15-06-2023
Autonomie im Norden des Kosovos kann nicht per Dekret verordnet werden
Warnung vor politischer Naivität: Serbien ist kein verlässlicher Partner. Russland reibt sich im Hintergrund die Hände ob des politischen Chaos auf dem Balkan

Proteste. By СРБИН.инфо, CC BY 3.0,
Von Jan Diedrichsen
Fünfzehn Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo weigert sich die rund 50.000 Menschen umfassende serbische Minderheit im Norden an der Grenze zu Serbien, den Kosovo als ihren Staat anzuerkennen. Viele erhalten Gehälter und direkte Unterstützung aus dem serbischen Staatshaushalt und zahlen im Kosovo keine Steuern, verweigern den staatlichen Institutionen die Anerkennung.
Die Unruhen in der Region haben sich in jüngster Zeit verschärft, seit im mehrheitlich serbischen Nord-Kosovo nach den von den Serben boykottierten Wahlen im April albanische Bürgermeister das Amt übernommen haben. Das hat der Regierung in Pristina von der EU und den USA zum Teil harsche Kritik eingebracht. Die USA und die EU wollen, dass im Norden des Kosovo Ruhe einkehrt. Sie verweisen auf Autonomieregelungen und drängen die kosovarische Seite zu Verhandlungen.
Doch die Forderung nach „einfachen“ Autonomielösungen ist politisch naiv. Autonomie fordert stabile Verhältnisse – das gilt auch für die Anerkennung der serbischen Minderheit, dass sie zwar im Norden des Kosovo die Mehrheit bilden, aber dem Staat, in dem sie Leben und dessen Institutionen zu respektieren haben. Autonomie kann nicht per Handstreich von oben durchgesetzt werden.
Treffend hat dies Edward P. Joseph von der Johns Hopkins School of Advanced International Studies beschrieben:
„Wenn jemand den hässlichen, unnötigen Streit zwischen den Vereinigten Staaten und dem Kosovo verstehen kann, dann wäre es Wolodymyr Selenskyj. Wenn man den ukrainischen Präsidenten bitten würde, ethnischen Russen Autonomie zu gewähren, wird Selenskyj sofort drei Fragen stellen: Werden sie akzeptieren, dass sie in der Ukraine und nicht in Russland leben? Wird Russland die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine anerkennen? Und wird uns die Gewährung der Autonomie endlich den Beitritt zur NATO ermöglichen?
Die Unfähigkeit der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, diese Fragen in Bezug auf das Kosovo und Serbien zu beantworten, ist die Ursache für den selbstzerstörerischen Machtkampf des Westens mit dem kosovarischen Premierminister Albin Kurti. Anstatt die Autonomie strategisch zu betrachten – wie es Selenskyj tun würde und wie es der russische Präsident Wladimir Putin tut – sind die Beamten der Regierung Biden ebenso dogmatisch wie der Premierminister des Kosovo, der den Zorn des Westens auf sich gezogen hat.“
In Wirklichkeit ist die Gewährung der Autonomie für die Kosovo-Serben – ohne die Anerkennung des Kosovo durch die Serben – ein heikles Unterfangen. Es ist kein Zufall, dass auch Russland die serbische Autonomie befürwortet.“
Der Präsident des Kosovo, Vjosa Osmani, sprach gestern vor dem Europäischen Parlament in Straßburg – als erster kosovarische Präsident, seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 2008. Osmani ging zwar nicht direkt auf die aktuellen Feindseligkeiten ein, sprach aber die Situation der im Kosovo lebenden Serben an. „Wir sind entschlossen, die Rechte aller Bürger unserer Republik zu schützen, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Religion oder ihrem sonstigen Hintergrund“, sagte sie den Abgeordneten. „In diesem Geiste der Inklusion rufe ich alle im Kosovo lebenden Serben auf, ihre erweiterten Rechte zu nutzen, die ihnen in der Verfassung des Kosovo gewährt werden. Die Republik Kosovo ist Ihre Heimat. Und wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um sicherzustellen, dass Sie sich geschützt, einbezogen, gleichberechtigt und gehört fühlen.“
Ohne Vertrauen und Anerkennung sowie dem Primat des Rechtsstaates ist Autonomie nicht umsetzbar. Die Aussichten auf eine schnelle Lösung sind schlecht. Russland und Serbien werden die internen Streitigkeiten zu nutzen wissen.
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