07-07-2024
Ewenken gegen Norgold
Ein indigenes Dorf im russischen Fernen Osten wehrt sich gegen einen Gold-Oligarchen.
Von Wolfgang Mayr
Allein gegen Norgold. Die Bewohner von Tjanya wollen verhindern, dass ihr Land umgegraben, verwüstet wird. Von Norgold, Eigentümer ist der Oligarch Alexej Mordaschow.
Die Chancen sind gering, kommentiert Leyla Latypova von der Moscow Times. Sie zitiert Aktivisten, die sagen, sie haben aber keine andere Wahl, als es trotzdem zu versuchen. Die kleine indigene Ewenken-Gemeinschaft in der Republik Sakha (Jakutien) fordert einen Minenriesen heraus, zum Schutz ihrer traditionellen Lebensgrundlagen.
Die Bewohner von Tjanja, ein Ewenkendorf mit 470 Einwohnern im südöstlichen Bezirk Oljokminski in Sacha, appellierten an Präsident Wladimir Putin und das Oberhaupt ihrer Republik, Aysen Nikolajew, Norgold daran zu hindern, eine vierte Mine in der Region zu öffnen.
In einem offenen Brief, von 164 Dorfbewohner:innen unterzeichnet, pochen die Ewenken auf ihre traditionelle Lebensweise und auf den Schutz der natürlichen Umwelt. In dem Brief heißt es, dass der Goldabbau zu Abholzung und Wasserverschmutzung führt, dass sich chemische Staubpartikel aus den Minen auf dem von Rentieren gefressenen Moos absetzen und die Rentier-Wirtschaft gefährden.
Den Brief an Putin nennt Sargylana Kondakova als einen Schrei der Verzweiflung. Kondakova ist Mitbegründerin der Free Yakutia Foundation, Sakhas größter Antikriegs- und Indigenenbewegung. Kondakova lebt im australischen Exil und beschreibt den Protest ihrer Landsleute als einen Versuch, die weitere Plünderung ihres Landes zu stoppen.
Vom leisen Widerstand der Ewenken
Die Ewenken, ehemals nomadische tungusischsprachige Völker, waren unter den sowjetischen Behörden einer Zwangssesshaftmachung, Kollektivierung und Russifizierung ausgesetzt. Von den insgesamt 70.000 Ewenken lebt die Hälfte in Sibirien. Einige halten an ihrer traditionellen Lebensweise fest.
Die Ewenken leben vom Fischfang, der Jagd und der Rentierzucht, ihr Lebensstil ist dem früherer Generationen sehr ähnlich, sagt Stefania Kulaeva, Menschenrechtsaktivistin und Expertin am Brüsseler Antidiskriminierungszentrum (ADC) Memorial.
Dieses schwierige Leben unter extremen klimatischen Bedingungen verdient Respekt und Unterstützung, wirbt Kulaeva für Solidarität. Sie beschreibt die indigene Landnutzungspraktik als die “naturerhaltendste und umweltfreundlichste Art der Ressourcenbewirtschaftung“.
Die Ewenken leben abgeschieden von der russischen kolonialen Mehrheitsgesellschaft, die nächste größere Stadt ist fast 300 km entfernt. Trotzdem dringt Norgold auf der Suche nach Rohstoffen in entfernt abgelegene Regionen ein.
2007 eröffnete Norgold mit Tabornyi den ersten Tagebau in der Nähe von Tyanya. Später folgten zwei weitere Minen, Gross und Tokko, die jährlich mehr als 20 Tonnen Gold fördern. Wegen der westlichen Sanktionen verringerte Norgold seine Auslandsaktivitäten und forciert die Erschließung einer vierten Goldmine in Sache, in Vrezannoe.
Die Goldgewinnung im Tagebau verschmutzt auch weit entfernte Gebiete, warnt Ilya Shumanov von der NGO Arctida, die sich mit der russischen Arktis beschäftigt. Zwar sind Konzerne wie Norgold verpflichtet, Berichte über verursachte Umweltschäden vorzulegen. Shumanov bezweifelt aber den Wahrheitsgehalt dieser Berichte. Betroffene klagen, sie leiden unter dem Tagebau, weiß Shumanov.
Mit seinen Berichten verschleiert Norgold die Auswirkungen des Tagebaus auf die Ewenken, ist Ekaterina Zibrova vom Wits Center for Diversity Studies im südafrikanischen Johannesburg überzeugt. Norgold versucht auch zu verschleiern, wie schlecht das Verhältnis zwischen Konzern und Ewenken ist.
Zibrova verweist auf einige Passagen in den Norgold-Berichten, laut denen der Konzern in seinen Abbaugebieten in Burkina Faso und Guinea vom Abbau Betroffene unterstützt. Informationen über Minen in Sibirien sind dürftiger, zurückhaltender. Norgold belegt, dass sie “einkommensschwachen Familien” finanzielle Unterstützung angeboten haben, dass indigene Gemeinschaften unterstützt werden.
Vage Informationen, stellt Zibrova fest, detaillierter sind die Norgold-Berichte über den Abbau in Guinea. Es ist offener und zugänglicher als der Norden Sibiriens, weist Zibrova hin. Wer weiß auch schon, was für Menschen dort leben, und niemand hat natürlich von den Ewenken gehört, ergänzt Zibrova.
Kolonialmacht Norgold
Norgold hingegen behauptet, freundschaftliche Beziehungen zu den Bewohnern von Tjanya zu pflegen und der Gemeinde durch soziale und finanzielle Unterstützung einen Teil des geplünderten Reichtums zurückzugeben. Das ist nur ein Teil der Wahrheit, der Fall des Gemeindevorstehers Arsentiy Nikolaev spricht eine völlig andere Sprache.
2020 wurde Nikolajew, damals Abgeordneter im Parlament von Sacha, wegen angeblicher Bestechung und Erpressung von Norgold unter Hausarrest gestellt. Er starb im November 2021 63-jährig an einer nicht näher bezeichneten Krankheit. Die Einheimischen behaupten, dass das auch vom Geheimdienst FSB angestrengte Verfahren gegen Nikolajew eine Vergeltung für seine Versuche war, die indigene Bevölkerung zu verteidigen.
Die Gemeinde Tjanya in Sacha ist für ihre Proteste bekannt. Bekannt ist auch, dass ihre Aktivisten aufgrund erfundener Anschuldigungen verhaftet wurden, erklärt Kondakova von Free Yakutia.
Es gibt aber keinen einheitlichen Protest und Widerstand gegen Norgold. Die Rohstoff-Unternehmen bieten Arbeit und Geld an, Karriere und möglichen Wohlstand. Viele der arbeits- und perspektivlosen Ewenken hoffen auf Arbeitsplätze.
Nach dem offenen Brief der Ewenken ging Norgold in die Offensive, verunglimpfte die Unterzeichner als “ausländische Agenten“ und “Extremisten“. Die Reste der liberalen Opposition halten sich von den Ewenken fern, gelten sie doch als treue Diener ihres Herrn. Ewenken dienen in der Invasionsarmee Putins in der Ukraine. Die Ewenken befinden sich in einer schwierigen Lage, mit ihrer Loyalität gegenüber Putin versuchen sie, zu ihrem Recht zu kommen, kommentiert Zibriova die Haltung ihrer Landesleute. Es ist aber davon auszugehen, dass Putin nicht gegen die Interessen seines Protegés Mordaschow handeln wird.
„Diese Menschen stecken zwischen zwei übermächtigen Systemen fest. Auf der einen Seite gibt es den Staat, der dich unter Druck setzt, deine Männer in den Krieg mitnimmt, entwickelt die Infrastruktur nicht und fördert die weitere Isolation. Auf der anderen Seite gibt es dieses Geschäft, das kommt und Dinge wegnimmt und immer weiter in ihr Land eindringt“, zitiert Moscow Times Zibrova.
„Wenn man sich in einer Situation der Unterdrückung und Gewalt befindet, dann ist es sehr schwierig zu erkennen, dass dies zwei Seiten derselben Medaille sind“, fügte sie hinzu.
Kondakova von Free Yakutia äußerte sich ähnlich.
„Diese vierte Mine wird auf jeden Fall in Betrieb genommen“, sagt sie. „Aber diese Initiative … zeigt anderen Menschen in Sakha, dass ihre Umwelt zerstört wird und niemand ihre Rechte verteidigen wird.“
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