14-10-2021
Bundestagswahl 2021: Annexion der Krim und Verfolgung der Krimtataren nicht einfach hinnehmen – Russland entgegentreten
Crimean Tatar child on a special settlement after the deportation. 1944, Molotov region, RSFSR By Unknown author - www.memory.gov.ua, CC BY-SA 4.0,
Nach der Bundestagswahl 2021 laufen derzeit Sondierungsgespräche zwischen SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP. Mit dem bald zu erwartenden Beginn der Koalitionsverhandlungen wird es konkret: Die Parteien müssen sich auf zentrale Politiken der nächsten Jahre einigen. Bei den divergierenden Positionen der Parteien kommt dem zu verhandelnden Koalitionsvertrag große Bedeutung zu. 2017 umfasste der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD 175 Seiten.
Durch gezielte Einflussnahme bietet sich nun ein „Window Of Opportunity“, um auf die Verhandlungsteams Einfluss zu nehmen und für den Minderheitenschutz, den Schutz der bedrohten Völker weltweit und den Menschenrechten im Allgemeinen wichtige Positionen einzubringen, an denen sich die nächste Regierung wird messen lassen müssen.
In den nächsten Tagen wird VOICES einige Schwerpunkte anführen, die in einen Koalitionsvertrag gehören:
Bundestagswahl 2021: Anerkennung des Genozids an den Yeziden
Bundestagswahl 2021: Aufnahme der Minderheiten ins Grundgesetz
Bundestagswahl 2021: Ein Europäisches Lieferkettengesetz, das den Namen verdient
Bundestagswahl 2021: Waffenexporte europaweit regulieren
Annexion der Krim und Verfolgung der Krimtataren nicht einfach hinnehmen – Russland entgegentreten
Von Jan Diedrichsen
Die Krim und die Krimtataren dürfen nicht als Kollateralschäden einer „neuen europäischen Ostpolitik“ enden. Regelmäßig sind Stimmen zu vernehmen, die erklären, die Krim gehöre schon immer irgendwie zu Russland und so übel das Vorgehen des Kremls 2014 war, es sei nun an der Zeit in die Zukunft zu schauen. Ohne Russland geht es halt nicht.
Diese Haltung ist brandgefährlich: Die Annexion der Krim durch Russland 2014 war ein minutiös geplanter Angriff, der Fakten schuf und eine komplett überforderte EU antraf. Auf die Besetzung der Halbinsel durch russische Spezialeinheiten (grüne Männer) im Februar 2014 folgte am 16. März 2014 ein regionales Referendum unter russischer Kontrolle. Das Völkerrecht wurde gebrochen, und die daraufhin verhängten EU-Sanktionen haben nichts an der Situation geändert. Das Narrativ vom „rechtmäßigen Platz der Krim in Russland“ beschränkt sich mittlerweile nicht nur auf Kreml-Propaganda, sondern findet sich in vielen außenpolitischen Diskursen wieder.
Was sagen die derzeit noch sondierenden Parteien zur Krim-Frage:
Die FDP ist deutlich: „Für uns … sind die Prinzipien des Völkerrechts, der Menschenrechte und der europäischen Friedensordnung … nicht verhandelbar. … Wir … fordern ein unverzügliches Ende der Gewalt in der Ostukraine und der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim. Daher stehen wir ausdrücklich zu den von der EU verhängten Sanktionen. Im Fall einer weiteren militärischen Eskalation in der Ukraine muss die EU die Sanktionen verschärfen, denn sie sind kein Selbstzweck, sondern dienen der Wiederherstellung der Friedensordnung. Dabei muss die EU mit einer Stimme sprechen.“
Doch selbst bei denen, die die Annexion als eine nicht hinnehmbare Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine verurteilen, ist immer wieder das Argument zu vernehmen, Russland habe legitime Ansprüche auf die Halbinsel, sie sei bekanntlich nur ein Geschenk Chruschtschows an die Ukraine gewesen, der eine dreihundertjährige Verbindung mit Russland unterbrach, die mit der Eingliederung der Halbinsel in das Russische Reich unter Katharina der Großen im Jahr 1783 begann.
Dieses Narrativ ignoriert die Multiethnizität der Krim und die Geschichte der Region als umkämpfter Außenposten der verschiedensten Herrscher. Ohne in die wechselhafte Geschichte der Region eintauchen zu wollen, was viel schwerer wiegt als die weit verbreitete Geschichtslosigkeit in der Argumentation, ist die Tatsache, dass das tragische Schicksal der Krimtataren in Geschichte und Gegenwart ausgeblendet wird.
Die Krimtataren sind, wenn man so will die indigene Bevölkerung der Region, falls man von sowas etwas in einem so multiethnisch geprägten Gebiet sprechen mag: Die Deportation der gesamten krimtatarischen Bevölkerung nach Zentralasien und Sibirien unter Stalin im Jahr 1944 und die massenhafte Rückkehr, die Repatriierung seit 1991 sind die Region konstituierende historische Tatsachen. Das aktuelle brutale Vorgehen der russischen Besatzer reicht alleine schon als Grund aus, um die Annexion unter keinen Umständen durch die Hintertür als „unvermeidbare historische Tatsache“ zu legitimieren.
Die Grüne – Bündnis 90 sind ebenfalls deutlich: Zum Jahrestag der Annexion erklärt Manuel Sarrazin, Sprecher für Osteuropapolitik: Die Krim gehört zur Ukraine. … Dieser Bruch des Völkerrechts ist und bleibt inakzeptabel. … Darüber hinaus muss immer wieder aufgezeigt werden, dass sich entgegen der russischen Propaganda die Situation der Menschen auf der Krim dramatisch verschlechtert hat. Politische Verfolgung und massive Einschränkung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind heute an der Tagesordnung. Hier muss die Bundesregierung viel deutlicher Position beziehen.
Die SPD, die dritte derzeit sondierende Partei, ist in der Krim-Frage schwer zu packen: „Es ist im deutschen und europäischen Interesse, wenn wir mit Russland in Fragen der gemeinsamen Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle … gemeinsame Fortschritte erreichen“, schreibt die SPD in ihrem Wahlprogramm. Man sehe jedoch, dass Europas Beziehungen zu Russland immer wieder „Rückschlägen“ ausgesetzt seien. „Ob die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, die Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine, Cyberangriffe auf den Deutschen Bundestag oder die … Ausschaltung innenpolitischer Gegner …“. Bei „aller erforderlicher Kritik“ sei die SPD dennoch bereit zum Dialog und zur Zusammenarbeit mit Moskau. Das Ziel ist dabei eine neue europäischen Ostpolitik, schreibt das Parteiorgan Vorwärts und verlinkt den Verweis auf eine „neue europäische Ostpolitik“ mit dem gleichnamigen Buch des ehemaligen SPD-Bundesvorsitzenden, Mathias Platzeck:
Matthias Platzeck veröffentlichte im Sommer das zitierte Buch, in dem er für einen Dialog mit Russland „auf Augenhöhe“ wirbt. Der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums spricht sich für eine „deutsch-russische Sonderbeziehung“ aus. Er plädiert u.a. für die Legalisierung der Annexion der Krim.
Es bleibt zu hoffen, dass sich bei der SPD andere Außenpolitiker durchsetzen und FDP sowie Grüne an ihren klaren Positionen festhalten.
Siehe auch:
Bundeskanzlerin Merkel trifft Putin: Krimtataren werden unterdrückt und verhaftet
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