Assimiliert und rechtsradikal?

Auf Korsika und im Elsass hat das rechtsradikale Rassemblement National von Marine Le Pen deutlich die Wahlen gewonnen.

Von Wolfgang Mayr

Deutlich mehr als die Hälfte der korsischen WählerInnen stimmte bei den Präsidentschaftswahlen für Le Pen. Sie erhielt 58 Prozent der Stimmen, Macron 42 Prozent. Bereits im ersten Wahlgang setzte sich Marine Le Pen gegen Amtsverteidiger Macron deutlich durch und konnte sich im zweiten Durchgang noch gewaltig steigern.

2017 lag Le Pen im ersten Turnus vorn, beim zweiten Durchlauf setzte sich Macron durch. Auf Korsika gelang Le Pen also der Marsch durch die Bürgerschaft, ausgerechnet Le Pen, der beinharten Nationalistin, die nichts von Minderheitensprachen und Autonomie hält.

In der Gemeinde Sarrola-Carcopino erreichte Le Pen ein Rekordergebnis, zwei Drittel kreuzten das RN an. In den beiden Städten, Bastia und Aiacciu, schaffte Le Pen 58 Prozent. Ein deutliches, nicht zu rüttelndes korsisches Votum für die rechtsradikale Partei RN. Ein Protestvotum gegen Präsident Macron und seine gebrochenen Autonomie-Versprechen oder ein Votum aus politischer Überzeugung? Wie auch immer, die KorsInnen wählten bei mehreren Insel-Wahlgängen – also für den Regionalrat – letzthin immer die autonomistische Koalition, die sich links verortet. Das glatte Gegenstück, ein zu greifender Widerspruch.

Gibt es nun einen Zusammenhang zwischen gesamtstaatlichen Wahlen – Präsident und Parlament – und den Insel-Wahlen? Oder hat das eine mit dem anderen nichts zu tun? Die Zeitung Corsica Oggi erinnert an die Wahlgänge seit 1974, damals setzte sich der liberalkonservative Giscard d´Estaing durch, 1981 und 1988 siegte der Sozialist Francoise Mitterand, 1995 und in Folge die beiden Konservativen Chirac und Sarkosy, um 2012 vom Sozialisten Holland abgelöst zu werden. In dieser Zeit begann der zögerliche aber langsame Aufstieg der korsischen Autonomisten.

Corsica Oggi machte in ihrer Analyse einen Unterschied zwischen einer „National“- und einer „Territorialwahl“ aus. Politisch teilten sich die großen Familienclans die Insel auf, das war immer der Vorwurf der Autonomisten, ein Teil der Clans dockte rechts, der andere links an. Die Clans dienten sich den französischen Staatsparteien an, lautete auch der Vorwurf der Untergrund-Nationalisten. Die Clans als Statthalter der Pariser Zentrale und auch deshalb die erklärten Feinde der legalen und illegalen korsischen Nationalisten.

Die wirtschaftliche Vernachlässigung der Insel, die dadurch erzwungene Auswanderung auf das Festland, die ungehinderte Spracherosion und der Ausverkauf von Grund und Boden beförderte die Autonomisten-Koalition zur stärksten politischen Kraft im kompetenz- und machtlosen Inselparlament.

Corsica Oggi wagte eine Provokation, vielleicht gibt es gar keinen Unterschied zwischen französischem und korsischem Nationalismus, möglicherweise sind die Ziele der RN und der Autonomisten identisch? Eine doch zu einfache Analyse. Bei den letzten Präsidentschafts-Wahlen 2017 wählte Korsika stramm rechts. Bei den anschließenden Parlamentswahlen setzten sich dann aber die korsischen Autonomisten durch, drei der vier Parlamentsmandate ging an die Korsen-Koalition.

Ob diese Koalition diesen damaligen Erfolg bei den anstehenden Parlamentswahlen im Juni wiederholen kann? Eine Fraktion, der Partitu di a Nazione Corsa, ist aus der Autonomisten-Partei Femu a Corsica ausgeschert. Die PNC will bei den Parlamentswahlen allein antreten. Der PNC entstand 2002 und fusionierte 2017 mit der Korsischen Volksunion UPC zur Femu a Corsica. Bei der französischen Präsidentschaftswahl 2007 unterstützte die PNC im ersten Turnus die Grüne Dominique Voynet. Der PNC-Politiker Francoise Alfonsi wurde über eine Listenverbindung mit Europe Ecologie 2009 ins Europaparlament gewählt. Eine doch klare und deutliche Positionierung.

In Nord-Korsika stellen sich die autonomistischen Femu-Abgeordneten Michel Castellani und Jean-Félix Acquaviva wieder der Wahl. Im Süden hingegen steht Femu vor der Spaltung, der bisherige Abgeordnete Paul-André Colombani vom PNC tritt wieder an, trotz anderslautender Abmachungen innerhalb der Femu. Die PNC könnte den Streit im Süden in den Norden exportieren und damit Femu spalten. Die Chance für das RN, auch die Parlamentswahlen auf der Insel zu gewinnen.

Korsika in fester Hand von Le Pen, der korsische Autonomismus, Regionalismus in Sackgasse, am Ende?

Nicht weniger fest hält Marine Le Pen das Elsass in der Hand. Auf dem Land konnte Le Pen ihre Vorherrschaft noch deutlicher ausbauen, im Vergleich zu 2017. Einige Beispiele: In der Gemeinde Heiteren, südlich von Straßburg, erhielt die Rechtsradikale 64 Prozent, während der amtierende Präsident Macron dürftige 35 Prozent erreichte. In Fessenheim bekam die Rechte Le Pen 62 Prozent der Stimmen. Der Ort steht symptomatisch für die Sicht auf die Politik in der elsässischen Peripherie. In der Gemeinde Ottmarsheim, östlich von Mulhouse-Mühlhausen, erreichte Le Pen 57 Prozent, während Macron 14 Prozent weniger erzielte.

Marine Le Pen verwurzelt sich immer tiefer ins Elsass, sagt Philippe Breton, Politologe und Leiter des „Observatoire de la vie politique en Alsace“ in Straßburg, „der Zuspruch für die Partei wächst in vielen Gemeinden im Elsass. In Straßburg ist etwas Überraschendes passiert: Die Partei „Rassemblement National“ hat mehr als 20 Prozent der Stimmen geholt. Das ist absolut neu, vor allem in den Arbeitervierteln war die Partei erfolgreich. Marine Le Pen beginnt sich dort festzusetzen.“

Die Wahlbeteiligung war auf dem Land sehr hoch, in den Städten hingegen bleiben viele WählerInnen – besonders die Nachfahren von MigrantInnen – einfach zuhause. In den Städten punktete Macron, in den Landgemeinden Le Pen. Laut Philippe Breton profitiert das RN von Le Pen vom Zerfall der traditionellen konservativen und moderaten linken Parteien. Das wird im Elsass besonders deutlich, das rechte Lager wird immer stärker, rechnet Breton nach. Er warnt aber davor, die elsässischen WählerInnen kurzerhand als rechtsaußen zu klassifizieren. Breton verweist auf das schlechte Abschneiden des rechtsextremen Kandidaten Éric Zemmour. Rechts stand bisher im Elsass für mitte-rechts, für die Konservativen und für die „Republikaner“.

Das Elsass ist zerrissen, das Land sehr rechts, die Städte liberal, dazwischen die deutliche linke, aber auch nationalistische „La France insoumise“ von Jean-Luc Mélenchon. Hier gibt es keinen Platz und keinen Spielraum für die autonomistische Liste „Unser Land“. Das französische Wahlsystem lässt keine politische Diversität zu, Ausreißer wie der Wahlsieg der Grünen bei den letzten Gemeindewahlen in Straßburg bleiben Ausreißer. Ein Schaden für den elsässischen Dialekt, für das Projekt Zweisprachigkeit und für eine größere elsässische Selbstverwaltung

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