Zu wenig!

Das ukrainische Minderheitenschutzgesetz ist dürftig ausgefallen.

Von Wolfgang Mayr

Präsident Wolodymyr Selenskyj hat das überarbeitete Minderheitenschutz unterzeichnet. Das vor einem Jahr vom Parlament verabschiedete Gesetz – ein Schlüssel für die EU-Mitgliedschaft – stieß auf Kritik der betroffenen Minderheiten und auch der EU, schreibt die Fuen in ihrer Pressemitteilung. Der Kritik schlossen sich auch verschiedene Nichtregierungsorganisationen an.

Die Venedig-Kommission des Europarates forderte wohl auch deshalb die Ukraine auf, das Gesetz ordentlich nachzubessern. Es wurde nachgebessert, finden die Gesetzesmacher. So sei das Gesetz zum Schutz der Freiheiten und Rechte von Angehörigen nationaler Minderheiten der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten, der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen und den Empfehlungen der Venedig-Kommission angepasst worden. 

Die Ukraine ist überzeugt, mit diesem Gesetz die EU-Hürden Minderheitenschutz genommen zu haben. Das überarbeitete Gesetz definiert nationale Minderheiten, ihre Rechte und Pflichten, die Rechte ihrer Vertreter und die staatlichen Minderheitenpolitik.

Die Fuen findet das Gesetz nicht gelungen, nicht minderheitenfreundlich. Die Änderungen seien zu wenig weitreichend, das Gesetz sei nicht angetan, die Minderheiten zu stärken, ihren Platz in der ukrainischen Gesellschaft und im ukrainischen Staat zu sichern und zu garantieren.

Die Fuen stellt fest, dass das Gesetz die Einschränkungen und negativen Auswirkungen der Bildungs- und Mediengesetze sowie des Gesetzes zur Staatssprache nicht aufhebe. Loránt Vincze, Fuen-Vorsitzender und Europaparlamentarier der ungarischen Minderheit aus Rumänien, schreibt: „Das neue Gesetz bietet keine adäquate Lösung für die Forderungen der nationalen Minderheiten“.

Vincze bedauert, dass der Begriff „traditionell“ aus der Definition für nationale Minderheiten gestrichen wurde. Minderheiten werden als eine sesshafte, stabile, solide Gruppe beschrieben, deren Angehörige nicht-ethnische Ukrainer sind.

Die Fuen befürchtet, dass das Recht auf den Gebrauch der Minderheitensprachen in der Öffentlichkeit weiterhin eingeschränkt bleibt. Die Minderheitensprache dürfe nur bei Veranstaltungen für Angehörige nationaler Minderheiten verwendet werden. Das wäre nicht nur reichlich absurd, sondern eine Absage an die multinationale und mehrsprachige Zukunft der Ukraine. Die Ukraine zählt mehr als 100 Minderheiten, ist ein kulturell und sprachlich ein buntes Land, gelebte Diversität. Für die ungarische Minderheit im äußersten Westen der Ukraine engagiert sich Viktor Orban, Ministerpräsident des illiberalen Ungarns und erklärte großungarischer Nationalist.

Die Fuen entdeckte noch weitere Schwachstellen im Gesetz, die Rechte der Minderheiten einschränken werden:

  1. – Die Massenmedien in den Minderheitensprachen müssen ihre Inhalte in die Landessprache übersetzt.
  2. – Der Vertrieb von Büchern in Minderheitensprachen ist nur in Bibliotheken der staatlichen Behörden möglich.
  3. – Der Gebrauch der Muttersprache im Rettungsdienst ist nur in Altenpflegeheimen und nur dann möglich, wenn die Sprache von der anderen Partei verstanden wird.
  4. – Die Regelung des Gebrauchs der Minderheitensprachen in lokalen öffentlichen Einrichtungen bleibt unwirksam. Der Gebrauch wurde drastisch eingeschränkt auf, nämlich auf „Gemeinden, in denen traditionell Minderheiten leben“, „Siedlungen, in denen Minderheiten in großer Zahl leben“ sowie „auf Wunsch der Minderheiten“ und „tatsächliche Bedürfnisse“. Formulierungen, die viele Interpretationen zulassen.

Bedauerlicherweise finden sich solche Vorgaben in vielen Regelungen von EU-Mitgliedsländern. Sonderlich minderheitenfreundlich sind weder Frankreich, noch Griechenland, Italien, Österreich oder Deutschland. Die ungarische Minderheitenpolitik ist auf dem Papier überzeugend, „großzügig“. Aber, die Zahl der Sprechenden der Minderheitensprachen schrumpft. Offensichtlich wird in Ungarn assimiliert, nicht die sprachliche Vielfalt gefördert.

Die Fuen appelliert an die Ukraine, das Minderheitengesetz nicht nur als eines der Eintritt-Tickets in die EU zu betrachten. Ein solches Gesetz ist mehr, wirbt die Organisation für ein Gesetz, das die Minderheiten „schreiben“ sollen. Ein solches Gesetz sei eine Chance, die Lage vieler ihrer Bürger der verschiedenen Minderheiten zu verbessern, die Zusammenarbeit zwischen Mehrheit und Minderheiten gleichberechtigt auf Augenhöhe zu fördern und damit die Bedingungen für eine langfristige Stabilität zu schaffen.

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