchaus vermuten, dass wegen des aktuellen Streites um Reparationszahlungen und der allgemein angespannten Rolle Polens in der EU, die PiS-Regierung die deutsche Minderheit in „Mithaftung“ nimmt und „Verhandlungsmasse“ für weitere Gespräche mit Berlin und Brüssel sucht.

Entsprechend deutlich reagiert die deutsche Seite:

„Es gibt keine ungedeckte Nachfrage nach Polnisch-Unterricht: Überall dort, wo entsprechende Nachfrage seitens polnischer Mitbewohner angemeldet wurde, haben die dafür zuständigen Länder nach den dafür geltenden Regeln und in Erfüllung der bilateralen Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen (Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit von 1991) entsprechende Angebote unterbreitet und Möglichkeiten geschaffen. Dieses haben mehrere auch aktuelle Untersuchungen der Kultusministerkonferenz nach Thematisierung der Fragen am Deutsch-Polnischen Runden Tisch ergeben. Der Vorwurf beruht zudem auf gleich zwei gravierenden Falschannahmen: In Deutschland leben keine 2,2 Millionen Polen. Die aus Polen nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungen nach dem zweiten Weltkrieg ausgewanderten ethnischen Deutschen – also etwa ausgesiedelte Schlesier oder Ostpreußen – zählen sich selbst dezidiert nicht zur „Polonia“ in Deutschland sondern sind Deutsche. Sie werden aber in polnischen Statistiken fälschlicher Weise mit vereinnahmt.“

Diese sehr deutliche Antwort aus Berlin – anders als in den Jahren zuvor, in denen man sich bei den harten Stellungnahmen eher diplomatisch zurückhaltend äußerte, wird eine Reaktion aus Warschau sicher nicht lange auf sich warten lassen.

Es wird dringend Zeit, dass die Bundesregierung sich in den Minderheitenfragen positioniert – erklärt wie wichtig die deutschen Minderheiten im Ausland sind und einen oder eine erfahrene Abgeordnete zur neuen Minderheitenbeauftragte ernennt.

Es ist eine altbekannte und leiterprobte Weisheit unter den Minderheiten in Europa: Wenn sie zwischen die nationalstaatlichen Räder zweier Länder geraten, dann können sie nur verlieren.

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