Die Angst vor der Übervorteilung

Die indigene Bevölkerung Neukaledoniens lehnt das Wahlrecht für französische Siedler ab.

Von Wolfgang Mayr

Die französische Kolonie Neukaledonien, weit ab von Frankreich, ist in Aufruhr. Der indigene Teil. Es gab Tote, Verletzte, Verwüstungen, Krawalle. Die Pariser Zentrale verhängte den Ausnahmezustand. Die übliche kolonialistische Reaktion.

Anlass für die Krawalle ist die von der französischen Regierung geplante Wahlrechtsreform zugunsten der zugezogenen französischen Bürger:innen. Die Stimmlosen würden eine Stimme erhalten, ein demokratisches Grundrecht. Dementsprechend fallen auch die Kommentare westlicher Medien aus. Sie reagieren völlig verständnislos auf die Proteste indigener Demonstrant:innen. 

Sie lehnen die Wahlreform von Staatspräsident Macron strikt ab, 25.000 zugezogenen französischen Bürger:innen das Wahlrecht zu gewähren. Damit würde nämlich das Lager der Unabhängigkeitsgegner gestärkt, lautet eines der indigenen Argumente. Das geplante Wahlgesetz wird von den Demonstranten als eine Rekolonialisierung empfunden. 

“Eingefrorene” Volkszählung
Dreimal stimmten die Bürger:innen des neukaledonischen Archipels über ihren Status ab, 2018 und 2020 scheiterten die Unabhängigkeitsbefürworter, 2021 boykottierten sie die Volksabstimmung. 

Nicht nur dieses Projekt sorgt für Konflikte, auch das Wahlrecht. Bei den Provinzwahlen gilt ein eingeschränktes Wahlrecht: Nicht-Einheimische dürfen nur dann wählen, wenn sie schon vor 1998 in Neukaledonien lebten. Eine ähnliche Regelung gilt im autonomen Südtirol, eine mehrjährige Ansässigkeitsklausel soll bei den Landtagswahlen sich positiv diskriminierend auswirken. 

Im Fall Neukaledonien soll das limitierte Wahlrecht ein politisches Gleichgewicht zwischen “Kanakern” (indigene Eigenbezeichnung für 41 Prozent der Bevölkerung) und den Nicht-Kanakern sowie zwischen Unionisten und Unabhängigen garantieren. Französ:innen kritisieren, dass ich Ausschluss undemokratisch ist. Sie stellen mehr als 24 Prozent der Bevölkerung.

Die Regierung in Paris reagierte auf die “französischen” Wünsche und kündigten an, allen in Neukaledonien lebenden Ausländern das Wahlrecht zu gewähren. Aufrecht bleibt das einzige Limit, dass sie seit mindestens zehn Jahren Bürger:innen Neukaledoniens sind. Das betrifft 25.000 Menschen, fast 10 % der Bevölkerung des Archipels. Die Mehrheit davon mit familiären Ursprüngen oder Verbindungen zu Frankreich, der “Mutterland”.

Damit würde die Regierung in Paris das 1998 zwischen der kanakischen Unabhängigkeitsbewegung und Frankreich vereinbarte Abkommen einseitig auflösen. 

Ein Abkommen, das die neukaledonischen Indigenen vor einer Übervorteilung schützen soll, für eine Balance sorgen soll zwischen den pro-französischen unionistischen Parteien (Loyalisten genannt) und den kanakischen Organisationen. Diese befürchten, dass mit dem “Auftauen” des Wahlrechts die 1998 begonnen Entkolonialisierung gestoppt wird.

Archipel-Kongress opponiert

Eine Mehrheit der neukaledonischen Kongressmitglieder lehnen die Wahlrechtsreform ab. Darunter nicht nur die kanakischen Unabhängigkeitsbefürworter, sondern auch die unionistische “Partei des ozeanischen Erwachens” der polynesischen Zuwanderer der französischen Inseln Wallis und Futuna. In einer gemeinsamen Resolution Kanaken und Polynesier die Rücknahme des Reformgesetzes.

Der Senat in Paris genehmigte aber bereits die Reform, in der Nationalversammlung wird die Macron-Partei En Marche von der konservativen und extremen Rechten unterstützt. Präsident Macron hält an seinen Plänen fest und forderte die neukaledonischen Parteien auf, die Gespräche über die die Zukunft Neukaledoniens wieder aufzunehmen. Im Rahmen Frankreichs.

Die kanakischen Parteien hingegen fordern die Entkolonialisierung: Neukaledonien ist eine Kolonie und der einzige akzeptable Vorschlag ist die Entkolonialisierung und die volle Souveränität.

Mehr Polizei statt Dialog

Der Hochkommissar der französischen Regierung in Neukaledonien, Louis Le Franc, kündigte mehre Polizisten an. Gegen die Gewalt indigener Jugendlicher will Le Franc mit Polizeigewalt vorgehen.

Deshalb befürchtet die Bürgermeisterin von Nouméa, Sonia Lagarde, die Proteste könnten in einen “Bürgerkrieg” ausarten. Wie schon in den 1980er Jahren, bei den damaligen Unruhen verloren Dutzende Menschen ihr Leben. Erst mit der Unterzeichnung des Matignon-Abkommens (1988) konnten die gewalttätigen Auseinandersetzungen gestoppt werden, mit dem folgenden Autonomie-Abkommen von Nouméa (1998) starteten die Entkolonialisierungsgespräche. 

Die Unabhängigkeitsbefürworter werfen dem französischen Staat vor, für die jüngsten Unruhen verantwortlich zu sein. Sie hätte mit der Wahlrechtsreform der Abkommen von Nouméa gebrochen.

Frankreich wiederholt drastische Fehler, wie schon im frankophonen Afrika. Die ehemalige Kolonialmacht behandelte seine Ex-Kolonien weiterhin herablassend und ausbeuterisch kolonialistisch. Ausgerechnet Russland und China biedern sich als Partner an, als Speerspitzen des Anti-Kolonialismus. Auch im Fall Neukaledonien 

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