Polit-Justiz

Wenn Roben-Träger zu Politikern werden

Von Wolfgang Mayr

Sind die Vertreter der Justiz der verlängerte Arm des Zentralstaates, der Souveränisten, die Minderheitenschutz, Mehrsprachigkeit und Autonomie ablehnen?

Beispiel 1: Gianluca Albo, Staatsanwalt beim regionalen Rechnungshof in Trient, findet, dass der Staat die Autonomie regelt. In einer “autonomen Realität”, führte der Staatsanwalt aus, ist die Präsenz des Staates noch wichtiger, als anderswo in der Republik, wird Albo meinen. 

Relativ genervt reagierte Landeshauptmann Arno Kompatscher auf diese staatsanwaltschaftliche Feststellung. Die Autonomie ist keine Konzession des Staates, entgegnete Kompatscher, sondern Teil der staatlichen Ordnung, aufgrund eines Verfassungsgesetzes – eben das Zweite Autonomiestatut – , das wiederum die Folge des österreichisch-italienischen Pariser Vertrages von 1946 ist.

Weiß Staatsanwalt Albo nichts davon, vom Pariser Vertrag und mit dem direkt zusammenhängenden Zweiten Autonomiestatut? Albo strickt am Märchen jener politischen Kräfte weiter, für die die Autonomie eine inner-italienischen Angelegenheit ist. Also eine Konzession. 

Macht der Staatsanwalt am regionalen Rechnungshof Politik? Wie auch die Verfassungsrichter, die seit 2001 Südtirols Autonomie gestutzt haben? Eine Autonomie, deren Quelle – wie bereits hingewiesen – ein Verfassungsgesetz ist und auch der erwähnte bilaterale Pariser Vertrag, Teil der Friedensverträge. 

Beispiel 2: Die Richter des spanischen Obersten Gerichtshof verweigern dem katalanischen Politiker Carles Puigdemont die vom Parlament genehmigte Amnestie. Also bleibt der geltende Haftbefehl aufrecht, betonte der zuständige Richter Pablo Llarena. Laut diesem Gericht soll sich Puigdemont mit öffentlichen Geldern persönlich bereichert haben. Korruption also.

Nicht von ungefähr bewertete die Puigdemont-Partei Junts die Entscheidung des Obersten Gerichts “als politisch motiviert”. Das Gericht versuche sich die Befugnisse des Parlaments an sich zu reißen.

Diese Richter treiben Politik. Wegen der verweigerten Amnestie wird Junts der sozialistischen Minderheitsregierung die Unterstützung entziehen. Das war der Deal. Folgende Neuwahlen werden die nationalkonservative Volkspartei PP an die Macht spülen, im Gespann die Chauvinisten von der Vox-Partei. Das scheinen die Richter anzustreben, zu wollen. Die spanische Justiz ist aufgrund der Ernennungen während der PP-Regierungen stockkonservativ bis reaktionär.

Beispiel 3: Spanische Bauern blockierten während ihrer Proteste Autobahnen, Häfen und Städte. Die meisten dieser Proteste waren weder angemeldet, noch genehmigt. Die von der Plattform 6 F gesteuerten Proteste legten das Land lahm, nahmen es in Geiselhaft. Aktionen der 6 F-Plattform endeten in Ausschreitungen, Sachbeschädigungen, Steinwürfen und Rangeleien mit der Polizei. Trotzdem schritt die Polizei kaum ein, hielt sich vornehm zurück. Nicht wie 2017, als die spanische Polizei katalanische Wählende niederknüppelte.

Hinter der Plattform 6 F steht die neo-frankistische Partei Vox. Eine der treibenden Kräfte hinter den organisierten Bauernprotesten. Die Protest-Liebling der Rechten, die Bauern, versuchten in der baskischen Hauptstadt Pamplona das Regionalparlament zu stürmen. Vorbild Washington und der Sturm der Rechtsradikalen auf den Kongress.

Wie anderswo in der EU auch blieben die protestierenden Bauern in Spanien unbehelligt. Weil sie politisch auf der richtigen Seite stehen?

Beispiel 4: Der Fall Francisco Correa, ein Korruptionsskandal, in dem zwischen 1999 und 2005 einige Unternehmer und Politiker der Volkspartei PP verwickelt waren. Es ging um Korruption, Unterschlagung, Geldwäsche und illegale Bereicherung. Ministerpräsident Rajoy war nur als Zeuge vernommen worden.

Richter Baltasar Garzón ermittelte in der Korruptionsaffäre, wurde aber vom obersten Gericht abgesetzt und mit einem Amtsverbot belegt. Wollten die obersten Richter Spaniens den konservativen Ministerpräsidenten Rajoy schützen? Politik der üblen Sorte, verpackt auch noch in Richter-Roben.

Beispiel 5: 2009 erklärten die Verfassungsrichter das neue katalanische Autonomiestatut, vom spanischen und vom katalanischen Parlament sowie von einem Referendum genehmigt, für verfassungswidrig. Mariano Rajoy rief als Oppositionsführer das Verfassungsgericht an, um die neue Autonomie zu Fall zu bringen. Das machten dann auch die Verfassungsrichter, als verlängerte Arm der PP, als angebliche Wächter der spanischen Verfassung und der beschworenen – weil unantastbaren geltenden – staatlichen Einheit.

Die Verfassungsrichter befeuerten damals mit ihrer Entscheidung die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, die zu einer parlamentarischen Mehrheit in Barcelona kam und dann das Unabhängigkeitsreferendum 2017 organisierte. 

Beispiel 6: 2021 setzte der Verfassungsrat der französischen Republik ein vom Parlament mehrheitlich genehmigtes Minderheitenschutzgesetz außer Kraft. Französisch ist die alleinige Sprache der Republik, den im Gesetz vorgesehenen Immersionsunterricht in den Minderheitensprachen fanden die Verfassungsrichter für nicht zulässig. Die Verfassungsrichter agieren wie das Rassemblement National, es gibt nur die französische Nation.

Der inzwischen angeschlagene, wundgewählte, Präsident Macron kündigte 2024 an, Korsika mit einer Autonomie ausstatten zu wollen. Die rechte Opposition, möglicherweise nach dem zweiten Parlaments-Wahlgang Regierungspartei, lehnt jede Form korsischer Autonomie ab. Präsident Macron ließ die Korsen wissen, dass ihre künftige Autonomie unter der Oberaufsicht des Staates stehen, unter der Kontrolle des Präsidenten, seiner Regierung und des Parlaments. Noch schärfer wird aber die Aufsicht der Verwaltungsjustiz und der Verfassungsrichter sein.

Es waren auch die Verfassungsrichter, die sich dagegen aussprachen, dass Frankreich die Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates – ein doch dürftiges Instrument des Minderheitenschutzes – ratifizierte. Begründung: Die Rahmenkonvention gefährdet die Einheit des Staates und die französische Sprache verliert an Bedeutung. 

Frankreich unterzeichnete 1999 zwar die Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarates, ratifizierte die Charta aber nicht. Der damalige Premierminister Lionel Jospin legte dem Parlament die Charta zur Ratifizierung vor, erfolglos. 

Der französische Verfassungsrat befand nämlich, dass die Umsetzung der Charta unter anderem deshalb gegen die Verfassung des Landes verstößt, weil diese Französisch als Sprache der Republik vorschreibt.

Das Rassemblement National wird sich freuen. Der Justiz-Apparat und die hohen Verfassungsrichter stehen fest auf seiner Seite. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website ist durch reCAPTCHA geschützt und es gelten die Datenschutzbestimmungen und Nutzungsbedingungen von Google

Zurück zur Home-Seite