31-08-2022
Kulturelle Aneignung verboten!
Mexiko untersagt Luxusmarken die Verwendung traditioneller autochthoner Ornamente und führt gleichzeitig Krieg gegen die Nachkommen der mesoamerikanischen Hochkulturen (1)
Von Wolfgang Mayr
Modemarken haben in ihrer Suche nach Neuem, Kreativem und Erfrischendem die Nahua, Maya, Zapoteken, Mixteken, Otomi, Totonakas und Tzotzil entdeckt. Autochthone Völker in Mexiko, die meist in abgelegenen Regionen leben. Mehr als 60 solcher Völker haben die spanische Invasion vor 500 Jahren und die jahrhundertlange mexikanische Assimilierungspolitik überlebt. Schätzungsweise zehn Millionen Menschen gehören diesen Völker an. Ethnien, mit immer noch eigenen Traditionen und Sprachen.
Designer der Luxusmodemarken wie Carolina Herrera und Louis Vuitton durchkämmten wie die alten Eroberer die Dörfer dieser Ethnien nicht nach Gold und sonstigen Edelmetallen, sondern nach Kleidern, nach Mustern auf diesen Textilien. Zapotekische oder mixtekische Ornamente tauchten auf den Luxusmarken in den amerikanischen und europäischen Städten auf. Modeketten wie Zara, H&M und Mango verwendeten in den letzten Jahren ungefragt „mexikanische“ Muster und traditionelle Symbole in ihren Sortimenten.
Herrera würdigt die bunten Steifen, die vielfältigen Stickereien und die betont kräftigen Farben, kurzum den Mode-Klau, als eine „Hommage an die mexikanische Kultur“, das mexikanische Kulturministerium hingegen bezeichnet diese kultureller Aneignung traditioneller Muster und Textilien als Diebstahl.
Die mexikanische Kultursekretärin Alejandra Frausto weist Herrera darauf hin, dass sie in ihrer Kollektion „Resort 2020“ Muster verwenden, die typisch für bestimmte indigenen Regionen Mexikos seien. Ob sie dafür die Zustimmung erhalten haben, ob dafür auch bezahlt wurde, wollte die Kultursekretärin wissen. Die Kultursekretärin erklärte der Kommerzialisierung „mexikanischer Kultur“ den Kampf an.
Frausto verweist auf das mexikanische Gesetz, das diese kulturelle Aneignung verbietet. Also das Kopieren und Imitieren ohne Zustimmung und ohne Bezahlung. Darauf stehen hohe Geldstrafen und eine zehnjährige Haft. So weit, so gut, progessiv und woke. Aber das war es auch schon. Weil reine Symbolpolitik.
Der mexikanische Zentralstaat verfolgt einerseits die Politik der sprachlichen Assimilierung und andererseits die Politik der sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ausgrenzung der autochthonen Völker. 97 % der mehr als 105 Millionen Einwohner sprechen Spanisch. Mehr als die Hälfte sind Mestizen, ein Drittel Nachfahren der Ureinwohner, knappe 10 Prozent europäischer – meist spanischer – Abstammung. Die spanische Amts- und Alltagssprache überlagert das sprachliche Mosaik der 60 alteingesessenen Sprachen, die seit 2003 mit einem Gesetz als „Nationalsprachen“ anerkannt, also der Staatssprache gleichgestellt sind. Aber ohne Folgen. Schule, Behörde, Justiz, Polizei, Militär, Wirtschaft, dort gilt nur die spanische Amtssprache. Diese verdrängt die autochthonen Sprachen. Immer mehr Menschen verlassen das Land und ziehen in die Städte, in den spanisch geprägten „Schmelztiegel“. Ein Viertel der mexikanischen Bevölkerung lebt in Mexiko-Stadt, wo es keinen Platz für autochthone Sprachen gibt. Die Städte und Metropolen sind „sprachliche Waschmaschinen“.
Das Leipziger Solidaritätskomitee Quetzal analysierte nach dem zapatistischen Aufstand in Chiapas 1994 den multikulturellen und multinationalen Anspruch als Staats-Ideologie, die Wirklichkeit Mexikos ist aber völlig anders: „Für viele Indios, z.B. unter den vom Erziehungsministerium beschäftigten mehr als 28.000 zweisprachigen Lehrern, ist die Zusammenarbeit mit der Regierung vor allem eine Möglichkeit, ihre als unterlegen empfundene indigene Herkunft so schnell wie möglich hinter sich zu lassen und den sozialen Aufstieg in die spanisch sprechende, westlich geprägte Gesellschaft zu schaffen. Hier wird das Auseinanderklaffen eines formalen politischen Anspruchs und der täglichen Lebenspraxis deutlich“.
Die angebliche Zweisprachigkeit als Brücke in die spanische Einsprachigkeit. Die Gleichstellung gibt es auf dem Papier. Laut Gesetz haben die Angehörigen der autochthonen Völker das Recht, amtliche Unterlagen in ihrer Sprache anzufordern. Ist das in Chiapas vorstellbar, in anderen Regionen mit autochthoner Bevölkerung?
Von den vier Millionen Einwohnern im mexikanischen Bundesstaat stellen die dreizehn autochthonen Ethnien eine Million Menschen. 1993 starben 15.000 Menschen an Hunger, anvermeidbaren Krankheiten und an ausufernder Gewalt der Drogenmafia, der Großgrundbesitzer, der Sicherheitskräfte, des Militärs. Chiapas ist reich an Rohstoffen wie Holz und Erdöl; ein Drittel der mexikanischen nationalen Kaffeeproduktion kommt aus Chiapas, mehr als die Hälft der gesamten aus Wasserkraft gewonnenen Energie wird in Chiapas produziert. Trotzdem, Chiapas zählt zu den ärmsten mexikanischen Bundesstaaten. Immer noch.
Auch deshalb kam es 1994 in Chiapas zu einem gut orchestrierten Aufstand der Zapatisten aus dem Lakandonen-Urwald. Wounded Knee von 1973 in South-Dakota auf Lakota-Land als Vorbild. Die mexikanische Regierung setzte 14.000 schwerbewaffnete Soldaten und die Großgrundbesitzer ihre Killer gegen 1.000 indigene Zapatisten ein. Mit Gewalt und Terror schlug die mexikanische Regierung, die so stolz auf die mesoamerikanischen Vergangenheit ist, den Protest blutig nieder.
Die Zapatisten forderten die Einlösung der Verfassungsversprechen. Quetzal scheibt: „Die Revolutionsverfassung von 1917 hatte im Artikel 27 die noch auf vorspanische Traditionen zurückgehenden Rechte der Bauern auf Kommunaleigentum (“ejido”) anerkannt. Viele indianische Gemeinden hoffen allerdings auch nach mehr als siebzig Jahren Agrarreform immer noch vergeblich auf ihre Landzuteilung. Die Zahl der wegen Landkonflikten in mexikanischen Gefängnissen einsitzenden Indios ist überproportional hoch. Viele dieser Gefangenen warten seit Jahren auf ihren Prozess – ein nach offiziellem mexikanischemRecht völlig illegaler Zustand. Wie viele Tote es bei Zusammenstößen zwischen den Indios und den paramilitärischen Privatarmeen der Großgrundbesitzer schon gegeben hat, zählt keine offizielle Statistik“.
Die Zapatisten schafften es trotzdem, abseits der Staatsmacht autonome Gemeinden aufzubauen, auch die Sicherheitskräfte aus Teilen des Landes zu vertreiben. Das 1995 unterzeichnete Friedensabkommen ist bis heute nicht umgesetzt. Die gesetzliche Anerkennung der indigenen Gemeinde-Autonomie.
Dieses Mexiko will also mit einem eigenen Gesetz die kulturelle Aneignung verhindern? Ein Staat, der zwar stolz das aztekische Erbe pflegte, die direkten Nachfahren dieses Erbes aber bekriegt, mit einem Krieg niedriger Intensität. Die mexikanische Gesellschaft ist rassistisch, radikal anti-indianisch. Seit den 60er bzw. 70er Jahren kämpfen die Otomís und Huastecos im Bundesstaat Hidalgo nördlich der Hauptstadt vergebens um ihr Land. Ähnlich ist die Situation für die Triquis in Oaxaca im zentralen Hochland. In dem Gebiet zwischen Oaxaca und Chiapas versuchen Mixes, Zoques und Zapotecos, sich gegen illegale Holzfäller zur Wehr zu setzen. Die elenden Lebensumstände der Tarahumaras im Norden des Landes sind nicht nur Menschenrechtsspezialisten bekannt. Darauf machte auch vor einigen Jahren die UN-Sonderbeauftragte für die Rechte indigener Völker, Victoria Tauli-Corpuz, aufmerksam.
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