Labor Chaco: Vom Sterbenlassen der Qom, Mocovie und Wichi

Von Wolfgang Mayr

Argentinien agiert ähnlich wie der brasilianische Nachbarstaat. Brasiliens rechtsradikaler Präsident Bolsonaro überlasst die Angehörigen der indigenen Völker im Amazonas in der grassierenden Pandemie ihrem Schicksal. Sie werden kaum medizinisch versorgt. Sie beklagen deshalb hohe Todesraten. Eine raffinierte Art der „ethnischen Säuberung“.

Ähnliches geschieht in der nordargentinischen Region Chaco. Die Hälfte der an oder mit Covid verstorbenen Menschen lebte im Chaco, obwohl dort nur etwas mehr als zwei Prozent der argentinischen Bevölkerung lebt. Ein Viertel der Covid-Infizierten im Chaco sind indigene Qom. Nichtregierungsorganisationen wie die Junta Unida de Misiones (JUM) kümmern sich um die indigene Bevölkerung des Chaco, nicht die staatlichen Organe und Behörden. Die JUM unterstützte die Ansuchen auf staatliche Unterstützung zur landwirtschaftlichen Selbstversorgung der indigenen Qom, Mocovie und Wichí im Chaco.

Pandemie gefährdet Indigene

Die Qom Claudia Yuni versucht junge Indigene – trotz Pandemie – zu organisieren (siehe Video ). Die indigenen Jugendlichen sollen das Recht auf freie Meinungsäußerung nutzen, auf die eigenen Belange hinzuweisen, besonders wenn es um die gefährdeten Landrechte geht. „Mir scheint es so, dass die Orte, an denen es heute noch Wald gibt, die Orte sind, wo die indigenen Gemeinschaften leben. Und genau das sind die Gebiete, auf die es so viele abgesehen haben. Die großen Herausforderungen sind daher die Umsetzung der indigenen Landrechte und der Umweltschutz. Wir beobachten die räumliche Ausbreitung der Viehzucht, Landwirtschaft und die Übermacht der Großgrundbesitzer mit großer Sorge.“

Die Agrarindustrie verletzt die Landrechte

Der von Covid erzwungene Lockdown schränkte die persönliche Bewegungsfreiheit der indigenen Bevölkerung im Chaco drastisch ein. Nicht aber die landwirtschaftlichen Erschließungsprojekte.  Greenpeace verweist auf Satellitenbilder, die ungeschminkt neu geschlagene Schneisen in den Wäldern indigener Völker bestätigen.

Trotz gesetzlicher Vorgabe händigte der Staat den indigenen Gemeinden die notwendigen Besitztitel ihrer Gebiete nicht aus. Die damit herbeigezwungene Folge ist letztendlich die Vertreibung der indigenen Landbesitzer. Viele der landlos gewordenen indigenen Familien ziehen in die Städte. Die soziale Lage verschärft sich.

Diskriminiert und stigmatisiert

Ein Beispiel dafür ist die Siedlung der Qom im Viertel Barrio Gran Toba in der Chaco-Hauptstadt Resistencia. Die Menschen leben auf engstem Raum zusammen. Dort breitete sich Covid ungehindert aus. Die staatlichen Gesundheitsbehörden verweigert die notwendige Hilfe, es gab kaum persönliche Schutzausrüstungen.

Der alte Rassismus tobt

Covid fachte das alte Feuer des anti-indigenen Rassismus an. So erzählten Qom in einer Radiosendung des Online-Radios Futuröck über ihre Erfahrungen. Indigensein galt in der Öffentlichkeit als Infizierte. Sie wurden ausgegrenzt, nicht in Supermärkte oder zur Arbeit gelassen. Die miserable soziale Lage der BewohnerInnen der indigenen Stadtviertel verschärfte die Pandemie, die auch noch dazu führte, dass indigene Menschen kurzerhand als Virus-Schleudern beschimpft wurden.

Medien hetzen rassistisch

Die Regierung ließ nach dem Ausbruch der Pandemie das Qom-Stadtviertel in Resistencia mit Erdwällen und Zäunen „abgrenzen“. Offen blieben von der Polizei kontrollierte zwei Eingänge. In diesem Ghetto ähnlichen Viertel galten keine Einschränkungen. Erst nach der Abriegelung öffnete im Qom-Stadteil ein Gesundheits- und Quarantäne-Zentrum der zuständigen Behörde. Die Barrikaden erschwerten die Zufahrt für Krankenwägen und der Müllabfuhr. Ein Notstandskomitee koordiniert die Hilfe und vermittelt zwischen Stadtviertel und den Behörden.

Die großen Medien begrüßten die Abriegelung des Qom-Viertels. Es wurden kräftig Vorurteile geschürt, offen, nicht nur unterschwellig. Die Tageszeitung La Nación  führte die steigenden Infektionszahlen in der Region Gran Toba auf die indigene Bevölkerung zurück, die Pandemie ist die Folge angeblicher problematischer kultureller Unterschiede – brecha cultural –, das ist purer anti-indigener Rassismus.

Rassismus, Ausgrenzung und globaler Markt

Der Streit um Landrechte und die damit verbundene illegale Vertreibung der indigenen Eigentümer aus ihren traditionellen Gebieten in die städtischen Außenbezirke größerer Zentren dient offensichtlich der  Marginalisierung der indigenen und mestizischenLandbevölkerung. Auf den durch Rechtsbruch frei werdenden Land wird großflächig Sojaangebaut und Viehzucht für Fleischproduktion betrieben, Produkte für den europäischen, chinesischen und den US-amerikanischen Markt.

Die staatlichen Behörden nutzen den verhängten Lockdown auch dafür, Proteste gegen den Landraub und gegen die Mono-Kultur der Agrar-Industrie zu unterbinden. Der Movimiento Nacional Campesino Indígena und die Umweltschutzorganisation Somos MONTE Chaco versuchen deshalb den Protest über das Internet zu organisieren.

Somos MONTE Chaco attackierte mit seiner Botschaft die argentinische Politik auf facebook: „Der Chaco ist eine der Provinzen, in denen wir am besten sehen, dass das Agrobusiness ein Horror für unsere Gesellschaft sind. Mit Familien, die von Abgasen betroffen sind, die an Krebs, Fehlgeburten und Missbildungen leiden. Mit Rodungen, die seit Beginn der Geschichte der Provinz nicht aufgehört haben, die Folter und Zwangsmigrationen für kleine indigene und Criollo-Produzenten bedeuten, die alle dort lebenden wilden Tiere töten. Und was ist geblieben? Krankheiten, vergiftetes Wasser, Rauch, Wüstenbildung, versalzenes Wasser, Dürre, Überschwemmungen, soziale Konflikte, Schmerz, Ungerechtigkeit.“

Dem stimmt Raul Romero von der NGO JUM zu: „Es scheint mir, dass die Menschheit in der globalisierten Welt, eine extreme Wende machen muss, da der Schutz der Erde und der Schutz der Umwelt nur von Bauern und Indigenen geleistet werden kann. Denn die großen Unternehmen sind mit ihrem System, aber nicht mit der Sorge um Mutter Erde beschäftigt.“

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