Die Zerstörung Masurens

Ein Autobahn-Projekt kolonisiert und bedroht eine alte Natur- und Kulturlandschaft

Von Wolfgang Mayr

Masuren blieb lange unberührt. Nach der Abwanderung, „Aussiedelung“, der polnischsprechenden Masuren in den 1950er Jahren nach West-Deutschland, siedelte die kommunistische polnische Regierung in dieser historischen Region Vertriebene aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten in Weißrussland an. Eine neue Heimat fanden auch „umgesiedelte“ Ukrainer aus Galizien, aus dem südöstlichen Polen.

Trotz der forcierten Umsiedlung blieb Masuren großteils unberührt. Masuren stand für viele Seen und tiefe Wälder, aber auch für Armut und Rückständigkeit.

In den größeren Zentren wie Ostrada (Osterode) oder Olsztyn (Allenstein) interessieren sich unterschiedliche Personengruppen für die Geschichte dieser Region, einst am Rande Deutschlands, heute der nördliche Teil Polens. Masuren war der südliche Teil Ostpreußens, heißt heute Ermland-Masuren. Der nördliche Teil um Kaliningrad, das alte Königsberg, wurde zu einem sowjetisch-russischen Oblast.

Masuren, Sehnsuchtsland der Ausgewanderten, Umgesiedelten, Vertriebenen, heute Heimat vieler Umgesiedelter und Vertriebener, inzwischen auch Sehnsuchtsland für polnische Bürger. In der polnischen Woiwodschaft Warminsko-Mazurski (Ermland-Masuren) gibt es noch Überreste der masurischen Urbevölkerung.

Autobahn ins Herz

Für die verschiedenen Regierung, aber besonders für die nationalkonservative PIS wurde Masuren zu einem Objekt der Begierde, ein Landstrich, der zu erschließen ist, zu kolonialisieren. Mit Mitteln aus Brüssel, der von der PIS gehassten Hauptstadt der ungeliebten EU, liess die polnische Regierung die Nationalstraße 16 ausbauen. Diese gilt als „Rückgrat von Ermland und Masuren“, ist 395 km lang, beginnt in der Nähe von Grudziądz und endet an der Grenze zu Litauen.

Teile der Straße zwischen Olsztyn über Borek Wielkie (Gemeinde Biskupiec, Bischofsburg) und Mrągowo (Sewnsburg) wurden bereits ausgebaut. Der geplante 80 km lange Abschnitt von Mrągowo über Orzysz (Arys) nach Ełk (Lyck) wird das Land der vielen Seen durchqueren und entlang des Naturparks durch Natura-2000-Gebiete und Landschaftsschutzgebiete verlaufen.

Diese Pläne provozierten Widerstand, denn die Straße werde nachhaltig Masuren verändern, auch zerstören, kritisieren die Straßen-Gegner. Sie verweisen auf die landschaftliche Einzigartigkeit, zahlreichen Seen, Flüsse, Sümpfe und Moore sowie Moränenhügel. Sie befürchten die riesigen Erdarbeiten, die Entwässerung der Sümpfe und Feuchtgebiete. Damit werde Masuren verwüstet, in der touristischen Werbung galt Masuren als ein „Wunder der Natur“.

Die Bauarbeiten begannen 2008. Aufgrund der zahlreichen Schutzgebiete sowie der zahlreichen Proteste wurden die Baupläne immer wieder abgeändert, „entschärft“. Trotzdem, die genehmigten Projekte sehen alle den Bau einer Autobahn durch das masurische Herz vor, entlang an Seen und Moore sowie quer durch unberührte Wälder. Um die nachhaltige Schädigung einzuschränken, sind aufwändige Brücken geplant.

Entwicklung der Region?

Die Baufirmen und die Regierung warben für den Bau der Superstraße. Sie diene der „Entwicklung der Region“, Straßen brächten den Fortschritt, Ermland und Masuren werde an die Moderne angebunden. Mrągowo, Mikołajki (Nikolaiken), Pisz (Johannesburg) oder Ełk seien nicht mehr länger von der Außenwelt abgeschnitten. Die alte Nationalstraße 16 werde mit ihrem Ausbau an das transeuropäische Verkehrsnetz angeschlossen, werde damit zur wesentlichen Ost-West-Linie für den Handelsaustausch zwischen Polen, Russland, Weißrussland und den baltischen Staaten. Fortschrittsslogans aus der Zeit vor dem russischen Eroberungskrieg in der Ukraine.

Geplantes Verkehrsaufkommen auf dieser neuen Achse, 23.000 Autos täglich, die Lkw nicht mitgerechnet.

Eine unvorstellbare Menge für diese abgelegene Region der vielen Seen und der großen Wälder, eine äußerst touristisch attraktive Region. Für die Wirtschaftstreibenden ist die Entwicklung des Tourismus ein strategisches Ziel. Es zieht viele deutsche Touristen an, die meisten Urlauber stammen aber aus dem Warschauer Umland und Süd-Polen, aus Masowien, Schlesien und Klein-Polen.

Laut den masurischen Touristikern kommen keine Urlauber aus Kujawien oder Suwalki, dorthin soll die Autobahn führen. Sie wollen deshalb keine, keine Lastwagen-Kolonnen, keine Verwüstung der Landschaft, keinen Lärm und keine Abgase. Masuren sind ein Gegenentwurf, argumentieren die Projekt-Kritiker, Masuren stehen für Landschaft und Natur, für Stille und saubere Luft. Sie befürchten, dass die aufgemotzte S16 keine neuen Touristen nach Masuren locken, sondern diejenigen verscheuchen wird, die seit Jahren dorthin kommen.

Rettet Masuren!

Daraus wuchs ein Protest, der die Befürworter überraschte. Es entstand eine kompakte Front der Opposition“, die Koalition „Rettet Masuren“  . Mit dabei Bürger der Gemeinden Mrągowo, Ryn (Rhein), Mikołajki, Orzysz (Arys) und Ełk. Sie werben für eine Sanierung der bestehenden Nationalstraße 16, nur für einen moderaten Ausbau. Sie lehnen aber einen Transitkorridor durch das Herz von Masuren ab. Mehr als 30.000 Bürgerinnen und Bürger unterzeichneten schon in den ersten Tagen die Protest-Petition.

Einer der Wortführer ist der Geograph und Gastwirt Krzysztof A. Worobiec. Der aus Wroclaw stammende Hobby-Historiker, er verwendet auch den alten Namen Breslau, recherchierte die Geschichte der verschwundenen masurischen Dörfer. In zwei detailreichen Büchern zeichnete Worobiec die untergegangene Welt der masurischen Kleinhäusler nach. Dieses Erbe will er bewahren.

Für die Autobahnbefürworter überraschend waren auch die Reaktionen der Kommunalpolitiker. Der Bürgermeister von Ryn sprach sich gegen die geplante Autobahn aus, der Bürgermeister der Gemeinde Mrągowoprotestierte gegen die zu erwartende Gefährdung der Landschaft, er befürchtet irreversible Schäden. Für ihn ist das Projekt inakzeptabel. Die Stadt- und Architekturkommission in Mrągów schloss sich dem Bürgermeister-Protest an, das Projekt sei angetan, Masuren zu zerstören. Auch der Stadtrat von Orzysz benannte die Autobahn als eine Gefahr für die Region, sie zerstöre die wirtschaftlichen Grundlagen. Und die Gemeinde Mikołajki protestierte gegen das Projekt, weil es als internationaler Verkehrskorridor Transit anziehe, zum Schaden Masurens.

Eine gewaltige Schneise wurde durch das Land geschlagen, rücksichts- und hemmungslos, ohne Befragung der betroffenen Bevölkerung. Südlich von Mragowo befindet sich derzeit die Großbaustelle. Die Bagger werden sich durchfressen durch die Wälder über Mikolaki bis nach Elk.

Die alten masurischen Wälder schrumpfen, sie werden geplündert von der Tiroler Firma Egger. Aus den Bäumen dieser urtümlichen Waldlandschaft werden Spanplatten. Mit dem Bau der Autobahn wird noch mehr Wald verschwinden.

Masuren, ein bedrohtes Wunder der Natur, eine alte Kultur- und Naturlandschaft droht zu verschwinden.

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