04-01-2024
Südtirol als Vorbild
Die “Vernunft-Ehe“ zwischen der SVP und den neofaschistischen Fratelli d´ Italia gefällt der EVP
EVP-Chef Manfred Weber verfolgt die Bildung der Koalition in Südtirol mit großem Interesse. Die Ehe zwischen Volkspartei und Fratelli soll als Blaupause für eine (neue) konservative Mehrheit im EU-Parlament dienen, beschreibt Matthias Kofler in der „Neue Südtiroler Tageszeitung“ als „Plan W“.
Die SVP hat sich für eine perfekte Arbeitsteilung entschieden: Während Landeshauptmann Arno Kompatscher und sein ladinischer Stellvertreter Daniel Alfreider jüngst nach Rom reisten, um mit Regionenminister und Lega-Größe Roberto Calderoli einen Fahrplan für die Wiederherstellung der autonomen Standards von 1992 auszuarbeiten, hielt SVP-Obmann Philipp Achammer in Bozen die Stellung, wo zurzeit die Koalitionsverhandlungen zur Bildung der neuen Landesregierung laufen. Nun, da der Feinschliff am Koalitionsprogramm ansteht, sollte der Rest der SVP-Delegation nicht allein gelassen werden. Der SVP-Chef ist ohnedies in ständigem Kontakt mit Calderoli und Francesco Lollobrigida, der rechten Hand von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.
Die Bildung der neuen Regierungsmehrheit aus SVP, Freiheitlichen, Fratelli d’Italia, Lega und La Civica wird aber nicht nur im italienischen Inland mit großem Interesse verfolgt. Auch EVP-Chef Manfred Weber hat in den letzten Tagen mehrfach Kontakt zu Achammer aufgenommen, um sich aus erster Hand über den Fortgang der Verhandlungen zu informieren. Der CSU-Politiker sieht in der sich abzeichnenden Liaison zwischen Volkspartei und Fratelli ein Modell für einen „Rechtsruck“ im Europäischen Parlament nach den Wahlen im kommenden Juni.
Der Hintergrund: Noch sind es sechs Monate, bis die EU-BürgerInnen ihre Europaabgeordneten wählen können, wie es alle fünf Jahre üblich ist. Doch die Positionierung der Parteien vor dem Wahltag – und der Zeit danach, wo die wichtigsten EU-Posten vergeben werden – hat längst begonnen. Weber, der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, versucht zunehmend, mit Politikern und Parteien in Verbindung zu treten, die weit rechts von ihm und seinem Bündnis bürgerlicher Parteien stehen, weshalb ihm die Grünen und andere vorwerfen, mit der extremen Rechten zu „flirten“.
Man muss nur einen Blick auf die politische Landkarte der EU werfen, um Webers Strategie zu verstehen: In den letzten Monaten haben konservative Parteien in mehreren Ländern die Regierung übernommen, von Italien über Tschechien bis nach Schweden und Finnland. Selbst Spanien war nur einen Schritt von einer Machtübernahme der rechtsextremen Vox-Partei entfernt, die sich ihrerseits bereit erklärt hatte, den bürgerlich-konservativen Partido Popular zu unterstützen. Diese neuen Regierungen gehören jedoch entweder nicht zu Webers gemäßigter EVP-Familie, oder sie gehören zu ihr, sind aber auf die Hilfe einer weiter rechts stehenden Partei, wie die Schwedendemokraten in Schweden oder die Wahren Finnen in Finnland, angewiesen. Die italienische Ministerpräsidentin Meloni, die wie die Schwedendemokraten, die Wahren Finnen und Vox Mitglied der rechtspopulistischen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) im EU-Parlament ist, wird von Weber besonders umworben. Mit der Öffnung der EVP gegenüber den Parteien der EKR-Fraktion folgt der EVP-Vorsitzende also einem politischen Rechtsruck, der sich auf nationaler Ebene vielerorts seit einiger Zeit vollzieht.
Allerdings formuliert er drei wesentliche Kriterien für eine Zusammenarbeit mit der Europäischen Volkspartei: Demnach müssen die rechten Partner pro-europäisch sein, zur Ukraine stehen und die Rechtsstaatlichkeit nicht in Frage stellen. Angesichts der derzeitigen Zusammensetzung der EKR-Fraktion fällt nur die polnische PiS-Partei durchs Raster.
Rechts blinken
Laut der jüngsten Umfrage des Portals „Europe Elects“ zeichnet sich auch für die Europawahlen im nächsten Jahr ein Rechtsruck ab: Die beiden rechten Gruppierungen Identität und Demokratie (ID), zu der Marine Le Pens französischer Rassemblement National, die Lega von Matteo Salvini, die österreichische FPÖ, die in den Niederlanden siegreiche PVV von Geert Wilders und die deutsche AfD gehören, und die EKR würden demnach zusammen etwa ein Viertel der Stimmen erhalten und möglicherweise sogar stärker als die EVP werden. Die Grünen und die Liberalen würden Stimmen verlieren, während die EVP und die Sozialdemokraten wahrscheinlich stabil bleiben würden. Die derzeitige pro-europäische „Ursula“-Mehrheit, benannt nach der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), steht somit auf dünnem Eis. Deshalb sucht Weber bereits nach Alternativen und blickt zunehmend in Richtung EKR und FdI-Chefin Meloni. Gemeinsam mit den Rechtsparteien wollte er im Sommer eine ambitioniertere Klimagesetzgebung verhindern. Der Versuch scheiterte, weil einige Abgeordnete seiner eigenen Fraktion absprangen und gemeinsam mit den linken und gemäßigten Fraktionen das sogenannte Renaturierungsgesetz durchs Parlament boxten.
Vor diesem Hintergrund gewinnen die Koalitionsverhandlungen in Südtirol zunehmend an europapolitischer Bedeutung. Eine Zusammenarbeit mit der ID-Gruppe von Lega und Co. bleibt für die EVP aufgrund der unterschiedlichen Positionen zum EU-Friedensprojekt tabu. Francesco Lollobrigida (FdI) hofft auf ein Bündnis zwischen EVP und EKR im kommenden Jahr. Manfred Weber traf sich auch mehrmals mit Ministerpräsident Meloni in Rom, was innerhalb der CDU kritisiert wurde. Weber und Lollobrigida haben sich auch an die SVP gewandt, um Details über die laufenden Koalitionsverhandlungen zu erfahren. Ihr Credo: Auch wenn Südtirol klein ist, könnte die neue Landesregierung, für die die Südtiroler Volkspartei einen Koalitionsvertrag mit den Fratelli abschließen wird, bei diesen Bemühungen durchaus hilfreich sein und eine Art Türöffner für eine neue rechtskonservative Mehrheit auf europäischer Ebene werden. In einem persönlichen Telefongespräch erklärte Achammer gegenüber Lollobrigida und Weber, dass seine Partei alles tun werde, um hierbei dienlich zu sein. Gleichzeitig schloss der SVP-Chef aber kategorisch aus, dass seine Partei im Hinblick auf die Europawahlen ein Wahlbündnis mit den Fratelli oder – noch schlimmer – mit der Lega eingehen werde.
Die erste Anlaufstelle der SVP sei nach wie vor Forza Italia, heißt es aus der Brennerstraße, auch wenn dies nicht mehr so einfach sei, da die EVP-Mitgliedspartei dem neuen Landtag nicht mehr angehöre. Die Verhandlungen zur EU-Wahlallianz laufen direkt mit FI-Chef Antonio Tajani. Das Problem: Der neue FI-Kommissar in Südtirol, Matteo Gazzini, hat ebenfalls Anspruch auf den „Südtiroler“ Sitz im Europaparlament erhoben und will sich dem SVP-Mann Herbert Dorfmann nicht kampflos geschlagen geben. Laut SVP hat Gazzini im Kampf um Straßburg jedoch „wenig Chancen“.
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