1.500 Sprachen weniger – Eine Studie der Australian National University ANU zeigt die vielfältigen Risiken für die Sprachenvielfalt auf

Von Wolfgang Mayr

Von den 7.000 anerkannten Sprachen könnten in diesem Jahrhundert 1.500 aussterben. Das ermittelte die Australia National University. Als besonders gefährdet gelten die Sprachen indigener Völker. Viele indigene Sprachen werden bereits jetzt von immer weniger Muttersprachlern gesprochen.

 

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Als einen großen Risikofaktor benennt die ANU-Studie das Fehlen von muttersprachlichen Schulen. In den meisten Ländern dienen die Schulen der Assimilierung. Sprachen prägen das Denken, bestätigen Studien. Je nach Sprache wird die Umwelt unterschiedlich wahrgenommen, dies führt zu anderen Entscheidungen und auch moralische Akzente werden unterschiedlich gesetzt.

Stirbt eine Sprache, stirbt ein Stück der Welt, sagte der Südtiroler grüne Europaparlamentarier Alexander Langer. Und es sterben Kulturen und Menschen. Indigenen Organisationen und Minderheitenverbände kritisieren die Gleichgültigkeit der Mehrheitsgesellschaften, die Minderheitensprachen sterben lassen und mit ihrer Politik der Assimilierung auch dazu beitragen.

Ein ForscherInnen-Team um Lindell Bromham von der Australian National University in Canberra untersuchte erstmals weltweit, welche Sprachen gefährdet sind und welche Risikofaktoren dazu beitragen. „Wir haben ermittelt, dass sich der Sprachverlust ohne sofortiges Eingreifen in den nächsten 40 Jahren verdreifachen könnte“, warnt Bromham. Bis Ende dieses Jahrhunderts könnten 1.500 Sprachen verschwunden sein.

Das Team erhob die Zahlen der Muttersprachler, ihr Alter und die Weitergabe an die Kinder. Sprachen, die immer weniger Muttersprachler verwenden, bewerteten die Linguisten als „bedroht“; die nicht mehr an Kinder weitergegeben werden, sind „gefährdet“ und wenn sie nur noch von älteren Menschen gesprochen werden, sind diese Sprachen „stark gefährdet“.

Mehr als ein gutes Drittel der gesprochenen 6.511 Sprachen sind mindestens bedroht, schlüsselten die Wissenschaftler ihre Studie auf. Mehr als zehn Prozent aller Sprachen haben keine Muttersprachler mehr. Schlafende Sprachen, die aussterben werden, prophezeien die Forscher

Den Sprachverlust fördern und befeuern die staatlichen Schulen. Kinder indigener Völker und von Minderheiten werden meist in der Mehrheitssprache unterrichtet. Die indigenenSprachen werden so verdrängt. Als einen möglichen Rettungsanker benennt das Linguisten-Team den bilingualen Unterricht.

Für den Einbruch der indigenen Sprachen sorgt auch die Erschließung von Regionen mit Straßen. Menschen aus abgelegenen ländlichen Gegenden wandern in die Städte ab. Dort dominieren die Mehrheitssprachen, in der Gesellschaft, in der Wirtschaft, in der Politik. Keine Chance, für kleine Sprachen.

Besonders in Australien findet eine sprachliche „Säuberung“ statt. „Vor der Kolonisierung wurden mehr als 250 Sprachen gesprochen“, zählt Koautorin Felicity Meakins von der University of Queensland auf. Nur 40 Sprachen haben die rabiate Kolonialisierung überlebt, nur noch 12 Sprachen werden von Kindern erlernt.

„Wenn eine Sprache verloren geht, verlieren wir so viel von unserer kulturellen Vielfalt. Jede Sprache ist auf ihre eigene Weise brillant“, zitiert das Wissenschaftsmagazin scinexx den Studienleiter Bromham. Trotz der Entwicklung gibt sich Bromham optimistisch: „Viele der Sprachen, deren Verlust für dieses Jahrhundert vorhergesagt wird, werden immer noch fließend gesprochen.“  Bromham ist überzeugt, dass mit einer gezielten Politik zugunsten indigener Völker deren Sprachen erhalten und auch wiederbelebt werden können.

Auch in Europa sind die kleinen Sprachen bedroht. Laut der Studie „euromosaic“, die 1996 von der EU-Kommission veröffentlicht wurde, haben von den 48 Minderheitensprachen im EU-Raum 23 nur noch eine „begrenzte“ oder „keine“ Überlebensfähigkeit. Zwölf weitere Minderheitensprachen werden als „bedroht“ eingestuft.

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