17-11-2023
Verlogener „globaler Süden“
Lateinamerikanische, afrikanische und asiatische Staaten solidarisieren sich mit Gaza und verschweigen die eigenen Kriege
Von Wolfgang Mayr
Im östlichen Kongo rücken kongolesische Streitkräfte gegen die Tutsi-Rebellen der M23 vor. Die „Bewegung des 23. März“ kontrolliert das Land an der Grenze zu Ruanda. Das von den Tutsi regierte Ruanda unterstützt die Bewegung in der ostkongolesischen Provinz Nord- Kivu um die Handelsstadt Goma.
Die kongolesischen Truppen gehen brutal gegen die Tutsi vor. 29 Jahre nach dem Genozid an den Tutsi in Ruanda droht nun ein Völkermord im Kongo. Hunderttausende Menschen sind gefährdet. Beim Massenmord der Hutu an den Tutsi 1994 wurden mehr als eine Million Menschen massakriert. Die Proteste im „globalen Süden“ hielten sich in Grenzen.
Die Volksrepublik China und ihre Konzerne plündern im Zusammenspiel mit kongolesischen Behörden, Sicherheitskräften und Milizen die gewaltigen Rohstofflager. Ohne Rücksicht auf Land und Leute. Die Volksrepublik China, Partner des „globalen Südens“? Die kongolesische Elite dient sich den neuen Kolonialisten als Partner vor Ort an.
Vielvölkergefängnis Myanmar
Seit dem Putsch, und auch schon die Jahre davor, drangsalieren Polizei und Armee in Myanmar die eigene Bevölkerung. Vernichtend gehen die Uniformierten, hochgerüstet von der Volksrepublik China und „solidarisch begleitet“ von Russland, gegen die vielen Nationalitäten vor. China und Russland, die angebliche antikolonialistische Speerspitze, verteidigen die mörderische Haltung des Militär-Regimes von Myanmar.
Die flächendeckende Repression provozierte Widerstand, zivilen Ungehorsam und auch bewaffneten Widerstand. Im Rakhine-Staat im westlichen Myanmar überrannten Angehörige der Arakan Army mehrere Militärposten an der Grenze zu Bangladesh.
Damit eröffneten die Rebellen der Arakan, im Bündnis mit der Demokratiebewegung, eine weitere Front. Dem Putschisten-Regime droht ein „Mehrfrontenkrieg“. Im Osten des Landes haben Rebellenverbände bereits mehrere Städte und Militärposten eingenommen. Die Paten des Regimes, die chinesischen Kommunisten, protestierten gegen den militärischen Widerstand der verschiedenen Rebellengruppen und warnten vor einem Auseinanderfallen des Landes. Die chinesischen Kommunisten haben das eigene Land vor Augen, Tibet, Ost-Turkestan, die Innere Mongolei, Hongkong, Kolonien der „Volksrepublik“.
Die Vergessenen in Syrien
Mehr als 150 Organisationen weisen in einer Erklärung auf die wachsende militärische Gewalt hin. Sie fordern ein Ende der Eskalation. In Ildib geht das Assad-Regime gegen Personen vor, die sich für ihre Grundrechte einsetzen, schreibt adopt a revolution. Im nordwestlichen Syrien findet eine Offensive des Regimes statt, im Schatten des israelischen Krieges gegen die Hamas in Gaza.
Adopt a Revolution schreibt: „Ermutigt durch Straflosigkeit und internationales Schweigen intensivieren das Assad-Regime und sein Verbündeter Russland ihre Bombardierungen auf Nordwestsyrien. Dabei setzen sie auch international geächtete weiße Phosphorbomben auf zivile Ziele ein“.
Zu den Opfern in Syrien zählen auch die dort lebenden 500.000 Palästinenser. Sie sind im Visier des Regimes und des Islamischen Staates. Die Palästinenser wurden nie eingebürgert, wie in Jordanien, sondern wurden in Flüchtlings-Ghettos gepfercht. Sie sind politisches „Freiwild“, werden deshalb auch oft Opfer der Gewalt des Regimes.
Genozid in Darfur
Weltweit protestieren pro-palästinensische Solidaritätsgruppen, migrantische, linke und rechte, gegen den Krieg Israels in Gaza. Ein Krieg gegen die klerikal-faschistische Hamas mit viele unschuldigen zivilen Opfern, Kinder, Frauen.
Der Krieg im Sudan hingegen berührt kaum. Wahrscheinlich deshalb, weil die Freunde des globalen Südens, China und Russland, dort aktiv mitmischen. Im Sinne der Befreiung?
Milizen verüben im Westsudan, in Darfur, Massaker. Hunderte Menschen wurden ermordet. Gezielt, bestialisch. Ein Krieg im Verborgenen. In Darfur verübten die sudanesische Armee, die Dschandschawid-Milizen und Söldner 2003 hunderttausendfachen Mord. Mehr als 300.000 Menschen wurden getötet, mehr als 2,5 Millionen Menschen vertrieben.
Der Genozid trieb kaum „Menschenfreunde“ auf die Straßen und Plätze westlicher Metropolen. Auch nicht in arabischen und islamischen Ländern. Es war der US-Kongress, der das Morden geißelte. Das Engagement der Afrikanischen Union gegen den Genozid damals und gegen den aktuellen Krieg ist mäßig.
Lateinamerikanische linke Machos
Chile stimmt im Dezember über eine neue Verfassung ab. Die Rechte der indigenen Mapuche: Fehlanzeige. In dem 51-köpfigen Konvent vertrat nur ein indigener Abgesandter – der Mapuche Alihuen Antileo – die Ureinwohner-Gemeinschaften. Das entspricht nicht dem zehnprozentigen Bevölkerungsanteil der indigenen Völker.
Die rechtsextreme Republikanische Partei erhielt die meisten Sitze und stimmte einstimmig dafür, die Indigenen nicht am verfassunggebenden Prozess zu beteiligen. Antileo spricht deshalb von einer politischen Revanche der Elite nicht nur die Mapuche.
Mit den Protesten 2019 und 2020 seien drei politische Akteure erstarkt, sagt Antielo: Die Indigenen, die Feministinnen und die Parteiunabhängigen. Für die Eliten sei dies unerträglich gewesen, dass diese Menschen eine neue Verfassung schreiben würden. Diese wurde bei einem Referendum von der Mehrheit abgelehnt. Die rechte Kampagne dagegen war erfolgreich.
Antileo ruft die Mapuche auf, am 17. Dezember gegen den neuen Verfassungsentwurf zu stimmen. Die indigenen Völker seien nicht einbezogen worden, kritisierte Antileo. Die indigenen Völker werden zwar „als Teil der chilenischen Nation“ in einem Artikel des Verfassungsentwurfs erwähnt, ohne dass spezifische Rechte abgeleitet werden können. Die von den indigenen Völkern geforderte Rückgabe gestohlenen Landes kommt überhaupt nicht vor.
Das lateinamerikanische Bekenntnis zu den Rechten indigener Völker ist Makulatur, Schall und Rauch. Nicht nur in Chile, auch im „linken“ Brasilien, in Peru und Equador. Indigenistische Organisationen in Bolivien kritisieren die linken Parteien, die am Konzept der Assimilation festhielten.
So warf der verstorbene Felipe Quispe Huanca seinem ehemaligen Mitstreiter Evo Morales vor, ein Neoliberaler mit dem Antlitz eines Indios zu sein. Der „globale Süden“, weit davon entfernt, ein alternativer Gegenentwurf zu sein.
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