16-11-2022
Schade und traurig
Die ehemalige Fuen-Vize Martha Stocker reagiert mit Unverständnis auf die EuG-Entscheidung gegen die MSPI

Von Wolfgang Mayr
Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat ein nachdenklich stimmendes Urteil gefällt. Letztinstanzlich gab der Gerichtshof in der Rechtssache Minority SafePack Initiative (MSPI) der EU-Kommission recht.
Das Gericht „unterstellt“ der EU-Kommission, in ihrem guten Recht gehandelt zu haben, als sie die MSPI trotz der gesammelten eine Million Unterschriften und auch entsprechender mehrheitlicher Zustimmung durch das Europaparlament abgelehnt, zurückgewiesen hat.
Die EuG-Richter sind gar der Auffassung, dass die Massnahmen reichen, „die die Europäische Union bereits ergriffen hat, um die Bedeutung der Regional- oder Minderheitensprachen hervorzuheben und die kulturelle und sprachliche Vielfalt zu fördern …“.
Nicht von ungefähr bewertet die Fuen dieses Urteil als einen rabenschwarzen Tag für Europas Minderheiten. Jan Diedrichsen schreibt von einem veritablen Schlag in die Magengrube, die ehemalige Fuen-Vize Martha Stocker findet den Urteilsspruch unverständlich, weil in totaler Gegenposition zum ursprünglichen Urteil und zur Meinung des Europaparlaments. Der EuGH hatte in zwei vorherigen Instanzen im Sinne der Minderheiten entschieden.
Der EuGH listet die Leistungen der EU-Kommission zugunsten der sprachlichen und nationalen Minderheiten auf, sie fördert die Sprachenvielfalt und den Schutz der Minderheiten. Dürftige und dürre Hinweise, deshalb kommt Martha Stocker zum Schluss, „wenn man das alles liest, wird nicht wirklich erkennbar, was sich so groß von 2017 auf 2022 zum Positiven verändert haben soll“. Für sie ist argumentativ nicht erkennbar, was diese richterliche Ablehnung rechtfertigt.
Der EuGH entließ die EU-Kommission aus ihrer Verantwortung, Minderheitenpolitik zu gestalten. Eine weitere vertane Chance für die Union, nicht nur ein Bund von Vaterländern und Nationalstaaten zu sein, sondern auch institutionelle Heimstatt für die vielen autochthonen minderheitlichen Bevölkerungsgruppen.
Vor zehn Jahren begann das „Abenteuer“ MSPI im slowenischen Laibach. Gabriel von Toggenburg, damals Mitarbeiter der Europäischen Akademie in Bozen, lancierte die Idee einer europäischen Bürgerinitiative für Minderheiten, Fuen-Präsident Hans Heinrich Hansen und seine Vize Martha Stocker entwickelten diese MSP-Initiative. Mehr als eine Million europäische Bürgerinnen und Bürger unterschrieben die MSP-Initiative. Motoren waren zweifelsohne auch die gut organisierten ungarischen Minderheiten in Rumänien und in der Slowakei, mit entsprechender brüderlicher Hilfe des Orban-Ungarns.
Die Begeisterung in Brüssel über diese überraschend erfolgreiche Bürgerinitiative hielt sich in engen Grenzen. Die Kommission bremste, verhinderte, scherte sich nicht um die eine Million Unterschriften, genauso wenig um die große Zustimmung aus dem Europaparlament. Jetzt die höchstrichterliche Absegnung dieser minderheitenfeindlichen Haltung der EU-Kommission.
Die osteuropäischen Staaten mussten bei ihrer Aufnahme in die EU belegen, ihre Minderheitenprobleme gelöst zu haben. Minderheitenfreundlichkeit also auch eine Eintrittskarte in den EU-Club. Aber was kümmert mich das Geschwätz von gestern, die EU-Kommission sieht die Minderheitenpolitik ausschließlich als eine Agenda der Mitgliedsstaaten, keine EU-Kompetenz.
Martha Stocker findet, dass die EU damit ein Gestaltungsinstrument aus der Hand gegeben hat. Ein Instrument, das sie noch dringend benötigen wird, wenn tatsächlich Serbien, Bosnien, Montenegro und Nord-Mazedonien in die EU aufgenommen werden. Diese ex-jugoslawischen Teilstaaten sind allesamt multinational, mit ungeklärten Minderheitenproblematiken. Traurig und schade, schreibt Martha Stocker, dass die EU sich vor einer gestalterischen Minderheitenpolitik vorbeidrückt.
„Es kann nur bedeuten, dass die Fuen gefordert ist, jene Allianzen zu bemühen, die wir in den Anfängen dieser Initiative (MSPI) imstande waren für unsere Sache zu interessieren und zu überzeugen,“ hofft Stocker auf ein erneutes Durchstarten der Fuen für eine EU verankerte Minderheitenpolitik.
Ob diese Fuen dazu in der Lage ist? Die Fuen lässt sich als Vorfeldorganisation gegen Brüssel vom ungarischen Ministerpräsidenten Orban missbrauchen. Zum Schaden der Minderheiten. Fuen-Präsident Vincze Lorant beschimpfte das Europaparlament als ungarnfeindlich, immerhin engagierter Partner für Minderheiten-Anliegen.
SHARE