11-02-2023
Der Aufschrei der Ausgegrenzten
Aymara und Quechua in Peru widersetzen sich der Absetzung ihres Präsidenten Pedro Castillo.
Von Wolfgang Mayr
Die Andenrepublik Peru kommt nicht zur Ruhe. Mit der putschartigen Absetzung des linken Präsidenten Pedro Castillo als Antwort auf seinen angeblichen Putsch gegen das Parlament wird Peru in seinen Fundamenten durchgerüttelt. Die Anhänger Castillos, vielfach Aymaras und Quechuas vom Hochland, wehren sich vehement gegen seine politische Verräumung. Sie sorgen für einen lauten indigenen Aufschrei.
Seine Absetzung durch die Vizepräsidentin empfinden Angehörige der indigenen Hochland-Bevölkerung als einen weiteren Versuch, sie auszugrenzen. Die peruanische Elite unterdrückt seit der Eroberung des Inka-Reiches durch die spanischen Conquistadores die Ureinwohner-Völker.
Deren Nachfahren, der Großteil lebt im Süden des Landes in Puno, Cusco, Ayacucho und Apurímac ist das Unbehagen über die peruanische Politik groß. Dort wütete in den letzten Jahrzehnten der Neoliberalismus mit seiner grenzenlosen Ausbeutung von Land und Leuten in Allianz mit dem Oligarchen-Zentralismus. Der südliche Landesteil ist eine indigene Hochburg des Protestes und Widerstandes.
Castillo scheint sich in seinem Lavieren mit der rechten Parlamentsmehrheit verzockt zu haben wie der ehemalige bolivianische Präsident Evo Morales. Der indigene linke Morales trat unter politischem Druck zurück, manche sprachen gar vom Putsch. Nach der Inhaftierung von Castillo rief Morales auf, die südlichen Teile Peru wie Puno, Arequipa, Madre de Dios, Apurimac, Ayacucho, Moquegua und Tacna, Bolivien anzugliedern. Ziel, die Gründung einer neuen indigenen Republik, abseits der von der ehemaligen spanischen Kolonialmacht gezogenen Staatsgrenzen. Die Proteste würdigte Morales als das Aufwachen des tiefen Peru.
Konservative peruanische Politiker kündigten Strafanzeige gegen Morales an und forderten eine Einreiseverbot für Morales und seine MAS-Partei wegen der Förderung des Sezessionismus.
„Der einzige Separatismus in Peru wird durch den Rassismus, die Ausgrenzung und die Diskriminierung von Lima-Machtgruppen gegen ihr eigenes Volk verursacht. Tief im Inneren akzeptiert die Rechte nicht, dass indigene Völker, die durch Hautfarbe, Nachnamen oder Herkunftsort verunglimpft werden, an die Macht kommen“, entgegnete Morales auf Twitter.
Auch Runasur – eine regionale Plattform von Gewerkschaften, Bauernbewegungen und sozialen Organisationen – stellte sich hinter Morales, Castillo und die peruanischen Proteste. Dabei geht es nämlich darum, stellt Ranasur fest, das Leben und Mutter Erde zu verteidigen, um die Souveränität der Völker mit Würde, Solidarität und Freiheit wiederherzustellen. Das ist kein Verbrechen. Es ist ein Verbrechen, die Bevölkerung zu massakrieren, um weiterhin ihre natürlichen Ressourcen zu plündern.
Ob der abgesetzte Präsident Castillo diese Ressourcen und die Bevölkerung schützen wollte, bleibt unbeantwortet. Fakt ist, dass seine Gegner, die Elite und ihre rechte Parlamentsmehrheit, seinen Wahlsieg in Zweifel zogen, Castillo und seine Regierung ausbremsten, blockierten, die Regierungsarbeit behinderten.
Die Stimmung im Parlament ist aufgeladen, feindlich. Als Ministerpräsident Guido Bellido von der linken Präsidenten-Partei Peru Libre seine erste Rede im Parlament auf Quechua hielt, schlug im blanker Hass entgegen. Parlamentspräsidentin Maria del Carmen Alva von der angeblich liberalen Accion Popular wies Bellido im Namen der Oppositionsparteien zurecht, er soll doch auf Spanisch weitersprechen.
Die Nachfahren der Eroberer, die Erben der Conquista, ihre kastilische Sprache und Kultur dominieren Peru. Die Attacke im Parlament verdeutlicht die tiefe Spaltung der peruanischen Gesellschaft. Obwohl Quechua seit den 1970er-Jahren zweite Amtssprache ist und von mehreren Millionen Menschen gesprochen wird, lehnt die weiße Gesellschaft die – nicht nur die sprachliche – Gleichberechtigung strikt ab.
Aus dem Gefängnis heraus ist Castillo für die Protestierenden zu einem Symbol geworden: Für die vielen Armen, die meist indianisch sind, ausgegrenzt werden, für die kleinen Bauern, die in der Metropole nichts zählen, „Niemande“ sind. Mit ihrem Protest verteidigen die DemonstrantInnen ihr Votum für Pedro Castillo.
Die Interethnische Vereinigung für die Entwicklung des peruanischen Regenwaldes (Aidesep), die wichtigste indigene Organisation des Amazonasgebiets, forderte den Rücktritt von Präsidentin Dina Boluarte und Neuwahlen.
Aidesep-Präsident Jorge Pérez Rubio kritisierte das Vorgehen der Polizei gegen die Protestierenden als repressiv, forderte die Bestrafung der Verantwortlichen für die vielen Todesfälle und Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen. Rubio plädiert für die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, um indigene Rechte festzuschreiben. Aidesep drängt auf Schutz von indigenen AktivistInnen, von isoliert lebenden indigenen Gemeinden und für die Verteidigung der interkulturellen zweisprachigen Bildung. Aidesep stellte sich außerdem hinter die Protestbewegung.
Auch die indigenen Nachbarn in Ecuador unterstützen die indigene Solidaritätsbewegung für den inhaftierten Präsidenten Castillo. Leonidas Iza von der Konföderation der indigenen Nationalitäten Conaie geißelte das Vorgehen der peruanischen Polizei gegen die Protestierenden als brutale Repression und den übermäßigen Einsatz von Gewalt gegen die Bevölkerung. Er forderte die peruanischen Behörden dazu auf, die Gewalt zu beenden und den Dialog zu suchen.
Es wiederholen sich derzeit offensichtlich die blutigen 1980er Jahre: Der Konflikt zwischen den Anden, Heimat der Aymara und Quechua, gegen die Küste, dominiert von den Ladinos. Aymara und Quechua wehren sich gegen einen völkermordenden Staat, die Armen des Hochlandes versuchen fünf Jahrhunderte der Unterdrückung abzuschütteln. Die Repression heute übertrifft die repressive Diktatur von Alberto Fujimori zwischen 1992-2000.
Den Widerstand dagegen organisiert nicht die Linke, es sind die Organisationen der andinen Landbevölkerung. Organisationen, die nicht Teil des politischen kolonialen Systems sind. Es regt sich das tiefe Peru, analysierte nicht zu Unrecht Evo Morales. Das tiefe Peru hat wenig mit den politischen Strukturen zu tun, auch wenig mit der Linken. Die lateinamerikanische Linke steht nämlich der Rechten in ihrem Nationalismus nicht nach, in ihrer Ablehnung der Urbevölkerung. Deren Autonomieforderungen misstrauen die Linken, die Forderung nach einem plurinationalen Umbau der indigenenfeindlichen Staaten zählt nicht zur linken Agenda.
Hinter der Absetzung von Pedro Castillo vermuten seine AnhängerInnen die USA. Seine Wiedereinsetzung fordern Mexiko, Kolumbien, Argentinien, Bolivien und Honduras.
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