17-06-2025
USA-First Nations: “Du bist kein Indianer”
Der Film “You’re No Indian” problematisiert einen innerindianischen “Bürgerkrieg”

Am 28. Juni wird der Film “You‘re no Indian“ uraufgeführt. Der Film klagt an, besonders im Visier die „Casino“-Indianer, die die Stammeslisten „säubern“ lassen. Foto: orginalpachenga.com
Von Wolfgang Mayr
Der provokante Film “You’re No Indian” wird am 28. Juni beim Dances With Films Festival in Los Angeles uraufgeführt. Regisseur des Films ist Ryan Flynn, Produzenten sind auch die Schauspieler Wes Studi und Tantoo Cardinal.
Der Cherokee Wes Studi, ein etablierter Schauspieler in mehr als 100 Filmen, war Soldat im Vietnam-Krieg, nach seiner Rückkehr engagierter er sich im American Indian Movement. 1973 beteiligte sich Studi, weiß wikipedia, an der Besetzung von Wounded Knee, gründete eine Cherokee-Zeitung und unterrichtete Cherokee.
Tantoo Cardinal ist eine Métis-Schauspielerin mit Cree-, Nakota- und Dene-Wurzeln. In einem Interview mit Indian Country Today sagte sie: “’You’re No Indian ist eine kraftvolle Geschichte, die erzählt werden musste. Unser Volk wird ausradiert, von unseren eigenen Stammesregierungen. Man sieht, wie Familien auseinandergerissen werden, Identitäten gestohlen werden, Gemeinschaften im Stillen leiden. Viele haben zu viel Angst, sich zu äußern, weil sie wissen, dass sie die nächsten sein könnten.”
Sie hat sich diesem Projekt angeschlossen, um jenen im Film Interviewten Gehör zu verschaffen.
Der Film behandelt ein heikles Thema, die Aufnahme in die Stammeslisten, das enrollment. Das enrollment ist eine Art “Staatsbürgerschaft” für Stammesmitglieder mit entsprechenden Rechten und Pflichten. Immer öfter werden Angehörige von den Stammeslisten gestrichen, die Stämme schrumpfen, verlieren ihre Bevölkerung. So sollen in den vergangenen 15 Jahren mehr als 11.000 Angehörige von 80 Stämmen aus den Listen gestrichen worden sein.
“Stell dir vor, deine gesamte Familienlinie wird mit einem Federstrich ausgelöscht. Du verlierst dein Haus, deinen Job, deinen Stamm,” klagt Tantoo Cardinal.
Indian blood
All das begann damit, dass das Innenministerium und das BIA nach den erfolgreich geschlagenen Indianerkriegen bürokratisch-rassistisch festlegten, wer Indianer ist. Für das Bureau of Indian Affairs (BIA) ist ein Indianer, wer zur Hälfte – in Ausnahmefällen 25 Prozent – indianischer Abstammung ist und einem offiziell anerkannten Stamm angehört. Fakt ist, dass jeder Stamm sich nach eigenen Grundsätzen definiert.
Letzthin sorgte der Streit um die Freedman bei den Cherokee für heftige Auseinandersetzungen. Die Nachfahren zu den Cherokee geflüchtete Sklaven galten lange als Angehörige der Cherokee-Nation. 2007 änderten die Cherokee ihn Oklahoma ihre Verfassung und warfen die Freedman aus den Stammeslisten. Die Freedman erkämpften sich 2017 vor Gericht ihre Anerkennung. 2021bestätigte der Oberste Gerichtshof der Cherokee dieses Urteil. Ein Beispiel von vielen.
Für die Zensusbehörde ist Indianer, der es sein will. Der Wille ist genauso wichtig wie die ethnische Abstammung. So einfach ist das auch nicht. Mit der “Terminations”-Politik, auch bekannt als relocation, versuchte die republikanische Eisenhower-Regierung die Reservate samt den Stämmen aufzulösen. Ihre Umsiedlung in die Städte wurde als “Schritte in die Freiheit” propagandistisch verkauft.
Diesen “Schritten in die Freiheit” fielen bis 1962 mehr als 120 Stämme zum Opfer. Die aufgelösten Nationen verloren ihr Land. Ein legalisierter Landraub a´ la USA.
Seitdem führen diese Stämme ermüdende Rechtsstreitigkeiten um ihre Wiederanerkennung. Meistens erfolglos. Wie die Lumbee in North Carolina, die sich Donald Trump in die Arme warfen. Trump versprach den Lumbee die bundesstaatliche Anerkennung, die trotz hehrer Worte noch immer aussteht.
Gegen die Anerkennung wehrten sich auch die “etablierten Stämme”. Diese versuchten die nicht Anerkannten aus dem National Congress of American Indians NCAI hinauszuwerfen. Sie scheiterten 2023, hauptsächlich die Cherokee Band von North Carolina, mit einer entsprechenden Abänderung des NCAI-Statuts. Es setzte sich die solidarische Fraktion durch. Vorerst.
“Gesäuberte” Stammeslisten
In den Stämmen hingegen versuchen die “Etablierten” ihre Listen zu “säubern”. All das ist nicht neu, bedauert Cardinal. Seit der Eroberung des Kontinents wird versucht, “die Identität der Indigenen auszulöschen.” Der Film “You’re No Indian” dokumentiert, wie weit verbreitet und verheerend diese “Säuberung” wirklich ist. Entsprechend Stammes-Angehörige nicht den entsprechenden Stammes-Kriterien, verlieren sie ihre “Mitgliedschaft”. Kriterien, so die Kritik, die willkürlich sein sollen.
“Es geht ums Geld”, ist Regisseur Flynn überzeugt. “Leider wird zu wenig darüber berichtet, ganze Familien und ihre Geschichten werden ausgelöscht, ohne dass man sich dagegen wehren kann. Wir haben diesen Film gedreht, um auf diese Praxis aufmerksam zu machen und die Stimmen der Betroffenen zu verstärken,” sagte Flynn Indian Country Today. Stichwort Geld, er war überrascht, wieviel Geld aus den Stammescasinos an die Stammesmitglieder fließen. Manche wollten diese “Gewinne” nicht mehr teilen, bedauert Flynn.
Die Recherchen zum Film waren schwierig, bestätigt Flynn, viele Stammespolitiker verweigerten Interviews und hielten Informationen zurück. Aber auch Betroffenen lehnten Interviews ab, aus Angst, ergänzt Flynn. Meist waren es Muttersprachler, die sich für die Ausgegrenzten einsetzten, also “Menschen, die um ihre Identität kämpfen, gegen die Mächte der Gier.”
Flynn nennt die aus den Stammeslisten Gelöschten Opfer der kolonialen Praxis des Reservatssystems. Die umstrittenen Casinos garantieren einigen wenigen Stammesangehörigen viel Reichtum und politische Macht. Je weniger Mitglieder ein Stamm zählt, desto größer ist das individuelle Stück vom Kuchen, kritisiert Flynn die weitverbreitete Praxis auf den Reservaten. Große Casinos, geringe Bevölkerungsdichte, das scheint das Ziel mancher Reservats-Verwaltungen zu sein. Zugeben wollte dies offiziell aber niemand.
Flynn will mit seinem Film Mut stiften, “ich hoffe, dass dies die Menschen, die indigen sind, zu Mut inspiriert, damit sie sich befähigt fühlen, tatsächlich ihre Stimme zu erheben. Es ist diese Waffe der Angst, die die Menschen zum Schweigen bringt.” Es ist zu befürchten, sagt Flynn, dass die Stammesräte von Politikern übernommen werden, denn der Stamm egal ist. Stammes-Angehörige erhalten weder von einem Bundesgericht noch vom Obersten Gerichtshof Hilfe. Diese sind für indigene Belange nicht zuständig.
Laut Flynn nehmen manche Stämme keine weiteren Angehörigen mehr auf. Ihre Listen sind geschlossen. Tantoo hofft, dass der Film “You´are No Indian” die Leute aufrüttelt. “Wir brauchen Verbündete innerhalb und außerhalb unserer Gemeinschaften, die bereit sind, Stellung zu beziehen. Ich hoffe, dass ‚You’re No Indian‘ diesen Mut weckt und echte Verantwortung erzwingt.”
Info-links zum Thema:
– Der neue Bison
– Kasinos in den Indianer-Reservaten
– Tribal Casinos and Souvereignty
– Tribal Business News
– Native American Casinos: Helping poor tribes?
– Tribal Enrollment Process
– Native American Tribal Enrollment
– Trace Indian Ancestry
– Killers oft he flower moon
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