20-02-2022
Schrumpfende Autonomie: Die Südtiroler Landesautonomie verliert an Kraft
Simon Constantini vom Brennerbasis-Blog „durchleuchtet“ seit Jahren schon die Südtirol-Autonomie. Sie schrumpft ständig, der Staat kassiert immer öfter autonome Rechte ein, warnt Constantini.
Von Wolfgang Mayr
2017, 25 Jahre nach der sogenannten Beilegung des Südtirol-Streits zwischen Österreich und Italien vor der UNO, legten die beiden Innsbrucker Rechtsprofessoren Esther Happacher und Walter Obwexer ihre Bilanz-Studie über die Entwicklung der Autonomie vor.
Auf 600 Seiten dokumentierten die beiden Fachleute im Auftrag der Südtiroler Landesregierung die „Entwicklungen und Veränderungen der Südtiroler Autonomie seit der Streitbeilegungserklärung 1992“.
Durchwachsene Entwicklungen und Veränderungen orteten Happacher und Obwexer in ihre Studie. Manche Bereiche mussten in Unionsrecht überführt werden, seit 1992 kamen aber auch neue Zuständigkeiten hinzu, erhandelt von der Landesregierung und den SVP-Parlamentariern in Rom.
Die beiden Wissenschaftler machten aber auch eine schrumpfende Autonomie aus, durch die einseitige Zurücknahme von Autonomierechten, stellt Constantini kritisch fest. Mit den Reformgesetzen kappte der Staat autonome Befugnisse, aber auch das Verfassungsgericht entschied immer öfters zentralstaatlich.
Besonders eingrenzend wirkte sich die Verfassungsreform von 2001 aus. Mit dieser Reform griff der Staat massiv in die autonome öffentliche Verwaltung in Südtirol ein, „stutzte“ wichtige Bereiche wie Raumordnung, Ämterordnung über Landschaftsschutz und Fürsorge und Wohlfahrt zusammen, insgesamt 17 Autonomie-Felder
„Diese einseitige Zurücknahme ist besonders brisant, da sie im Grunde einen Vertragsbruch bedeutet,“ kommentiert Constantini auf seinem Blog. Er verweist auf die „Verbalnote“ des österreichischen Außenministeriums (11. Juni 1992) zur sogenannten „Streitbeilegungserklärung“. Unter Punkt 6 heißt es unmissverständlich: „Die österreichische Regierung geht … , daß Autonomiestatut von 1972 mit seinen Durchführungsbestimmungen… nicht einseitig abgeändert werden, sondern … nur im Rahmen der gemeinsamen Verantwortung.“
Mit diesem autonomiepolitischen Kahlschlag wurde Südtirol um 25 Autonomie-Jahre zurückgeworfen, schreibt Simon Constantini auf seinem Brennerbasisblog (siehe auch: 1/ 2/ 3/ 4/ 5/ 6/)
Stärkerer Staat, schwächere Autonomie
Diese doch auch negative Entwicklung bestätigt Matthias Haller in Südtirols Minderheitenschutzsystem, Assistenzprofessor am Institut für Italienisches Recht der Universität Innsbruck und Träger des Föderalismus- und Regionalforschungspreise 2020.
Wie schon Heppacher und Obwexer kommt Haller zum Schluss, dass die Verfassungsreform 2001 und verschiedene Urteile des Verfassungsgerichts zugunsten des Staates zu einer spürbaren bis drastischen Machtverschiebung gesorgt haben. Die sogenanntenQuerschnittskompetenzen zwischen Staat und autonomer Provinz wurden zum Staat verschoben, weg von der autonomen Provinz.
Die Verschiebung schränkte die Landesautonomie ein, betroffen davon ist die Hälfte der Landeskompetenzen. Die Ursache dafür ist: der Schutz des Wettbewerbs, Zivilrecht, Umweltschutz, Festlegung von Mindeststandards beim Schutz der bürgerlichen und sozialen Rechte.
Haller benannte nicht nur die Autonomie-Verluste, sondern befasste sich auch mit der möglichen Wiederherstellung von Zuständigkeiten. Er sieht dafür zwei Strategien, darauf zu reagieren: die Änderung des Autonomiestatuts, die in einigen Fällen von grundlegender Bedeutung ist oder der Erlass von Durchführungsbestimmungen, die im Einzelnen die von der Provinz und die vom Staat geregelten Aspekte definieren.
Haller warnte auch davor, Digitalisierung nicht zu übersehen. Dort droht die handfesteGefahr, dass die Autonomie weiter eingeschränkt wird. Digitale Dienste werden meist einsprachig auf Italienisch angeboten (siehe auch: 1/ 2/ 3/ 4/ 5/ 6/ 7/ · 8/). Auf diese Weise wird das verfassungsmäßig verankerte Prinzip der Zweisprachigkeit, in der Staats- und Landesverwaltung, eingeschränkt.
Mit digitalen Argumenten wurde das Vereinsregister der ehrenamtlichen Vereine zentralisiert, das bisherige Landesregister wird in dem staatsweiten Register „integriert“. Einsprachig italienisch, die Mehrsprachigkeit gilt nicht mehr (siehe auch: 1/ 2/ 3/ 4/ 5/ 6/ | 7/ 8/).
So ist es auch bei der digitalen Signierung von Computerdateien bei der Handelskammer. Einsprachig italienisch. Das Digitale wird offensichtlich dazu verwendet, das Verfassungs-Prinzip der Mehrsprachigkeit auszuhebeln.
Weitere Beispiele, die deutsche Sprache wird bei öffentlichen Onlinediensten durch die italienische Staatsprache ersetzt, wie beim SPID, bei der digitalen Unterschrift, beim zertifizierten E-Mail, der elektronischen Fakturierung, beim IO-App bzw. bei Webauftritten und Services von Nationalen Fürsorge-Institut NISF, Agentur der Einnahmen, beim digitale Meldeamt, Arbeitsamt ANPAL, KfZ-Register (PRA) , usw.
Die meisten öffentlichen Onlinedienste in Südtirol „spreche“ nur mehr – also ausschließlich – italienisch. Diese un/gewollte Entwicklung gefährdet den Minderheitenschutz, warnt der Innsbrucker Assistenzprofessor Matthias Haller und auch das mehrsprachige Gesellschafts- und Autonomiemodell.
SHARE