Kroatisches Zündeln: Wir  basteln uns ein Wahlgesetz

Wird der Hohe Repräsentant das Wahlgesetz in Bosnien und Herzegowina ändern? Ein Wahlgesetz, das die ethnische Trennung zementiert? Auf diese Fragen sucht Belma Zulčić von der bosnischen Sektion der GfbV Antworten:

Von Belma Zulčić

Seit Jahren schon steht die Änderung des Wahlgesetzes in Bosnien und Herzegowina an, doch trotz zahlreicher Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg (aus den Jahren 2009 – Sejdić/Finci, 2014Azra Zornić, 2016Ilijaz Pilav, 2016Samir Šlaku) sowie des Verfassungsgerichtes von BiH wurde bislang nichts geändert.

In seinen Urteilen hatte der Gerichtshof in Straßburg den Klägern Recht gegeben, das Wahlgesetz in Bosnien und Herzegowina als diskriminierend eingestuft und die Änderung des Wahlgesetzes gefordert. Diskriminierend ist die Regelung, dass für das Haus der Völker des Parlamentes BiH und das Präsidium von BiH nur Vertreter der drei Volksgruppen – Bosniaken, Kroaten und Serben kandidieren können, jedoch keine Minderheiten oder Bürger, die sich nicht als Teil einer der drei Volksgruppen deklarieren möchten.

Das geltende Gesetz hindert auch Bosniaken und Kroaten aus der Republika Srpska, für die Position des Vertreters der Republika Srpska im Präsidium zu kandidieren, ebenso auch Serben aus der Föderation von BiH als Vertreter der Föderation BiH im Präsidium.

Das Präsidium von BiH besteht aus drei Vertretern – einem aus der Republika Srpska und zwei aus der Föderation. Sie vertreten dort Serben aus der Republika Srpska und Bosniaken und Kroaten aus der Föderation von BiH. Diskriminierend ist dies, weil niemand die Bosniaken und Kroaten aus der Republika Srpska und Serben aus der Föderation im Staatspräsidium vertreten kann und somit diesen drei Volksgruppen, jedoch auch allen Minderheiten und jenen, die sich nicht als Serben, Bosniaken und Kroaten aussprechen möchten, das passive Wahlrecht entzogen wird.

Eine Einigung war deshalb nicht möglich, weil das Regime in der Republika Srpska nicht einen Präsidenten für das ganze Land akzeptieren wollte und weil kroatische Nationalisten der Partei HDZ erwirken wollten, dass in der Föderation von BiH nur jemand aus dieser Partei für das Amt im Präsidium (als kroatischer Vertreter) gewählt werden kann. Die HDZ-Nationalisten lehnen den sozialdemokratischen Kroaten Zeljko Komsic ab, der als Vertreter der Partei Demokratische Front in der Föderation von BiH an diese Position gewählt wurde. Für die HDZ ist Komsic kein Vertreter der bosnischen Kroaten.

Zahllose Gespräche wurden in den vergangenen 12 Jahren geführt, mit und ohne internationale sowie europäische Mittler und Diplomaten, aber erfolgos.

Seit dem vergangenen Jahr hat jedoch Kroatien als EU- und Nato-Staat im Europa-Parlament und der Nato eine intensive Kampagne für eine Änderung des Wahlgesetzes nach den Vorstellungen der HDZ-Kroaten in Bosnien und Herzegowina gestartet. Der Präsident Kroatiens Zoran Milanovic forderte von der EU und von der NATO die Zustimmung zum HDZ-Wahlgesetz, ansonsten würde Kroatien den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden verhindern. Mit der Änderung des Wahlgesetzes soll endlich die „Benachteiligung der Kroaten in Bosnien und Herzegowina“ aufgehoben werden.

Die EU und USA scheinen diesem Druck nachgegeben und den Hohen Repräsentanten Christian Schmidt beauftragt zu haben, von seinen Befugnissen Gebrauch zu machen und das Wahlgesetz nach Vorstellungen der nationalistischen HDZ-Partei zu ändern.

Es sickerte durch, dass der Hohe Repräsentant Schmidt das abgeänderte Wahlgesetz vorlegen wird, das die sogenannte „legitime Repräsentation“ der Völker bestätigt. Dies wäre entgegengesetzt den Urteilen des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und würde die ethnische Teilung des Landes zusätzlich zementieren.

Die Änderung sieht auch eine „Drei-Prozent-Hürde“ vor: In den Kantonen der Föderation von BiH, in denen weniger als drei Prozent einer Volksgruppe leben, wird diese Volksgruppe nicht mehr im Haus der Völker des Parlaments vertreten sein können.

Besonders problematisch sind Änderungen des Wahlgesetzes so kurz vor den Wahlen (Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 2.Oktober 2022). Eine kurzfristige Änderung des Gesetzes könnte das Land in ein zusätzliches Chaos mit verheerenden Folgen stürzen. Besorgniserregend ist auch, dass die Wahlkommission BiH, die für die Durchführung der Wahlen verantwortlich ist, bisher keine Information über eine mögliche Änderung des Wahlgesetzes erhalten und keine Gelegenheit hatte, sich zu den Änderungsvorschlägen auch nur zu äußern.

Von einer solchen Entscheidung würden neben den kroatischen Nationalisten auch die Nationalisten innerhalb der beiden anderen Völker profitieren. Es wäre für sie ein leichtes Unterfangen, in einer solchen Situation mehr Anhänger um sich zu scharen. Dies wäre das Ende der moderaten Parteien, deren Anhänger und Mitglieder nicht von Ethnizität und Nationalpolitik geleitet werden, so dass die Tür für den Sieg und die vollkommene Vorherrschaft der Ethnokratie vollkommen geöffnet wäre.

Sollte der Hohe Repräsentant Christian Schmidt dem Druck nachgeben und die Änderung des Wahlgesetzes so vornehmen wie angekündigt, wäre dies ein großer Schritt in Richtung Teilung des Landes, der es dem nationalistischen Serben-Führer Milorad Dodik um vieles erleichtern würde, das Land endgültig aufzuspalten. Und dies wiederum zu einem weiteren Krieg in Europa führen.

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