Das korsische Dilemma

Die Autonomisten und Nationalisten der Insel konnten sich trotz ihres Wahl-Experiments behaupten.

Von Wolfgang Mayr

Die Ausgangslage der Korsen-Koalition Pe a Corsica war gut. Eine bequeme Mehrheit im Insel-Parlament, gleich bei mehreren Wahlen eingefahren, die Präsidenten-Partei En March kündigte Autonomieverhandlungen nach Präsidenten- und Parlamentswahlen an.

Dann die Wahlen. Auf der Insel setzte sich beim Präsidenten-Votum überraschend deutlich und klar Marine Le Pen und ihr rechtsradikaler RN durch. Le Pen gelang es sogar, in der zweiten Runde ihr Erstrunden-Ergebnis gegenüber dem amtierenden Präsidenten Macron noch kräftiger auszubauen.

Ist der korsische Nationalismus der kleine Bruder des großen französischen Nationalismus der Marke Le Pen? Nein, sagt dazu Thierry Dominici, Politikwissenschaftler an der Universität Bordeaux und der Universität Korsika in der „Frankfurter Rundschau“: „Man kann die Ergebnisse der korsischen Nationalisten bei den Regionalwahlen nicht mit den Ergebnissen der RN auf Korsika vergleichen. Wir befinden uns nicht auf der gleichen Bedeutungsskala“.

Dominici verweist auf die Boykott-Aufrufe der korsischen Nationalisten. So forderten die Unabhängigkeitsbewegung „Core in Fronté“ von Paul Felix Benedetti und „Corsica Libéra“ von Jean-Guy Talamoni die BürgerInnen auf, nicht zu wählen. Auch die Nationalisten der „PNC“ von Jean-Christophe Angélini warben für den Boykott. Die Autonomistenpartei Femu a Corsica von Gilles Simeoni, er ist Präsident der kompetenzlosen Regionalregierung, gab keine Wahlempfehlung ab.

Fakt ist, staatsweit blieb ein Drittel der WählerInnen bei den beiden Wahlgängen zu Hause. Auf Korsika boykottierten mehr als 40 Prozent der BürgerInnen die Wahlen. Also ein erfolgreicher Nationalistenboykott? Möglicherweise, das werden wohl die PolitikwissenschaftlerInnen klären und analysieren.

Während es bei den Präsidentenwahlen für überzeugte korsische WählerInnen keine Wahlalternative gab, präsentierten sich bei den folgenden Parlamentswahlen gleich mehrere korsische Parteien. Gesamtstaatliche korsische Ableger und die Parteien der autonomistisch-nationalistischen Koalition Pe a Corsica. Nicht mehr gemeinsam, sondern getrennt.

Die Parlamentswahlen sorgten die Wählenden abermals für eine Überraschung. Nur im ersten Wahlkreis in Südkorsika setzte sich der Gaullist Laurent Marcangeli vom Bündnis Horizons – Ensemble gegen den Autonomisten durch. In den drei anderen Wahlkreisen, in Süd- und Nordkorsika behaupteten sich die autonomistisch-nationalistischen Kandidaten. Im zweiten südkorsischen Bezirk gewann Paul-Andre Colombani vom Partitu di a Nazione Corsa, im ersten nordkorsischen Bezirk siegte Michel Castellani von Femu a Corsica, im zweiten nordkorsischen Bezirk behauptete sich Jean-Felix Acquaviva, ebenfalls von Femu a Corsica.

Letztendlich haben sich die autonomistischen und nationalistischen WählerInnen durchgerungen, ihre getrennt marschierenden Kandidaten von Pe a Corsica zu wählen. Offensichtlich agierten die WählerInnen strategischer als ihre Parteien.

Der ehemalige Gaullist Marcangeli präsentierte sich nach der Wahl als der starke Mann der Alternative gegen die regionale Mehrheit. Wird er zur fünften Kolonne des Staates gegen die Forderungen der korsischen Autonomisten und Nationalisten?

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