„Die Russen wollen uns vernichten“

Der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan verzweifelt an den Verhandlungsappellen besonders deutscher Intellektueller

Von Wolfgang Mayr

AutorInnen, WissenschaftlerInnen und Intellektuelle begründen ihren Aufruf für Verhandlungen mit Russland mit dieser These: „Die Fortführung des Krieges mit dem Ziel eines vollständigen Sieges der Ukraine über Russland bedeutet Tausende weitere Kriegsopfer, die für ein Ziel sterben, das nicht realistisch zu sein scheint.“

Das Ziel der kämpfenden UkrainerInnen ist der Erhalt ihres Staates, der Selbständigkeit und der Demokratie. Serhij Zhadan wirft deshalb den Initiatoren des Offenen Briefes um den Philosophen Richard David Precht Zynismus vor: „Was sie sich nicht trauen zu sagen: Wenn die Ukraine verliert, gehen die Opfer nicht in die Tausende, sondern in die Hunderttausende. Und das Blut dieser Toten haben jene auf dem Gewissen, die immer noch unbeirrt mit dem Bösen spielen und dabei allen Wohlergehen und Frieden wünschen“.

Deutsche Intellektuelle, die auf Verhandlungen mit Russland drängen, wissen offensichtlich nicht, schreibt Zhadan, dass „die Russen nicht mit uns verhandeln wollen, sie wollten und wollen uns vernichten. Und wenn die deutschen Intellektuellen andeuten, eine allzu große Unterstützung für die Ukraine lohne nicht, weil die Ukrainer sowieso keine Chance hätten, lassen sie es zu, dass durch den russischen Chauvinismus und Revanchismus Normen und Gesetze verletzt werden und das ukrainische Volk ausgelöscht wird. Sie sprechen damit der Ukraine das Existenzrecht ab“.

Die Briefeschreiber sind nicht allein. Da sind noch die Neonazis von der AFD, die linken Sektierer um Sahra Wagenknecht, die Bürgermeister in Mecklenburg-Vorpommern, der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer. Welt-Kolumnist Henryk M. Broder wundert sich über diese Russland verstehenden Äußerungen. Manche deutsche Ex-Politiker und Ex-Militärs empfehlen der Ukraine, Land an Russland abzutreten, im Gegenzug gibt es Frieden. Die Nachfahren jener, die im Zweiten Weltkrieg die Ukraine verwüstet hatte, zeigen sich großzügig, wenn es um die Teilung eines fremden Landes geht. Broder schlägt deshalb vor, Russland erhält von Deutschland das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und zieht sich anschließend aus der Ukraine zurück.

In der Ukraine strebt Russland mit seinem Krieg in der Ukraine die „Entukrainisierung“ an. Ukrainer werden getötet, weil sie Ukrainer sind, erinnert Autor Serhij Zhadan die deutschen Verhandlungsverfechter. Mit ihrem Pazifismus, der nach zynischer Gleichgültigkeit stinkt, legitimieren die Verfasser des Briefs die Putinsche Propaganda-Erzählung. Diese besagt, „dass die Ukraine kein Recht auf Freiheit, kein Recht auf Existenz, kein Recht auf Zukunft, kein Recht auf eine eigene Stimme hat, weil ihre Stimme, ihre Position den großen und schrecklichen Putin womöglich reizen könnte“.

Trotzdem oder gerade deshalb wird der Kreis der Putin-Versteher immer größer. Dazu zählt der rassistische ungarische Ministerpräsident Orban, die französische Rechtsradikale Le Pen, die franco-faschistische Partei Vox in Spanien und nach den Neuwahlen in Italien die neue italienische Regierung um die Neofaschistin Giorgia Meloni, Lega-Chef Matteo Salviniund Silvio Berlusconi von Forza Italia. Salvini und Berlusconi gelten, wie der ehemalige sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder auch, als ausgewiesene Putin-Fans. Es verwundert, wenn auch Historiker – wie der Innsbrucker Michael Gehler – Aggressor und Opfer auf eine Ebene stellen. Ein erster Schritt der Entsolidarisierung mit der Ukraine, die die Russen vernichten wollen.

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