19-10-2024
Fremde im eigenen Land
Sharice Davids appelliert an indianische US-Bürger:innen, sich an den Wahlen zu beteiligen.

Von Wolfgang Mayr
Sharice Davids ist demokratische Kongress-Abgeordnete aus Kansas, LGBTQ+-Aktivistin und Angehörige der Ho-Chunk. Davids engagiert sich in der demokratischen Partei für ihre “indianischen Landsleute”, für eine Renaissance der Reservate, für ihr Volk, die Winnebagos, Eigenbezeichnung Ho-Chunk. Die in Deutschland geborene Davids warb in IndianCountryToday für ein aktives indianisches Bürger-Engagement:
Vor 100 Jahren unterzeichnete Präsident Calvin Coolidge den Indian Citizenship Act. Damit wurden die Ureinwohner Bürger der Vereinigten Staaten. Zuvor wurden meine Vorfahren wie Fremde in ihrem eigenen Land behandelt, ohne eine Stimme in den verschiedenen Volksvertretungen des Landes. Die Verabschiedung des Gesetzes war der Beginn einer Reise für die Freiheit und Selbstbestimmung der amerikanischen Ureinwohner, die bis heute andauert.
Generation um Generation haben sich die amerikanischen Ureinwohner dafür eingesetzt, dass unsere Gemeinschaften alle Rechte und Pflichten der US-Staatsbürgerschaft erhalten. Gleichzeitig drängten sie darauf, dass die Vertragsrechte geschützt werden und die Souveränität der Stämme garantiert wird.
Ein schwieriger Spagat, den Ruth Muskrat, indigene Beraterin von Präsident Coolidge, 1923 als “Dualität” beschrieb: “Wir wollen Bürger der Vereinigten Staaten werden und am Aufbau dieser großen Nation, die wir lieben, teilhaben. Aber wir wollen auch das Beste bewahren, was in unserer eigenen Zivilisation ist.“
Ich kann als Angehörige der Ho-Chunk Nation of Wisconsin betätigten, dass es diese Entwicklung gibt, wie Ruth Muskrat gehofft hatte. Wir sind auf dem Weg zu diesen Zielen. Ich bin die Tochter einer alleinerziehenden Mutter, die 20 Jahre lang in der US-Soldatin war. Ich besuchte das Community College und die Universität. Ich war die erste in meiner Familie mit einem College- und einem Universitäts-Abschluss.
2019 wurden die jetzige Ministerin Deb Haaland und ich den in den Kongress gewählt. Haaland und ich zeigten einen Weg auf, wie in Ruth Muskrat angedacht hatte. Wir wurden zur indigenen Stimme im Kongress.
Im Laufe meiner Karriere gab es Zeiten, in denen ich die „Einzige“ war. Diese Erfahrung ist unter Ureinwohnern und so vielen anderen nur allzu häufig. In den letzten 100 Jahren haben wir jedoch erhebliche Fortschritte erzielt, um sicherzustellen, dass diese Stimmen besser vertreten sind. Ich arbeite im Kongress an verschiedenen Themen, um sicherzustellen, dass wir uns weiter vorwärts bewegen, nicht rückwärts.
Das Staatsbürgerschafts-Gesetz war ein monumentaler Sprung in der Souveränität der Stämme. Trotzdem, viele Bundesstaaten erließen Gesetze, um Angehörigen der indigenen Gemeinschaften ihr Wahlrecht vorzuenthalten. Während der Kongress 1965 den Voting Rights Act verabschiedete, der Rassendiskriminierung in Wahlgesetzen verbot, sehen sich die indigenen Wähler:innen am Wahltag auch heute noch mit vielen Hindernissen konfrontiert. Um dieses Problem zu lösen, habe ich den Native American Voting Rights Act in den Kongress eingebracht. Damit wird sichergestellt, dass die Stimmen der Ureinwohner gehört werden.
Fast jede/r Ureinwohner:in durchlief Indianerinternate, ich auch. Meine Großeltern sind Intenats-Überlebende. Die Bundesregierung und die Bundesstaaten müssen diese schmerzhafte Geschichte und deren Auswirkung anerkennen. Meine Landsleute und ich fordern Heilung für die Nachfahren betroffener Familien.
Aus diesem Grund schlugen der Republikaner Tom Cole aus Oklahoma, mein Co-Vorsitzender des Congressional Native American Caucus und ich die Gründung einer Wahrheits- und Heilungskommission vor. Sie soll die Internats-Politik untersuchen und endlich Maßnahmen für die generationenübergreifende Traumata vorschlagen.
Diese Beispiele unterstreichen die Wichtigkeit indigener parlamentarischer Vertretung, das Mitwirken in Entscheidungspositionen. Nur dann kann Abhilfe geschaffen werden. Ob wir die Gebeine unsere Vorfahren in ihre rechtmäßige Heimat zurückbringen können, den Kindern, die wir verloren haben, Namen zu geben oder die unerträglich vielen Fälle unser vermissten und ermordeten Verwanden endlich aufzuklären, Repräsentation bleibt der Schlüssel zur Lösung dieser Probleme. Es begann vor 100 Jahren mit dem Indian Citizenship Act.
Repräsentation ist das Instrument für die Stammesgemeinschaften, bei wichtigen politischen Errungenschaften von der Infrastruktur über die Gesundheitsversorgung bis hin zur Bildung mitzubestimmen.
Damit können wir öffentlich und parlamentarisch auf die unverhältnismäßig hohe Zahl vermisster und/oder ermordeter indigener Frauen aufmerksam machen und auf die genauso hohe Müttersterblichkeit. Das Instrument Vertretung garantiert den Zugang zu Ressourcen, um Leben zu retten.
Auf diese Weise haben wir die Anerkennung des Tages der indigenen Völker erlangt. Damit kann erreicht werden, dass diese Nation unsere Geschichte und unsere moderne Kultur endlich ernst nimmt.
Auf diese Weise erinnern wir die Menschen daran, dass indigene Gemeinschaften widerstandsfähig sind, dass wir vielfältig sind und dass wir immer noch hier sind.
1915 hielt Dr. Carlos Montezuma in Lawrence, Kansas, – etwas außerhalb des Distrikts, den ich vertrete – eine Rede vor der Society of American Indians. Er kritisierte den Umgang der Bundesregierung mit den Stämmen und rief zur Solidarität zwischen den indigenen Gemeinschaften auf: „Wir müssen als Einheit handeln.“
Ich respektiere seine immense Leidenschaft für die Förderung unseres Volkes und seine Anerkennung, dass die Bundesregierung noch viel zu tun hat, um ihrer Verantwortung gegenüber den Stämmen gerecht zu werden. Obwohl er nur ein Jahr vor der Verabschiedung des Gesetzes verstorben ist, hoffe ich auch, dass er – genau wie ich – stolz auf die Fortschritte ist, die wir gemacht haben.
Wie der Indian Citizenship Act anerkannte, ist die Geschichte der amerikanischen Ureinwohner die amerikanische Geschichte. Wenn wir weiterhin gemeinsam voranschreiten und die fortdauernde Kultur, Kunst und Traditionen der Ureinwohner feiern, die unser Land geprägt haben, wird das nächste Jahrhundert unserer gemeinsamen Geschichte noch größer sein als das letzte.
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