Typisch Deutsch?

Vom schwierigen Umgang mit dem Völkermord an Herero und Nama in “Deutsch-Südwest-Afrika”. 

Von Wolfgang Mayr

Es dauerte Jahrzehnte, bis sich Deutschland mit seiner mörderischen Nazi-Vergangenheit und den millionenfachen Verbrechen der Nazis auseinandersetzte. Nie wieder, war der Slogan, heute darf der antisemitische Mob wieder auf den Straßen, in der Politik und im Netz wüten.

Mehr als hundert Jahre ist es her, dass das deutsche Kaiserreich in seiner Kolonie Deutsch-Südwest-Afrika, heute Namibia, einen Völkermord an den Herero und Nama verübte. Einst war es nur ein kleiner wissenschaftlicher Kreis, der sich damit auseinandersetzte, inzwischen scheinen die deutschen Kolonialverbrechen die Shoah verdrängen.

Für die “identitäre” Linke ist der verdrängte Kolonialismus schwerwiegender als der auch gern vergessene Holocaust. 

Die Gfbv und “Deutsch-Südwest-Afrika”

Schon 1975 erinnerte GfbV-Gründer Tilman Zülch an den vergessenen Völkermord in “Deutsch-Südwestafrika”. Im Report 22 im pogrom-Heft “Selbstbestimmung für Namibia – Deutschland und Deutsch-Südwest-Afrika” griff Zülch die blutige Kolonialgeschichte des deutschen Kaiserreichs in Afrika auf.

Er erinnerte daran, dass sich die deutschen Siedler das Land der Nama und Herero angeeignet haben. Mit Mord und Todschlag, mit der Politik der verbrannten Erde. 

Nazi-Deutschland konnte, folgerte Zülch, auf die Kolonialverbrechen des wilhelminischen Kaiserreichs als “Blaupause” zurückgreifen. Zülch geißelte die Pläne Südafrikas, Deutsch-Südwest-Afrika/Namibia dem Apartheid-System anzupassen, die schwarze Bevölkerung in “Bantustans” umzusiedeln, den illegal erworbenen Landbesitz der Weißen, allen voran der Deutschen, zu legitimieren. 

Ohne eine gleichberechtigte Teilnahme aller Bevölkerungsgruppen, besonders der Nama und Herero, sei ein neuer demokratischer Staat nicht möglich, warnte 1975 Tilman Zülch.

Die Nama sind, wie ihre Nachbarn Herero, Opfer eines Völkermordes. Das kaiserliche Deutschland ging zwischen 1904 und 1908 in “seiner” Kolonie Deutsch-Südwestafrika völkermordend gegen die beiden Völker vor.

Völkermord verjährt nicht

Diese mörderische Vergangenheit holte Deutschland ein, Deutschland erkennt den Genozid an, inzwischen gilt ein deutsch-namibisches Versöhnungsabkommen, das aber nach drei Jahren seines Zustandekommens noch immer nicht in Kraft ist. Darin erinnerte die GfbV anlässlich des Deutschlandbesuchs des namibischen Präsidenten Nangolo Mbumba. GfbV-Mitarbeiterin Laura Mahler regte 120 Jahre nach dem Vernichtungsbefehl gegen die Ovaherero und Nama, “die Aufarbeitung endlich voranzubringen.”

In dem Versöhnungsabkommen von 2021, der „Joint Declaration“, habe die Bundesregierung den Völkermord benannt, jedoch lediglich Ausgleichszahlungen in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit versprochen. Laut GfbV handelt es sich dabei „nicht um rechtliche Folgen im Sinne von Reparationszahlungen, sondern lediglich um die Fortführung von Entwicklungsgeldern.”

Das kritisieren die Verbände der Herero und Nama, die nicht an den Verhandlungen für das Abkommen teilnehmen durften. Die namibische Politik erkennt die Betroffenen-Verbände kurzerhand nicht an. Die beiden Bevölkerungsgruppen werden im eigenen Land benachteiligt, kritisiert Chemwi Mutiwanyuka von der Kampagne „Völkermord verjährt nicht“. 

Es geht auch um die Zukunft

Es geht nicht “nur” um die Vergangenheit, sondern um die Gegenwart und Zukunft. Unter dem Land der Herero und Nama liegen die begehrten Rohstoffe für die Wasserstoffproduktion. Die GfbV befürchtet, dass unter dem dem Deckmantel “grüner Energiepolitik” auf Kosten der Herero und Nama die alte Kolonialpolitik fortgeführt wird.

Die brutale deutsche Herrschaft in “Deutsch-Südwest-Afrika” steht im Mittelpunkt der ZDF-Doku “Der vermessene Mensch”. Die Nachfahren der Genozid-Opfer kommen endlich angemessen zu Wort. Auch der Arte-SpielfilmDer vermessene Mensch” arbeitet die lange verdrängte Völkermord-Geschichte auf. 

Cicero” lässt es sich nicht nehmen, historische Ungenauigkeiten im Spielfilm zur Reinwaschung der völkermordenden deutschen Kolonialisten zu missbrauchen. Weil die Herero einst die alteingesessenen San blutig aus ihrem Land vertrieben und weil die deutschen Besatzer die Volksgruppe der Damara aus der Sklaverei der Herero befreiten, so der “Cicero”-Tenor, sind die deutschen Verbrechen nur mehr halb so schlimm. Auch deshalb, weil die Herero in ihrem Kampf zum Tod der Deutschen aufgerufen haben und 1904 ein Massaker unter deutschen Siedlern verübt hatten. So werden aus deutschen Tätern deutsche Opfer? 

Ganz in diesem Sinne deponierte der Bundestagsabgeordnete Sven Tritschler von der in “Teilen rechtsextremen” AfD einen Kranz am Grad deutscher Kolonialsoldaten in der namibischen Küstenstadt Swakopmund. Die andere, typisch deutsche, Form der “Vergangenheitsbewältigung”.

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