Arzach-Bergkarabach: Die Enklave gibt es nicht mehr

Die Blaupause für weitere Vertreibungen in der Ukraine und in Gaza

Der katalanische Politikwissenschaftler Abel Riu warnt, der Fall Arzach hat weitreichende "Nebenwirkungen". Foto: David Fornies, Ciemen/Nationalia

Der katalanische Politikwissenschaftler Abel Riu warnt, der Fall Arzach hat weitreichende "Nebenwirkungen". Foto: David Fornies, Ciemen/Nationalia

Von Wolfgang Mayr

 

Die Republik Arzach ist Geschichte. Im September 2023 vertrieb die aserbaidschanische Armee die armenische Bevölkerung aus dieser Region. Diese hofft kaum mehr auf eine Rückkehr in die verlorene Heimat. Die katalanische NGO Ciemen befasste sich auf einer Tagung mit Arzach und warnte eindringlich vor dem „Modell“ Arzach für die Ukraine und für Gaza.

Auf das „Verschwinden“ der Armenier aus Karabach folgt ein weiterer Prozess – die Beseitigung ihrer Spuren. Laut dem Politikwissenschaftler Abel Riu wurden viele Dörfer vollständig zerstört. Zum Beispiel „Karin Tak“, ein Dorf mit 600 Einwohnern, von dem nichts mehr übrig ist.

„In der Hauptstadt Stepanakert haben die Aseris ganze Viertel zerstört, Gebäude aus dem 18. und 19. Jahrhundert sowie das Parlament“, berichtete Riu. Für ihn ist der Fall klar: „Es ist eine systematische Politik des kulturellen Völkermords. Sie zerstören alles, was mit der armenischen nationalen Identität verbunden ist: Kirchen, Klöster, Friedhöfe, armenische Aufschriften. Wenn alles Armenische in Karabach getilgt ist, wird es aus Baku heißen, in Karabach gab es nie eine armenische Präsenz. Es geht um Storytelling, Macht und Legitimation des eigenen Handelns.“

Dieser „Prozess“ wird vom aserbaidschanischen Staat rücksichtslos durchgeführt. „In einigen Fällen wollte Aserbaidschan demütigen. Eine der Hauptstraßen in Stepanakert wurde in Enver Pascha umbenannt.“ Der Kriegsminister des Osmanischen Reiches, Enver Pascha, war einer der Hauptverantwortlichen des türkischen Völkermordes an den Armeniern.

Präsident Ilham Alijew plant im ethnisch gesäuberten Arzach den Bau großer touristischer Anlagen, der nächste Angriff auf die armenische Identität von Arzach. Die Region will der Präsident als Brücke nutzen zwischen der Türkei und den turkmenischen Ländern Zentralasiens.

Aliyev kündigte an, dass bis Ende 2026 140.000 Aserbaidschaner in Arzach angesiedelt werden. Es sind meist von der armenischen Armee Vertriebene oder Geflohene. Die Kriege von 1988 und 1994 wirkten wie ein Flächenbrand, es kam zu großen Vertreibungen der Bevölkerungen: Mehrere hunderttausend Menschen wurden aus Arzach, genauso aus Aseris aus Armenien und Armenier aus Aserbaidschan.

Der „Fall“ Arzach wird Schule machen, befürchtet die katalanische NGO Ciemen. Alijew „nutzte“ die Gewalt zur „Lösung“ eines langen Konflikts. Die Welt hat es hingenommen, wie es auch die Besetzung der Ostukraine durch Russland und des Gaza-Streifens durch die israelische Armee letztendlich akzeptieren wird. Politikwissenschaftler Riu nennt das einen Paradigmenwechsel.

Mit seinem Krieg gegen Arzach im Schatten des russischen Krieges in der Ukraine demütigte Aserbaidschan die OSZE und ihre Friedensbemühungen, setzte den internationalen Vermittlungsmechanismus außer Kraft und ließ die Welt wissen, mit Waffengewalt einen 30-jährige Konflikt einseitig beendet zu haben.

Ciemen zog ein Vergleich mit Gaza: „In Bergkarabach gibt es keinen einzigen Armenier mehr und Aserbaidschan will dort einen Touristenkomplex errichten. Dies ist ein Vorgeschmack auf das, was jetzt in Gaza folgen wird.“ Vielleicht trifft dieser Pessimismus nicht zu, möglicherweise bietet der sogenannte Trump-Deal den geschundenen Gaza-Palästinensern einen Neustart? Ohne Hamas-Fanatismus, keine israelische Besetzung, einen gezielten Wiederaufbau der völlig zerstörten Metropole.

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