Frieden, Imperialismus, Hitler-Stalin-Pakt

Trotz des Krieges gegen die Ukraine hoffen Westeuropäer auf den – angeblichen – russischen Friedenswillen. 

Von Wolfgang Mayr

Der russische Kriegsherr Putin zieht rote Linien, sekundiert von der BSW-Genossin Sahra Wagenknecht und AfD-Kameraden Tino Chrupalla. Dabei begleitet von “einschlägigen” Medien wie Telepolis, Nachdenkseiten oder der “Berliner Zeitung”.

Gemeinsam verbreiten sie die russische Erzählung vom russischen Friedenswillen. Der Vergewaltiger und Mörder möchte den Frieden? Wenig glaubwürdig, findet Philomena Grassl. Sie lebt im georgischen Tbilisi und erlebt, wie Russland und seine georgischen Partner die georgische Emanzipation erfolgreich zu verhindern wissen. 

Im online-Magazin “Geschichte der Gegenwart” warnt Grassl vor der angeblichen “russischen Friedenspolitik”. Ihre These, in einer Diktatur kann es keinen Frieden geben. Das russische Regime und sein georgischer Ableger missbrauchen den Begriff Frieden: “Wer sich Russland unterwirft, der soll mit ´Frieden´ belohnt werden. Wer für proeuropäische Parteien stimmt, dem drohe das Schicksal der Ukraine. Also Krieg”. 

Damit schürte die pro-russische Partei “Georgischer Traum” vor den Parlamentswahlen die Angst im Land. Teilweise mit Wut reagierten die Oppositionellen auf die gezielte Angstmacherei.

Laut Grassl zeigt die georgische Gesellschaft ihre Stärke und ihren Zusammenhalt, die georgische Zivilgesellschaft braucht keine Anführer und keine Finanzierung (Stichwort Soros, gerne zitiert von Viktor Orban und Wladimir Putin) – “nur ein paar Feuerwerkskörper, die symbolisch stehen für ein endgültiges Aussterben der alten, sowjetischen Denkweise, und einen wirklichen Neuanfang ankündigen”. 

Tausende wagten und wagen sich auf die Straßen, trotz der aggressiven Polizeigewalt. Sie wollen nicht aufgeben, sie kämpfen um ihre Zukunft, skandierten die Protestierenden. Der Druck auf sie wächst: “Jetzt geht es darum, dass der Druck von innen standhalten kann, und von außen entschieden mit einer Nicht-Anerkennung der illegitimen Regierung und persönlichen Sanktionen gegen die Verantwortlichen reagiert wird, damit die zentrale Forderung, Neuwahlen abzuhalten, erfüllt wird”. 

Grassl ist überzeugt, mit dem “Georgischen Traum” kann es weder Frieden noch Stabilität geben. Nur Friedhofsruhe. Russland kontrolliert inzwischen nicht mehr nur Abchasien und Süd-Ossetien, russisch besetzt sei dem anti-georgischen Krieg 2008, sondern das ganze Land. Imperialismus pur.

Imperialistische Anti-Putin-Opposition

Nicht nur das Putin-Regime setzt unverhohlen auf den Imperialismus. Nicht viel weniger die Anti-Putin-Opposition, warnt die Osteuropa Historikerin Franziska Davies auf “Geschichte der Gegenwart”. Dieser Imperialismus wird ausgeblendet, “dadurch werden weiterhin russischen Perspektiven eine höhere Priorität eingeräumt als den von Russland Kolonisierten.”

Die Romantisierung in der EU des Putin-Gegners Nawalny wird in “historisch und gegenwärtig vom russischen Kolonialismus betroffenen Ländern und Regionen” abgelehnt. Die Reaktionen auf die westliche Verehrung von Nawalny sorgt bestenfalls für ein ungläubiges Kopfschütteln. Die Appelle aus den von Russland kolonisierten Ländern wie der Ukraine, sich von einer unkritischen Romantisierung des russischen Anti-Putin-Lagers zu lösen, sollten wir ernst nehmen, empfiehlt Davis.

Davies schreibt von der Selbstbezogenheit russischer Oppositioneller, kritisiert ihre Analyse, Putin und seine Clique als die allein Verantwortlichen zu sehen. Die Oppositionellen beschreiben die russische Gesellschaft als Opfer Putins, nicht als Mit-Täter: “Aber die Romantisierung Russlands, das sich selbst Belügen über den Weg, den das Land einschlägt, die koloniale Arroganz gegenüber der Ukraine, waren ausschlaggebend für die desaströse Ostpolitik der Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte und ihre vergleichsweise große gesellschaftliche Akzeptanz,” ätzt Davies. Den Preis für diese Politik haben die Menschen in Tschetschenien, in Georgien, in Syrien und nun in der Ukraine bezahlt.

Vom Hitler-Stalin-Pakt

Rechte, linke Europäer, republikanische US-Amerikaner und linke US-Intellektuelle können das “Handeln” von Putin nachvollziehen. Er wehrt sich angeblich gegen die Einkreisung durch die NATO, gegen die US-amerikanischen Vorherrschaft. Putin, der David, der gegen Goliath kämpft. Nicht wenige glauben tatsächlich diesen Unfug. Nicht wenige folgen Putins These, die Ukraine – das “antirussische Projekt” der USA – wird von Nazis beherrscht. 

Gleichzeitig rechtfertigte er den Pakt zwischen Stalin und Hitler. “Für die Staaten Ostmitteleuropas und insbesondere für Polen sind diese Äußerungen alarmierend, zumal es erschreckende Parallelen zwischen der Propaganda Stalins und Hitlers von 1939 und dem heutigen Russland gibt,” findet Matthäus Wehowski in seiner Abhandlung “Die Propaganda mit dem Pakt”. 

Stalin argumentierte 1939, seine Allianz mit Hitler-Deutschland ist eine Reaktion auf die westliche Einkreisung. Die Thesengrundlage für Putin heute, Russland ist nach dem Zerfall der Sowjetunion Opfer der ungerechten Weltordnung der USA geworden. Die russischen Grenzen sind in der Putin-Erzählung dem Land aufgezwungen worden. Russland erhob Putin zur Schutzmacht der russischsprachigen Menschen in den ehemaligen Sowjetrepubliken. “Russen”, die vom Mutterland geschützt werden müssen.

Als “Experimentierfeld” für diese “These” gilt die Ukraine, aber “dass sich viele russischsprachige Ukrainerinnen und Ukrainer längst mit ihrem eigenen Staat identifizieren, interessiert ihn nicht”, hält Matthäus Wehowski entgegnen.

Putin betreibt eine erschreckende Täter-Opfer-Umkehr, die auch die Unterstützer der Angegriffenen als “Kriegstreiber” diskreditiert. Putin deutet die Geschichte kraft seiner autokratischen Autorität um, sein Geschichtsbild ist zum Unterrichtsfach an den russischen Schulen geworden.

Der ehemalige Kulturminister Wladimir Medinski, der „Hohepriester“ der Putin’schen Geschichtsdoktrin, ist für die neue russische Geschichts-Erzählung verantwortlich. Medinski war Leiter der russischen „Verhandlungsdelegation“ im März 2022.  Medinski und Putin verfügen über die Deutungsmacht über die Vergangenheit. 

Siehe auch: Wir stehen an einem Wendpunkt der Weltpolitik, ukraineverstehen, Zentrum Liberale Moderne, dekoder, meduza, Schwerpunkt Krieg in der Ukraine, Karl Schlögel – Krieg gegen die Ukraine – Blick auf die USA, 

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